Dokumentation russischer Propaganda
Die Arktis auf dem Verhandlungstisch
MOSKAU, 31. Mai (Andrej Fedjaschin, RIA Novosti). Das Städtchen Ilulissat auf Grönland wird in die Geschichte als Ort eingehen, in dem die ersten Schritte bei der Aufteilung der Arktis gemacht wurden.
Hier haben die Außenminister und Vertreter von fünf arktischen Anrainerländern (Dänemark, Kanada, Norwegen, Russland und USA) nach einer Beratung vom 27. bis zum 29. Mai hinter verschlossenen Türen beschlossen, wie die Arktis und hauptsächlich ihre Bodenschätze unter Wasser „reorganisiert“ werden sollen.
Als Ergebnis des Treffens wurde die Deklaration von Ilulissat verabschiedet. Der wichtigste Inhalt ist, dass ein separater internationaler Vertrag zur Arktis-Verwaltung unnötig ist. Dafür reicht die UN-Seerechtskonvention von 1982, von der sich alle Teilnehmer bei der Regelung aller möglichen Probleme, auch Territorialprobleme, leiten lassen sollen.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow zog die beste Bilanz der Ilulissat-Konferenz. Er sagte, dass alle Probleme zivilisiert am Verhandlungstisch gelöst werden müssen. „Wir können die alarmierenden Prognosen über den künftigen Interessenkonflikt der arktischen und selbst abseits gelegener Staaten, über beinahe eine künftige ‚Schlacht um die Arktis’ nicht teilen“, sagte er. Auch die anderen Minister äußerten sich in diesem Sinne.
Natürlich ist es gut, dass die „Schneekönigin“ vor der Aufteilung auf den Verhandlungstisch kommt. Die UN-Seerechtskonvention ist in der Tat ein mächtiges völkerrechtliches Dokument, fast eine „maritime Verfassung“, die alles regelt, was in, über und unter dem Ozean getan werden darf. Doch der einstimmige Optimismus der Teilnehmer, von denen jeder Ansprüche an die Nachbarn in Bezug auf die Demarkation in der Arktis oder im Ozean hat, stimmt den Beobachter ziemlich nachdenklich. Die Aufteilung von herrenlosen und superreichen Böden oder Gewässern verlief in der Weltgeschichte nie ohne einen Interessenkonflikt.
Beispielsweise streiten sich die Dänen seit langem regelmäßig mit den Kanadiern, die dänischen Boden in Grönland dauernd mit ihren Flaggen markieren. Die Kanadier haben auch aus demselben Grund Ärger mit den USA. Die Norweger beanspruchen fast 175 000 Quadratkilometer des russischen Schelfs in der Barentssee. Auch mit den USA hat Russland kein endgültiges Einverständnis über die Teilung entlang der Schewarnadse-Baker-Linie im nördlichen Teil des Stillen Ozeans erreicht. Die Arktis hat überhaupt nie ein „zivilisiertes“ Herangehen an ihre Probleme erlebt.
Dieses Herangehen war auch auf der Konferenz nicht vorhanden. Weitere drei Mitglieder des Arktischen Rates, der sich just mit den Problemen des Nordens befasst und dem auch die Ilulissat-Fünf angehört, wurden nicht eingeladen, und zwar Island, Finnland und Schweden, die sich darüber sehr ungehalten zeigten.
Die Umweltschutzorganisationen waren noch ungehaltener. Ihre Reaktion sollte überhaupt einzeln erwähnt werden, denn die Sorge um die Arktis ist eine rein pragmatische Sache. Die Minister können ja nachher gelobt werden, wenn ihr Optimismus in Taten umgesetzt wird. Das langjährige Nebeneinander der Minister und der Umweltschützer hat gezeigt, dass nicht ganz höfliche oder sogar scharfe Kritik sehr oft hilft, das diplomatische Glanzbild zu sprengen und die Grenzen der Vorstellungskraft der Minister auszuweiten. Das kann Kompromisslösungen näher bringen.
