Washington D.C. (Vereinigte Staaten), 22.11.2005 – Eine der wohl wichtigsten im Vorlauf des Irakkrieges durch Colin Powell in seiner Rede vor den Vereinten Nationen und Präsident Bush in seiner Ansprache zur Lage der Nation angeführten Argumentationen war, dass der Irak ein aktives Bio-Waffenprogramm durchführe und mobile Bio-Waffenlabore besäße. Laut einer Untersuchung des Geheimdienstausschusses "Senate Intelligence Committee" war die Hauptinformationsquelle ein irakischer Überläufer mit Deckname Curveball, ein Informant des deutschen Nachrichtendienstes BND.
Mehrere für Curveball zuständige deutsche BND-Beamte haben nun der LA Times mitgeteilt, dass die Bush-Administration und die CIA wiederholt dessen Behauptungen übertrieben und Warnungen des BND ignoriert hätten, dass die Quelle unzuverlässig sei. Rückblickend auf seine Reaktion nachdem er Powells Rede vor der UN gesehen hatte, sagte ein deutscher Nachrichtendienstler: „Wir waren schockiert. Mein Gott! Wir hatten Ihnen immer gesagt, dass es nicht bewiesen ist... Es war keine abgesicherte Information.“ Dies bestätigt die Berichterstattung der deutschen Wochenzeitung Die Zeit von 2003 und 2004, die sich auf Stellungnahmen anonymer führender Geheimdienstmitarbeiter berief.
Neun Monate zuvor, im Mai 2002, wurde eine Zuverlässigkeitswarnung in Curveballs Akte in den US-Nachrichtendienst-Datenbanken eingetragen. Powell wurde allerdings nie gewarnt, dass seine vor den Vereinten Nationen gehaltene Rede Informationen beinhalte, die sowohl die DIA (Defense Intelligence Agency) als auch die CIA für falsch befunden hatten, obwohl sich sogar einige Teilnehmer bei Powells CIA-Meetings dessen völlig bewusst waren.
Zu diesem Zeitpunkt haben deutsche Nachrichtenoffiziere die CIA Curveball nicht persönlich treffen lassen, jedoch wurde einem CIA-Arzt gestattet, Blutproben zu nehmen. Zum Wahrheitsgehalt von Curveballs Informationen vor seinem CIA-Vorgesetzten befragt, wurde dem Mediziner nahegelegt „Vergessen sie nicht, dass der Krieg geführt werden wird, unabhängig von dem was Curveball sagte oder nicht sagte, und dass die politischen Entscheidungsträger [alternativ: Machthaber - original: „Powers That Be“; d.Ü.] wahrscheinlich nicht sonderlich daran interessiert sind, ob Curveball weiß, worüber er spricht.“
Kurz nach Powells UN-Rede und einige Tage vor der Invasion versuchten UN-Waffeninspektore, einige von Curveballs Schlüsselinformationen direkt nachzuprüfen, jedoch kamen sie zu dem Ergebnis, diese seien unhaltbar. Das Weiße Haus bestand [eindringlich; d.Ü.] auf seinen Behauptungen bezüglich der Massenvernichtungswaffen auf Grundlage von Curveballs Informationen.
Sogar nach der Invasion, als mehr und mehr der Berichte Curveballs als reine Erfindung überführt wurden, stützten sich die CIA und die Bush-Administration auf die Information von Curveball. Als U.S.-Streitkräfte Lastwagen mit Laborausstattung entdeckten und Curveball behauptete, diese seien identisch mit den von ihm berichteten, veröffentlichte die CIA eilig ein White Paper mit der Behauptung, diese Lastwagen seien Teil des geheimen Biowaffenprogrammes von Saddam Hussein, und Bush behauptete öffentlich „Wir haben die Massenvernichtungswaffen gefunden.“. Einige Tage später bestätigten zwölf der dreizehn mit der Überprüfung der Lastwagen beauftragten WMD-Experten übereinstimmend, dass die Ausrüstung nicht zur Produktion von Biowaffen geeignet sei. Die einzige gegensätzliche Aussage kam vom Autor des White Paper.
Das White Paper ist bis heute auf der CIA Website veröffentlicht, und Präsident Bush hat weder seine Aussage bei der "State of the Union"-Ansprache, dass der Irak „Mittel zur bakteriologischen Kriegsführung“ produziere, noch die nach Kriegsende vorgetragenen Behauptungen („Wir haben die Massenvernichtungswaffen gefunden“) bisher revidiert. +wikinews+
KOMMENTAR
Der BND und seine Kontrollgremien machten sich mitschuldig, denn sie wären friedensverpflichtet gewesen, die Zweifelhaftigkeit des Informanten öffentlich zu machen. -msr-