11 April 2008

CDU bremst noch immer die Gesamtschule

Hannover (Deutschland), 11.04.2008 – Auch die neue Kultusministerin der niedersächsischen Landesregierung, Elisabeth Heister-Neumann (CDU), will der Neugründung von Gesamtschulen in Niedersachsen enge Grenze setzen.

Nach der niedersächsischen Landtagswahl im Januar 2008 und der Umbesetzung im Bildungsressort in der neu konstituierten niedersächsischen Landesregierung – Elisabeth Heister-Neumann löste Bernd Busemann als Kultusministerin ab – deutet sich keine Umorientierung in der Frage der Zulassung neuer Gesamtschulen in Niedersachsen an. Zwar rückte die CDU-geführte Landesregierung von dem 2003 erlassenen Neugründungsverbot für Gesamtschulen ab, formulierte jedoch solche Bedingungen dafür, dass Neugründungen faktisch sehr schwierig werden. Im Koalitionsvertrag einigten sich CDU und FDP auf drei Punkte für solche Neuzulassungen: Erstens muss der Schulträger einen entsprechenden Antrag stellen, zweitens muss ein entsprechender Elternwille nachgewiesen werden und drittens darf das bestehende dreigliedrige Schulsystem vor Ort nicht gefährdet werden. Vor allem der letzte Punkt stellt eine ernstzunehmende Hürde für Gesamtschulneugründungen dar. Gesamtschulen können demnach nur als zusätzliches Bildungsangebot eingerichtet werden, bestehende Schulen wie Hauptschule, Realschule und Gymnasium dürfen in ihrem Bestand nicht gefährdet werden. Diesen Standpunkt bekräftigte die niedersächsische Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann am Mittwoch vor dem niedersächsischen Landtag. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll noch in diesem Sommer vom Landtag verabschiedet werden. Die Regierungskoalition hat es damit jedoch nicht besonders eilig. Während entsprechende Gesetzesvorlagen von allen Oppositionsparteien (SPD, Grüne, Linkspartei) vorliegen, verfährt die CDU nach dem Grundsatz: „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit“, so Heister-Neumann.

Sprecher der Oppositionsparteien im niedersächsischen Landtag bezeichneten dieses Vorgehen als „Verzögerungstaktik“. Frauke Heiligenstadt (Bildungspolitikerin der SPD-Fraktion) erläuterte die Interessenlage der Eltern so: „Viele Eltern wollen ihre Kinder auf eine Gesamtschule schicken, weil sie dem Druck an den Gymnasien entgehen wollen. Diese Menschen lassen Sie im Regen stehen.“ Einer landesweiten Erhebung der „Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule“ (GGG) aus dem Jahr 2007 zufolge, besteht in Niedersachsen ein ungedeckter Bedarf an 2300 Gesamtschulplätzen. Die vorhandenen Gesamtschulen könnten, so die GGG, im fünften Schuljahr nur 60 Prozent der Bewerber aufnehmen. Der SPD-Politiker Olaf Lies sprach im Landtag sogar von einem aktuellen Bedarf von 4000 Plätzen. Die Landesregierung sieht einen solchen Bedarf jedoch nicht. Der Sprecher des ehemaligen Kultusministers, Georg Weßling, sagte im September 2007, von einem angeblich landesweiten Ruf nach neuen Gesamtschulen habe man im Kultusministerium noch nichts gehört. Der Hintergrund dieser Haltung ist grundsätzlicher Art. In der bildungspolitischen Programmatik der niedersächsischen CDU haben Gesamtschulen eigentlich keinen Platz. Der neu gewählte niedersächsische Ministerpräsident erklärt, warum: Man wolle in der neuen Legislaturperiode „keinen ideologischen, teuren Streit über neue Strukturreformen“. Die „Strukturdebatte“ sei entschieden, „und zwar zu Gunsten des gegliederten Schulwesens“. Die vielfach geäußerte Kritik am deutschen Bildungswesen (Stichworte PISA-Studie, Austrocknung der Hauptschule) veranlasst die Landesregierung nicht zu besonderem Reformeifer. Im Gegenteil: „Die Schulen brauchen Ruhe. Wir werden uns jetzt darum kümmern, was in der Schule passiert: der Qualität des Unterrichts, das Fördern und Fordern.“ Der Forderung nach Gesamtschulen, von vielen Eltern formuliert und ablesbar an einer Vielzahl von Gesamtschulinitiativen, begegnet der niedersächsische Ministerpräsident mit wenig Verständnis. Gesamtschulen sind in seinen Augen ein „wettbewerblicher Stachel im Fleisch des gegliederten Bildungswesens“, so der Ministerpräsident in einem Interview vom Oktober 2007. Wulff will am Bewährten festhalten: „Wir setzen auf leistungsfähige Hauptschulen, gute Realschulen und Gymnasien.“