Die führenden Umweltorganisationen werteten das Treffen in Grönland fast als „Verschwörung zur heimlichen Aufteilung der arktischen Bodenschätze“. Natürlich etwas zu stark reagiert, doch sie können in der Tat mit Recht fragen, warum keine anderen als diese Länder unter den Teilnehmern waren. Die USA haben doch nicht einmal die Konvention ratifiziert und können vorerst auf alle ihre Einschränkungen pfeifen. Außerdem hat noch niemand die simplen und durchaus berechtigten Fragen der Umweltschützer außer Kraft gestellt: Warum können wir nicht beide Enden der Erde in Ruhe lassen? Was hindert die Politiker daran, die Antarktis-Richtlinien, nach denen jegliche militärischen Handlungen und Bodenschatzförderung in der Region verboten sind, auf die Arktis zu verbreiten? Natürlich etwas naiv, denn die „störenden“ Momente sind offensichtlich: Öl, Gas, Nickel, Gold...
Als Russland 1997 die Konvention von 1982 ratifizierte, stimmte es auch deren Einschränkungen zu. Jetzt kann Moskau den Schelf bis zu 350 Meilen außerhalb der Wirtschaftszone beanspruchen, wenn es bewiesen wird, dass der Schelf zum sibirischen Festlandsockel gehört.
Es macht für Russland überhaupt keinen Sinn, bis zum arktischen Packeis am Pol vorzurücken, außer wenn jemand wieder einmal staatliches Geld sinnlos „in Anspruch nehmen“ will. Nach Schätzungen des US-amerikanischen Geologischen Dienstes (USGS) liegen die wichtigsten arktischen Öl- und Gasvorräte nirgendwo anders als in 300 bis 500 Seemeilen von der Küste entfernt. Dabei liegen die größten Vorräte in den russischen Abschnitten der Karasee und der Barentssee.
Die Aufteilung der Arktis muss mit Grips und Ruhe gemeistert werden. Russlands „heldenhafte Stürme“ wie die Tschilingarow-Expedition vom Vorjahr haben überhaupt nichts mit der Grenzziehung im Norden zu tun, egal wie viele Eimer mit Meeresgrund zur Oberfläche gehoben und wie viele Flaggen auf dem Grund am Nordpol aufgestellt werden. Für den Beweis, dass der Lomonossow-Rücken eine Fortsetzung des sibirischen Festlandsockels ist, sind Unterwasserbohrungen in über zwei, drei und vier Kilometern Tiefe nötig.
Russland hat noch Zeit, an seinem Antrag für sein Schelf zu arbeiten. Das Schicksal der Arktis und deren Aufteilung soll auf einer UN-Konferenz 2020 entschieden werden. Doch das bedarf einer ernsthaften Vorbereitung. Nicht wie für eine Nordpol-Eroberung mit Flaggen, Pauken und Trompeten, sondern für eine standfeste Interessenverteidigung.
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der der RIA Novosti übereinstimmen.
KOMMENTAR
Die nationalistische Welträuberei nimmt kein Ende. Der Begriff "Eroberung" ist ein wenig aus der Mode, darum verharmlost man die Beanspruchung bislang internationaler Gebiete als Problem von Bohrungen, die für die aufrechte Patrioten zweifelsfrei zum Ergebnis haben werden, dass der untersuchte Meeresboden zum "Festlandsockel" gehört. Darum machte sich vorab eine Duma-Gesandtschaft mit dem Atom-Eisbrecher "Rossija"auf den Weg zum Nordpol und stellte rein vorsorglich eine russische Unterwasser-Nationalflagge in den Schlick des Meeresbodens.
Ob sich die Armenhaus-Staaten der Welt eine Strategie erarbeiten werden, wie sie Anteil bekommen oder werden sie über ihre inneren und regionalen Konflikte auch diesbezüglich versagen und ihren Völkern die Abhängigkeiten von den "Welteroberern" vergrößern? Und wie werden sich Staaten wie die Bundesrepublik verhalten? Auf die Exportkraft vertrauend den Arktis-Räubern helfen, um auf deren Trittbrett zu fahren? Oder für mehr Gerechtigkeit auf dem Planeten plädieren?
Zumindest mehr Weltdemokratie sollte sein. Also braucht es Initiativen für die Vereinten Nationen, damit wenigstens kritisiert wird, dass da welche ohne Erlaubnis ihre Grenzen in die Meere erweitern.
-msr-
31 Mai 2008
UNO ohnmächtig: Arktis-Raubzug
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