02 November 2007

Landesarbeitsgericht hebt Streikverbot für Lokführer auf

Chemnitz (Deutschland), 02.11.2007 – Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) darf ab sofort auch den Güterverkehr und den Fernverkehr in der Personenbeförderung bestreiken. Das Sächsische Landesarbeitsgericht mit Sitz in Chemnitz teilte heute nach mündlicher Verhandlung mit, eine durch das Arbeitsgericht Chemnitz erlassene einstweilige Verfügung des Verbots von Arbeitskämpfen in diesem Bereich sei aufgehoben.
Richter Werner Leschinger erklärte, ein Streikverbot sei nicht zulässig, weil das Grundgesetz das Recht auf Koalitionsfreiheit ausdrücklich garantiere. Den Tarifparteien sei es überlassen, welche Kampfmittel dabei zum Einsatz kämen. Eine entsprechende Ausweitung des Streiks sei nicht von vornherein für unzulässig zu erklären. Streiks könnten nur dann als unzulässig angesehen werden, „wenn eine Arbeitskampfmaßnahme offensichtlich ungeeignet und unverhältnismäßig ist“. Davon sei im vorliegenden Fall jedoch nicht auszugehen.
Das Gericht stellte in seiner Urteilsbegründung auch fest, der Grundsatz der Tarifeinheit stehe dem Nebeneinander mehrerer konkurrierender Gewerkschaften nicht entgegen. „Dementsprechend ist es einer Koalition unbenommen, sich um den Abschluss eines spezielleren, einen konkurrierenden Tarifvertrag verdrängenden Tarifvertrag zu bemühen.“
Mit dem heutigen Urteil stehen der Gewerkschaft der Lokomotivführer ganz andere Möglichkeiten zur Verfügung Druck auf den Arbeitgeber, die Deutsche Bahn AG, auszuüben, mit dem sie sich seit Monaten in Tarifauseinandersetzungen befindet. Experten gehen davon aus, dass ein Streik im Güterverkehr zu erheblichen volkswirtschaftlichen Folgewirkungen führen wird: „Wenn der Güterverkehr auf der Schiene in Deutschland mehr als zwei Tage lang ausfällt, können die Streikenden damit ganze Produktionsketten lahmlegen“, sagte ein Wissenschaftler von der Freien Universität Berlin der Zeitung „Die Welt“, die einen entsprechenden Bericht in ihrer Internetausgabe „Welt online“ veröffentlichte. Ein Streik im Güterverkehr kostet die Bahn pro Tag nach Schätzungen von Wissenschaftlern des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) 80 Millionen Euro.
Der volkswirtschaftliche Schaden kann aber – vor allem bei einer längeren Streikdauer – noch wesentlich höher liegen, da ganze Wirtschaftsbereiche von den notwendigen Zulieferungen abgeschnitten werden könnten. Schätzungen besagen, dass der volkswirtschaftliche Schaden bis zu 50 Millionen Euro täglich betragen würde. Vor allem der Fahrzeugbau und die Stahlindustrie seien in hohem Maße von termingerechten Zulieferungen abhängig. Wenn ein solcher Streik länger als eine Woche dauere, so vervielfachen sich nach Angaben der Abteilungsleiterin im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert, gegenüber der Frankfurter Rundschau die Streikkosten auf bis zu 500 Millionen Euro pro Tag. Eine solche Größenordnung sei „volkswirtschaftlich nicht mehr zu verkraften“, sagte sie weiter.
Vor dem heutigen Urteil waren die Verhandlungspositionen beider Parteien verhärtet. Während die Deutsche Bahn AG erklärte, sie werde kein neues Angebot vorlegen, besteht die GDL nach wie vor auf einem eigenständigen Tarifvertrag für die Lokomotivführer, die sie vertritt.