Ausnahmezustand in Pakistan: USA überprüfen Finanzhilfen
Islamabad / Rawalpindi (Pakistan), 05.11.2007 wikinews – Zwei Tage nach der Verhängung des Ausnahmezustandes ist die Lage in Pakistan durch ein Klima der Einschüchterung und Gewalt gekennzeichnet. Mit den Worten „Die Polizei hat gnadenlos auf uns eingeprügelt“, beschrieb ein Rechtsanwalt die Situation in Rawalpindi, wo hunderte Rechtsanwälte gegen die Ausrufung des Ausnahmezustandes protestiert hatten. Die Polizei ging mit Tränengas und Schlagstöcken in mehreren Städten gegen Demonstranten vor. Augenzeugen berichteten von über 250 Festnahmen in Rawalpindi.
Große Protestaktionen mit zehntausenden Demonstranten wie im März, als der Richter Iftikhar Chaudhry abgesetzt wurde, blieben dieses Mal jedoch aus. Eine der größten Demonstrationen fand vor dem Hohen Gericht in Lahore (Ostpakistan) statt, vor dem rund tausend Menschen demonstrierten. Zunächst hatten hier etwa 2000 Anwälte im Gerichtsgebäude die Beendigung des Ausnahmezustandes gefordert. Als die Demonstranten dann versuchten, vor dem Gebäude eine Kundgebung abzuhalten, stürmten hunderte Polizisten das Gebäude. Auch hier setzte die Polizei Gummiknüppel und Tränengasgranaten ein. Rund 250 Demonstrationsteilnehmer wurden festgenommen.
Politische Beobachter vermuten, dass der Staatspräsident und Oberbefehlshaber der pakistanischen Armee, Pervez Musharraf, mit der Verhängung des Ausnahmezustandes vor allem einem für ihn ungünstigen Entscheid des Obersten Gerichts über die Zulässigkeit seiner Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen zuvor kommen wollte. Durch das Außerkraftsetzen der Verfassung war es dem Präsidenten möglich, den obersten Richter Iftikhar Muhammad Chaudhry, der als einer der schärfsten Gegner Musharrafs gilt, abzusetzen. Mit einer Entscheidung des Gerichts über die Rechtmäßigkeit der Präsidentschaftswahl vom 6. Oktober des Jahres war für den 15. November gerechnet worden.
Die Vereinigten Staaten gingen inzwischen auf vorsichtige Distanz zu Musharraf, Pakistan gilt als strategischer Verbündeter der USA in dieser Region, vor allem im Rahmen des Kampfes gegen den Terrorismus. Das pakistanische Grenzgebiet zu Afghanistan gilt als Rückzugsgebiet von Taliban- und al-Qaida-Kämpfern, die von hier aus ihren Kampf in Afghanistan organisieren. Die enorme strategische Bedeutung Pakistans wird zusätzlich noch durch die Tatsache bestimmt, dass das Land Nuklearwaffen besitzt. Die Reaktion der USA auf die Ausrufung des Ausnahmezustandes fiel daher vergleichsweise moderat aus, wie Beobachter einschätzten: Man wolle prüfen, ob die Finanzhilfen für Pakistan in der gegenwärtigen Form fortgesetzt werden könnten, ließ sich die US-Außenministerin Condoleezza Rice vernehmen und fügte hinzu, oberste Priorität habe für den US-Präsidenten „Amerika zu beschützen, indem er den Kampf gegen den Terror fortführt“. Seit 2001 sollen fast elf Milliarden US-Dollar nach Pakistan geflossen sein.
Die Oppositionspolitikerin Benazir Bhutto ist nun offenbar doch nach Pakistan zurückgereist, nachdem sie in der letzten Woche wegen der instabilen politischen Lage das Land verlassen hatte. Sie soll in ihrem Haus in Karachi Interviews geben, in denen sie zwar die Ausrufung des Ausnahmezustandes verurteilt, andererseits ihre Parteianhänger aber nicht zu Gegendemonstrationen aufgerufen hat. Politische Beobachter vermuten, dass im Hintergrund über eine Machtteilung mit Musharraf verhandelt wird. Politische Beobachter vermuten, ein solches Arrangement läge auch im Interesse der USA, die daran interessiert sind, in Pakistan einen verlässlichen Verbündeten in der Region zu behalten, ohne das Land zu destabilisieren. Die Oppositionsführerin Benazir Bhutto könnte dem Land als Führungspersönlichkeit wegen ihrer großen Beliebtheit in der Bevölkerung zu dem Ansehen verhelfen, das notwendig ist, um Pakistan als stabilen Faktor in der Region abzusichern. Unter Musharraf wurde Pakistan zusehends destabilisiert, die Taliban und andere islamistische Kräfte gewannen immer mehr an Einfluss. Die Grundstimmung in der Bevölkerung ist durch Anti-Amerikanismus geprägt.
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Destabilisierung der Nuklearmacht Pakistan durch den wachsenden Druck radikalisierter islamistischer Fundamentalisten werden auch die Befürchtungen verständlich, die die jetzige Situation in den Augen der USA auslösen müssen: „Das heutige Pakistan ist eine ungleich größere Bedrohung für Amerikas Interessen als der Iran von morgen“, sagte der Islamexperte Richard Bulliet. Größer als die Befürchtungen, die der Ausnahmezustand in Pakistan auslöst, sind nur noch die Ängste, dass eine demokratische Entwicklung in Pakistan zu einer noch größeren Gefahr werden könnte, in dem nämlich islamistische, anti-amerikanische Kräfte auf legale Weise die Oberhand gewinnen könnten. Das wissen auch die Machthaber in Pakistan. Der pakistanische Informationsminister Tariq Azim Khan: „Wenn die USA die Wahl haben [...] zwischen relativer Stabilität oder mehr Demokratie, die aber droht, in die Hand von Extremisten zu fallen, dann weiß ich wohl, wie sich unsere Freunde in Washington entscheiden werden.“
Die pakistanische Regierung erklärte heute, am Zeitplan für die Parlamentswahlen Mitte Januar solle trotz des Ausnahmezustandes festgehalten werden.