Antrag der PDS in Sachen NATO-Konzept zurückgewiesen - Urteil vom 22. November 2001
Durch Urteil vom heutigen Tage hat der Zweite Senat desBundesverfassungsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 2001 den Antrag der PDS-Bundestagsfraktion im Organstreitverfahren zurückgewiesen.
Der Hintergrund des Verfahrens ist in der Pressemitteilung Nr. 58/2001vom 5. Juni 2001 dargestellt, die auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht ist.
Zur Begründung seines Urteils stellt das Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen fest:
Der zulässige Antrag ist unbegründet. Die Bundesregierung hat nicht gegen Art. 59 Abs. 2 Satz 1, 24 Abs. 2 GG verstoßen, indem sie dem neuen Strategischen Konzept der NATO von 1999 (im folgenden: Konzept 1999) zugestimmt hat, ohne zuvor die Zustimmung des Bundestages einzuholen.
Das Konzept 1999 stellt keine Änderung des NATO-Vertrages dar (1.) .
Für die Fortentwicklung des Vertrages unterhalb der Schwelle der Vertragsänderung ist eine Zustimmung des Bundestages nicht erforderlich(2.).
Durch die Zustimmung zum Konzept 1999 sind auch weder die Grenzen des Zustimmungsgesetzes zum NATO-Vertrag noch die Zweckbestimmung der NATO als Bündnis der Friedenswahrung überschritten (3.).
1. Der Zweite Senat führt aus, dass ein Wille der Beteiligten, den NATO-Vertrag zu ändern, nicht zu erkennen ist. So ist schon das Fehlen einer Ratifikationsklausel als ein Indiz gegen den Vertragscharakter zuwerten. Zwar wollten alle Beteiligten die Zielsetzung der NATO insbesondere um die sogenannten Krisenreaktionseinsätze über Art. 5NATO-Vertrag hinaus erweitern. Auch aus diesem hochpolitischen Gegenstand kann jedoch nicht auf einen Vertrag geschlossen werden.
Insbesondere der Wortlaut der Vereinbarung spricht gegen die Vertragsnatur, denn der Text des Konzepts 1999 besteht weitgehend aus Lagebeschreibungen und -einschätzungen sowie allgemein gehaltenen Absichtserklärungen. Auch eine konkludente Vertragsänderung liegt nicht vor.
Fehlt es an Anhaltspunkten für einen subjektiven Vertragsänderungswillen bei den Beteiligten, muss ein deutlicher Widerspruch zu dem bereits bestehenden Vertrag vorliegen, um Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auszulösen. Das ist hier nicht der Fall.
Insbesondere die Erweiterung auf Krisenreaktionseinsätze ist noch eine Fortentwicklung des bestehenden Vertrages. Das Konzept 1999 lässt die kollektive Verteidigungsfunktion des Bündnisses unberührt und schreibt den in der Präambel niedergelegten Sicherheits- und Friedensauftrag in Hinblick auf eine tiefgreifend neue Sicherheitslage fort. Das grundlegende Ziel bleibt die Abwehr und Abschreckung von Aggressionen dritter Staaten. Zwar enthält das Konzept 1999 die im Ursprungsvertrag nicht implizierte Erweiterung auf Krisenreaktionseinsätze außerhalb des Bündnisgebiets. Hier ist das Konzept 1999 gegenüber dem NATO-Konzeptvon 1991 wesentlich verändert worden. Die im NATO-Konzept 1991 noch dominierenden Absichtserklärungen als Ausdruck des politischen Willens der Mitglieder zur Fortentwicklung des Vertrages weichen einer nunmehr konkretisierten Planung.
Der Tatbestand der Krisenreaktionseinsätze verallgemeinert die seit 1994 entwickelten Verfahren innerhalb der Bündnispartner. Dennoch ist eine objektive Vertragsänderung nicht festzustellen, es handelt sich um eine Fortentwicklung und Konkretisierung der offen formulierten Bestimmungen des NATO-Vertrages:
Der Nordatlantikrat erklärt ausdrücklich, Zweck und Wesen desBündnisses blieben unverändert. Zudem sind die gegenseitigen Pflichten bei den sogenannten Krisenreaktionseinsätzen geringer als im Verteidigungsfall; die Mitglieder koordinieren ihre Maßnahmen von Fall zu Fall nach Konsultationen; eine Pflicht zur kollektiven Reaktion besteht nicht und das Primat der Politik sowie das Procedere gelten unverändert.
