29 Juli 2005

Rolle des Islam in der irakischen Verfassung: Frauen fürchten um ihre Rechte

Bagdad (Irak), 29.07.2005 – Die irakischen Frauen sind geteilter Meinung über die Rolle, die der Islam in der neuen Landesverfassung spielen sollte, die zur Zeit im Parlament ausgearbeitet wird. Einige von ihnen fürchten eine „Rückkehr zum dunklen Zeitalter“.

Ein am Dienstag veröffentlichter erster Entwurf weist dem Islam die Rolle der „offiziellen Staatsreligion“ zu und nennt ihn „die wesentliche Quelle der Gesetzgebung“, eine Formulierung, die wesentlich durch die konservative schiitische Parlamentsmehrheit befürwortet wird. Kein Gesetz dürfe den Grundsätzen des Islam widersprechen. Der Parlamentspräsident Hajim Al-Hasani kommentierte die Aussage dahingehend, damit sei nicht die Herrschaft der Scharia gemeint. Aufgrund unterschiedlicher Interpretationen der Rolle des islamischen Rechtsverständnisses halten Kritiker diese Position jedoch für problematisch, weil sie eine Tür öffne, die die schlimmsten Befürchtungen rechtfertigen könnte. Die Frauenrechtlerin Yannar Mohammed ist der Ansicht, jede Bezugnahme auf den Islam in der Verfassung „bringt uns zurück in das dunkle Zeitalter“. Sie fürchtet, dass mit solchen Formulierungen die Gefahr der Rückkehr zu Steinigungen und öffentlichen Auspeitschungen von Ehebrechern heraufbeschworen werde. Samira Al-Moussawi, Ölingineurin und eine von 87 Frauen in dem aus 275 Mitgliedern bestehenden Parlament, hält solche Befürchtungen für übertrieben. „Da ist nichts, wovor man sich fürchten müsste. Ideologien werden nicht durch das Gesetz vorgeschrieben werden“, sagt Moussawi, die Mitglied der schiitischen Parlamentsmehrheit ist. Der Bezug auf den Islam in der Verfassung sei nichts Ungewöhnliches, da nun einmal die meisten Iraker Moslems seien.

Das gegenwärtige irakische Parlament wurde im Januar unter Richtlinien gewählt, die von der Besatzungsmacht vorgegeben worden waren. Dazu gehörte eine Mindestquote von fünfundzwanzig Prozent Frauen in der Volksvertretung. In der aus 71 Mitgliedern bestehenden Verfassungskommission wirken zurzeit neun Frauen mit. Durch das Engagement in dieser Arbeit gehen die Frauen in diesem Gremium ein hohes Risiko ein. Ende April wurde Lamiya Abed Khaduri von der Partei des ehemaligen Premierministers Iyad Allawi auf den Stufen ihres Hauses erschossen. Und im Mai überlebte Salama al-Khafaji, ein unabhängiges Mitglied des Parlaments, den vierten Anschlag auf ihr Leben.

Die Situation im Irak, die von alltäglicher Gewalt geprägt ist, macht es Frauen sehr schwer, eine neue Rolle in der Gesellschaft zu finden. Beim Weg zur Arbeit oder Schule setzen sie sich einem tödlichen Risiko aus. Dies geht aus einem Bericht von amnesty international vom Februar hervor. Seit dem Beginn der US-Invasion hat es einen Rückschlag in der sozialen Entwicklung gegeben, die besonders die Frauen in ihrer Entfaltung behindert. Religiöse Eiferer beobachten die Kleidung von Frauen in der Öffentlichkeit argwöhnisch. Sogar Säureattacken auf vermeintlich zu herausfordernd gekleidete Frauen kommen vor.

Pakhshan Zagana vom Frauenwahlkampfkomitee im Regionalparlament Kurdistans, die sich gegenwärtig in Bagdad aufhält, erklärt: „Wir müssen hart arbeiten um die Gesellschaft zu überzeugen, dass Frauen das Recht auf eine eigene Meinung haben.“ Zagana strebt einen Frauenanteil von vierzig Prozent in den staatlichen Einrichtungen und politischen Führungspositionen im Irak an. „Es macht mich sehr traurig, wenn ich Frauen treffe, die für sich weniger Rechte fordern.“

Ein westlicher Diplomat, der die Verfassungsdiskussion im Irak verfolgt, warnt vor der Überinterpretation einzelner Aussagen im Verfassungsentwurf. Neue Textvarianten erschienen fast täglich. Und viele der extremsten Vorschläge seien als Vorstöße im Rahmen von Verhandlungstaktiken zu betrachten. +wikinews+