08 Mai 2008

Russ.Kommentar zum Sieg über den NS-Faschismus

MOSKAU, 08. Mai (Maxim Krans, RIA Novosti). Den Tag des Sieges hat ein russischer Lyriker ein "Fest mit Tränen in den Augen" genannt - sehr fein beobachtet, sehr treffend.

In der Tat, am 9. Mai feiern und ehren wir in Russland jene voller Dankbarkeit, die im blutigsten und destruktivsten Krieg der Menschheitsgeschichte, dem Zweiten Weltkrieg, durchhielten und siegten und darin die Hauptrolle spielten. Keines der Länder der Anti-Hitler-Koalition kann an Russland heranreichen, was die Zahl der vernichteten gegnerischen Divisionen, die der befreiten Länder, ja jede andere Zahl betrifft.

Doch zugleich ist das ein Tag des Gedenkens, ein Tag der Trauer, an ihm denken wir wieder an die Millionen unserer Landsleute, die an den Fronten gefallen waren, in der faschistischen Sklaverei zu Tode gepeinigt wurden, vor Hunger und wegen inhumaner Arbeit starben, an das unzählbare Heer von Verwundeten, Verunstalteten und ihres Glückes Beraubten. Die letzte hier bekannte Zahl beträgt über 27 Millionen, obwohl es sich eher um 30 Millionen Menschen handelt. Nicht einmal China, das im Grunde sieben Jahre vor Beginn des Zweiten Weltkriegs schon darin einbezogen wurde, hatte ähnliche Verluste. Der große Sieger im Krieg hat auch die größten Opfer gebracht.

63 Jahre sind seit Kriegsende vergangen, doch für viele Russen ist das nicht etwa ein historisches Sujet, ein Kapitel im Buch, ein Bild im Dokumentarfilm, sondern ein Bestandteil des Lebens jeder Familie. Wie ein Panzer rollte der Krieg über die Schicksale der Menschen und hinterließ in ihren Seelen ewig blutende Wunden und die ewige Bitterkeit der Verluste. Deshalb hat sich die Erinnerung an den Krieg unserem Volk unauslöschlich, beinahe auf genetischer Ebene eingeprägt und wird von Generation auf Generation übertragen.

Es gibt in der Welt wohl kein anderes Land, das die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg ebenso sorgsam bewahren würde. In Russland wird er der Große Vaterländische Krieg genannt, analog zum Russisch-Französischen Befreiungskrieg von 1812, als das russische Volk seine Unabhängigkeit ebenfalls in einem erbitterten Kampf gegen die Invasoren behaupten musste.

Ebendeshalb gedenkt das Volk schon seit Jahrzehnten seiner Helden und bewahrt ihnen ein ehrenvolles Angedenken. Für uns hat dieses Fest einen besonderen Sinn. Davon zeugen auch die traditionellen Meinungsumfragen an den Tagen vor dem 9. Mai. Da wäre etwa eine Befragung des Gesamtrussischen Meinungsforschungszentrums (WZIOM). Laut Angaben des Zentrums haben beinahe 60 Prozent der heutzutage lebenden Russen während des Kriegs ihre Angehörigen und Freunde verloren. Jede fünfte Familie musste wegen der Kriegshandlungen ihre Heimat verlassen. Kein Wunder, dass auch heute noch in 88 Prozent der Familien der Kriegsjahre, der damals Gefallenen oder Betroffenen feierlich gedacht wird.

Besonders bitter sind solche Erinnerungen natürlich für die ältere Generation, jene Menschen, die an der Front kämpften, im Hinterland arbeiteten oder damals noch Kinder waren. Wie jedoch die Soziologen feststellen, sind die nicht seltenen Vorwürfe der Älteren, der Jugend fehle das Verständnis, sie würden alles anders beurteilen, in Wirklichkeit ungerecht. Die Jugend zeigt ebenfalls viel Interesse an diesem Krieg. Wie eine andere WZIOM-Umfrage zeigt, hat im letzten Jahr ein Drittel der Russen im Alter von 18 bis 24 Jahren Bücher über den Großen Vaterländischen Krieg gelesen, sich mit seinen Veteranen getroffen, militärische Museen und Gedenkstätten besucht und 86 Prozent sich Kriegsfilme angesehen.

