22 März 2008

5 Jahre Irak-Krieg

Als Beispiel für Wahrheitsgehalt und Gewichtungen in der Geschichtsschreibung - die aktuellen Rückblicke bzw. Dokumentationen auf fünf Jahre Irak-Krieg, wie sie dem Massenpublikum auf unterschiedliche Weise präsentiert werden und "Geschichte machen":

Zum 5. Jahrestag des Irak-Kriegs wurden zahlreiche Dokumentationen ausgestrahlt, zwar überwiegend kritisch gegen Bush, aber es kam zu kruden Verfälschungen des Film-Materials, z.B. der oft gezeigte Abriss der Saddam-Hussein-Statue auf einem Platz in Bagdad.
Diesem Abriss wurde damals und auch jetzt in den Dokumentationen "Symbolkraft" beigemessen, obwohl es dafür wenig irakisches Publikum gab. Es war eher als ein bloßes "Medienereignis", eine Inszenierung, die obendrein missglückte, weil die Saddam-Statue zwar kippte, aber nicht vom Sockel fiel, sondern erst nach umständlichen Zusatzmaßnahmen.
In einigen der heutigen Dokumentationen wird dieses "Hängenbleiben" einfach rausgeschnitten: Die Statue kippt, Schnitt, das Statue liegt am Boden.

Das ist nur eine Kleinigkeit, aber beispielhaft für den Umgang mit Wahrheit, für die daraus unterschiedliche Wahrnehmung.

Zwischenzeitlich fand sich in den Film-Archiven der Abriss einer ähnlichen Statue, das anderswo im Irak stand. Dort waren Statue und Sockel auf eine Weise verbunden, dass es gemeinsam umgerissen werden konnte, "glatt lief". Das verschiedene Bild-Material führt nun zur Verwechslungen, schafft falsche Geschichtsbilder.

Anderes Beispiel: Der "Zeitzeuge" J. Fischer tritt auf und und erzählt zu seinen Gunsten, dass er gegen den Irak-Krieg gewesen ist. Stimmt, aber mit Tränendrüsen-Argumenten auf der vorangegangenen NATO-Tagung und der Weltsicherheitsratssitzung.
Fischer, obwohl gemeinsam mit Schröder hauptverantwortlich für die deutsche Position, kam damals nur mit Glaubensbekenntnissen, dass die irakische Gefahr schon nicht so groß sei, wie von Bush, Merkel & Co. behauptet, aber an substantieller Argumentation kam nichts. Kein völkerrechtlicher Einwand, keine Infragestellung der von Powell präsentierten "Beweise". Als hätten der BND usw. gar nicht existiert.
So ließ die Bundesregierung den Frieden und solche wie mich damals im Stich und verklärt heute "Geschichte".

Der Druck der Kriegstreiber auf die Kriegsopposition ist so groß, dass sogar Leute wie Korrespondent Tilgner in heutigen Interviews nachgeben und behaupten, sie hätten damals nicht geahnt, in welches Desaster der Irak-Krieg führen würde. Weil Tilgner um sein Ansehen als seriöser Korrespondent fürchtet, wenn er den Geschichtsverlauf als vorhergesehen bezeichnen würde.
Das erspart ihm ein großes Stück Opposition gegen Bush, Merkel & Co., denn ohne Vorhersehbarkeit erspart er Bush, Merkel & Co. ein großes Stück der Verantwortungslast.

Was ziehen wir als Geschichtsdokument und wen als Zeitzeugen heran?

Ich empfehle Reden von Mubarak, der ausdrücklich vor einer Invasion mit dem Argument warnte, dass auf solche Weise dem Terrorismus nicht der Garaus, sondern im Gegenteil Tausende Bin Ladens die Folge sein werden.

Zwar muss man auch solche Prophetie gewichten, denn Mubarak fürchtete negative Kriegswirkungen für seine Macht im eigenen Land, aber das ließ ihn immerhin zu anderen Schlüssen kommen, während die Kriegstreiber fernab der Konfliktregion nicht zu fürchten hatten, dass ihnen daheim etwas zusammenbricht.