Insbesondere ist festgelegt, dass die Mitgliedstaaten dabei jeweils auf der Grundlage ihres Verfassungsrechts handeln, weshalb die Bundesregierung bei deutscher Beteiligung an Krisenreaktionseinsätzen die vorherige Zustimmung des Parlaments benötigt. Auch die Ausweitung des Sicherheitsbegriffs auf neue Bedrohungen für die Stabilität im euro-atlantischen Raum und globale Risiken wahrt den Abstand zu der Aufgabe der kollektiven Verteidigung
2. Für eine derartige Fortentwicklung, die keine Vertragsveränderungdarstellt, ist eine Zustimmung des Bundestages nicht erforderlich.
Art.59 Abs. 2 Satz 1 GG kann nicht erweiternd ausgelegt werden.
Die Konkretisierung des Vertrages und seine Ausfüllung ist nach dem Grundgesetz Aufgabe der Regierung, die im Bereich der Außenpolitik einen weiten Spielraum hat. Zwar bleibt sie der parlamentarischen Kontrolle unterworfen und an das GG gebunden. Eine Zustimmungspflicht durch das Parlament bei nichtförmlicher Vertragsfortentwicklung würde jedoch nicht nur Rechtsunsicherheit hervorrufen, sondern auch die Handlungsfähigkeit der Regierung ungerechtfertigt beschneiden.
Der Gefahr einer allmählichen Inhaltsveränderung des Vertrages durch derartige nichtförmliche Weiterentwicklungen ist das Parlament dennoch nicht schutzlos ausgeliefert.
Nach dem Grundgesetz kontrolliert das Parlament die Regierung, diese muss nach Art. 43 Abs. 1 GG Rede und Antwort stehen.
In Hinblick auf das Budgetrecht des Parlaments und den Parlamentsvorbehalt für Einsätze der Bundeswehr wird sie für die Fortentwicklung der NATO werben müssen.
3. Das ursprüngliche Gesetz zum NATO-Vertrag ist durch die Zustimmungzum Konzept 1999 nicht überschritten; Art. 24 Abs. 2 GG ist nicht verletzt. Durch die Zustimmung zum NATO-Vertrag ist die Bundesregierung auch zu seiner Fortentwicklung ermächtigt worden. In Rechte des Bundestages greift die Bundesregierung erst ein, wenn sie sich außerhalb dieser ursprünglichen Ermächtigung bewegt. Das ist weder hinsichtlich des Einsatzes von Atomwaffen noch hinsichtlich der Regelungen über Krisenreaktionseinsätze der Fall.
Der NATO-Vertrag strebt eine umfassende regionale Friedenssicherung in Europa und Nordamerika an. Ändert sich das Erscheinungsbild der Bedrohungen, lässt er Spielraum für eine Fortentwicklung, solange nicht grundlegend neue Einsätze vereinbart werden.
Das Konzept 1999 hat die Bindung an die Ziele der NATO, aber auch an die durch die UN-Charta normierten Pflichten nicht aufgegeben, vielmehr ausdrücklich bekräftigt. Die vorgesehene Aufnahme neuer Mitglieder in Europa stellt eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas zur Friedenssicherung seit 1994 dar. Die Zweckbestimmung der Friedenswahrung ist durch das Konzept 1999 nicht geändert worden.
Zwar ist im GG nicht ausdrücklich definiert, was unter Friedenswahrung zu verstehen ist. Aus Art. 24 Abs.2 GG folgt aber, dass die kollektive Sicherheit eine entscheidende Voraussetzung dafür ist. Ebenso lässt sich Art. 24 Abs. 2 GG entnehmen, dass Deutschland nicht an einem Bündnis teilnehmen darf, welches nicht dem Frieden dient.
Die Entwicklung eines bereits bestehenden Bündnissystems weg von der Friedenssicherung wäre von dem ursprünglichen Zustimmungsgesetz nicht mehr gedeckt. Das Konzept 1999 enthält aber keine Anhaltspunkte für eine derartige Entwicklung. Die Einsätze sollen nach wie vor ausschließlich in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht erfolgen.
Auf die Art. 42, 48, 53 der UN-Charta wird ausdrücklich weiter hingewiesen. Auch die Konkretisierung der Einsatzvoraussetzungen in und außerhalb des Bündnisgebietes lassen keine Friedensstörungsabsicht erkennen.
Urteil vom 22. November 2001 - Az. 2 BvE 6/99 -Karlsruhe, den 22. November 2001
22 November 2001
BVerfG: NATO-Konzept 1999
Labels:
Justizwoche,
NATO,
Sicherheitspolitik
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