Zu einem Symbol des Gedenkens des Volkes an den heldenhaften Krieg ist in letzter Zeit die Aktion "Georgsband" geworden. Ihre Initiatoren sind IA Novosti und die Jugendorganisation "Studentengemeinchaft". Kurz vor dem Tag des Sieges befestigen die Aktionsteilnehmer in ganz Russland schon das vierte Jahr hintereinander das schwarz-orangerote gestreifte Band je nach Geschmack an den Antennen ihrer Autos, an Jacken, Rucksäcken oder an Betten in den Veteranenhospitälern. Es handelt sich um die traditionellen Farben des persönlichen Heldenmuts des Soldaten auf dem Gefechtsfeld, die in die sowjetische und russische Auszeichnungssymbolik eingegangen sind. Durch die Teilnahme an der Aktion äußern die Menschen ihren Dank jenen, die die Unabhängigkeit unseres Staates verteidigten und ihn vor dem Faschismus retteten: den Dank an die Lebenden und an die, die von uns gegangen sind, an Genannte und Ungenannte.

Die Aktion "Georgsband", die unter dem Motto "Ich habe das in Erinnerung! Ich bin stolz auf unsere Veteranen!" verläuft, hat Millionen Gleichgesinnte im Innersten berührt. Im vorigen Jahr waren über zehn Millionen solche Bänder im Umlauf, in diesem sind es in Moskau allein laut vorläufigen Angaben vier Millionen. Während zu Beginn der Aktion nur russische Bürger daran teilnahmen, haben sich ihr jetzt Einwohner vieler anderer Länder angeschlossen. Nach einigen Schätzungen hat sie in diesem Jahr beinahe 50 Staaten der Welt erfasst.

Von der Popularität und Bedeutsamkeit der Georgsbänder zeugen auch die soziologischen Umfragen. Laut Angaben der Stiftung "Öffentliche Meinung" stehen 73 Prozent der Russen positiv zur Idee dieser patriotischen Aktion. Im vorigen Jahr unterstützte sie jeder Fünfte persönlich. In diesem Jahr haben, wie die Gesellschaft Bashkirowa&Partners informiert, bereits 53 Prozent der Befragten den Wunsch geäußert, sich ihr anzuschließen.

Der Tag des Sieges wird in vielen Staaten feierlich begangen, aber wohl nur in Russland und den GUS-Ländern wirklich vom ganzen Volk. Das bestätigt unter anderem eine Befragung, die die Meinungsforschungsgruppe Romir zum 63. Jahrestag des Kriegsendes durchgeführt hat. Mehr als die Hälfte der Menschen, die auf die Fragen antworteten, haben erklärt, dass sie den 9. Mai im Kreise ihrer Familie bei festlicher Tafel in ihrer Wohnung oder auf der Datsche begehen werden. Etwa 25 Prozent der Befragten wollen sich die Militärparade im Fernsehen ansehen, genauso viele den feierlichen Salut im Freien erleben, und jeder Siebente beabsichtigt, an verschiedenen feierlichen Veranstaltungen teilzunehmen.

Hier noch ein paar beredte Zahlen aus ganz neuen Befragungen zu diesem Thema. Der 9. Mai ist für 92 Prozent der Russen nach wie vor ein wichtiger Tag (Stiftung „Öffentliche Meinung“). 58 Prozent der Bürger unseres Landes vertreten die Auffassung, dass die Ergebnisse des Großen Vaterländischen Kriegs der größte Sieg Russlands in seiner ganzen Geschichte ist und dass die Rolle dieses Sieges mit den Jahren nicht verblassen, sondern noch wachsen wird (WZIOM).

Eine solche Einmütigkeit in der russischen Gesellschaft in ihren Urteilen und Vergangenheitsauffassung ist wohl in der Einstellung zu keinem anderen Kapitel der eigenen Geschichte zutage getreten.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

KOMMENTAR

So groß die Leistungen und Opfer auch waren, sollte die russische Geschichtsschreibung nicht übergehen, dass der Auftakt zum Krieg ein Pakt Hitlers mit Stalin war und die beidseitige Okkupation Polens.

-markus rabanus-