Und ich empfehle den "Zeitzeugen" Saddam Hussein, der vor der Invasion mit massenhaften Selbstmord-Attentaten drohte und abschrecken wollte. Das verführte mich damals zu einem zweifelhaft sarkastischem Kommentar, in dem ich dem irakischen Diktator empfahl, durch eigenes Vorbild zu glänzen und dadurch der Welt inklusive Irak größeres Unheil zu ersparen.

Die Leute, die damals den Krieg herbei logen und machten, wollten nicht hören und logen bewusst, wie Powell inzwischen als schlimmstes Ding seines Lebens einräumte. Deshalb soll von denen heute niemand mit der Floskel kommen, es sei nicht vorhersehbar gewesen, denn das ist erneut gelogen.

Was ist bzw. wurde nun "Geschichte"? Die Bush-Version, die Fischer-Version? Die Geschichte der Macher? Meine Version? Von den Totgemachten ganz zu schweigen, denn die wurden vor dem Krieg nicht gefragt, sondern schlechte Vertreter kamen zu Wort, die in eigener Sache unterwegs waren, darunter auch viele Exil-Iraker.

Die Geschichte der Kriegsmacher war anders versprochen, war gewisss "kein Weltuntergang", aber für 150.000 Menschen der Tod, für 4 Mio. Menschen Flucht und Vertreibung, für eine ganze Nation ein Leben in Furcht, Hass und Ruinen.
Die Überlebenden haben die Chance zur Erholung - auf blutdurchtränktem Boden.

Geschichts- und Politikwissenschaft, auch der Geschichtsunterricht können sich mit Multisubjektivität und Multiperspektivität nicht begnügen, wären Selbstzweck, wenn das politische Geschehen nicht an dessen Ethik gemessen wird, mindestens dem Recht.

Mancher Glanz ginge verloren, aber der wäre ohnehin trügerisch, so dass die historischen und aktuellen Imperien entsprechend dem für ihre Moral, Religion, Weltanschauung und Wirtschaft vergossenen Blut gemessen würden und weniger nach ihrer Machtfülle aus den Machbarkeiten, der Ausnutzung von Schwäche, denn das lässt die Gewalt hin und her toben.

Die Geschichtswissenschaft ist politisch. Die Frage ist nur, für wessen Heldensagen sie sich bezahlen lässt, entscheidet und also auch tradiert, ob für die Wahrnehmung militärischer Argumente oder intellektueller Argumente.

Beides hat seine spezifische und überschneidende Moral, fordert zur Beurteilung in dem Maße heraus, wie es in Forschung und Lehre gewichtet wird.

Wenn ich einerseits für die Relevanztheorie werbe, so mag Werbung für "mehr Mubarak und weniger Fischer" wie das Andererseits scheinen,
weil das Durchsetzungsmoment "mehr Geschichte macht" als die bloß geforderte Politik. Wenn aber die (Durchsetzungs-)Macht nicht mit mehr Haftung gekoppelt wird, verführt das zu selbstgerechter Machtausübung.

Diesen Zusammenhang sollte die Geschichtswissenschaft untersuchen, der Geschichtsunterricht vermitteln. Folge daraus müsste "mehr Haftung" sein, wenn schon nicht juristisch, so wenigstens durch Kritik an solcher Rechtlosigkeit und mit guten Gründen für Gnade.
Beides sind moralische und juristische Selbstverständlichkeiten, zwar auch im Völkerrecht, finden aber dann nur gegen Kriegstreiber und deren Völker Anwendung, denen die militärische Niederlage zur weitgehenden Wehrlosigkeit wurde.

Mubaraks Mahnung kam in keiner Dokumentation vor. Die Asyl-Angebote anderer Araberstaaten an die Adresse Husseins fanden keine Erwähnung, die Angebote Saddam Husseins ohnehin nicht. - Das entstehende Geschichtsbild ist falsch, aber so kommt es in die Schulbücher. Nicht in allen, denn in Ägypten wird man es anders sehen. Damals verpasst, heute verpasst: Multisubjektivität zwecks Multiperspektivität - zwecks Entwicklung gemeinsamen Rechts.

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