08 Mai 2008

Russ.Kommentar zum Israel-Jubileum

Israelis und Palästinenser nach 60 Jahren

MOSKAU, 08. Mai (Maria Appakowa, RIA Novosti). Die Israelis feiern in diesen Tagen das 60. Jubiläum der Unabhängigkeitserklärung ihres Staates, die Palästinenser den 60. Jahrestag einer nationalen Katastrophe.

Weder die einen noch die anderen wissen, wann in ihrer Region endlich Frieden einkehrt. Der erste Punkt auf der Nahost-Agenda ist derselbe wie vor 60 Jahren: Können ein arabischer und ein jüdischer Staat auf dem gleichen Land friedlich nebeneinander existieren?

Doch obwohl es dieselbe Frage ist, hat sich die Situation verändert. Der Staat Israel existiert bereits seit 60 Jahren trotz der äußeren Feinde und inneren Probleme. Heutzutage hinterfragen wenige außer hartgesottenen Fanatikern Israels Existenzrecht. Das Existenzrecht ist auch von mehreren arabischen Staaten anerkannt worden.

Einige haben das offiziell getan und mit den Israelis Frieden geschlossen, einige warten ab, doch nichtsdestotrotz stellt sich heute die Frage „alles oder nichts“ im Nahen Osten nicht mehr. Die Israelis sind ihrerseits bereit, einen palästinensischen Staat anzuerkennen, sie sind auch zum Frieden mit Syrien bereit. Fragen gibt es nur nach der Höhe des Preises.

„Wir träumen von Frieden, doch nicht um den Preis einer Kapitulation, wir akzeptieren kein Diktat“, sagte der israelische Präsident Shimon Peres am Vorabend des Unabhängigkeitstags. Doch es ist kaum zu vermeiden, dass das Verlassen der besetzten Gebiete in den Augen der meisten Israelis als Kapitulation und nichts anderes aussieht. Zumindest halten sich viele bis jetzt an eben diese Meinung, vor allem in Hinblick auf die Ereignisse im Gazastreifen.

Die Israelis brauchen Sicherheitsgarantien, die die von internen Problemen gefesselte palästinensische Administration ihnen nicht gewähren kann. Das macht Frieden so gut wie unmöglich. Einen Frieden um den Preis von neuen Kriegen und Verlusten brauchen die Israelis nicht, sie ziehen Sicherheit vor, obgleich sie ohne einen endgültigen Frieden nicht zu erreichen ist.

In den Jahren seit der Staatsgründung fanden mehr als 16 500 Israelis auf Schlachtfeldern und mehr als 1500 bei Anschlägen den Tod. Allein im letzten Jahr mussten 65 Militärs und etwa 20 Zivilisten ihr Leben lassen. Es ist kein Zufall, dass Shimon Peres bei der Gedenkzeremonie für die Gefallenen Israel als „Haus hinter einem Tränenmeer“ bezeichnete.

Heute kommen weitere Namen auf die tragische Liste der Opfer, und neue Generationen von Israelis fragen sich: Wann wird auf dieser Erde Frieden einkehren? Dasselbe denken die Palästinenser, deren Opferzahlen in Zehntausenden gemessen werden.

In der nächsten Woche wird US-Präsident George W. Bush in der Region erwartet, der an den offiziellen Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag von Israel teilnehmen wird und sicher nicht ohne Erklärungen zum Verlauf der Friedensverhandlungen zwischen den Israelis und den Palästinensern auskommen wird.

Es sei daran erinnert, dass Bush im November versprochen hat, dass das Friedensabkommen vor Ende seiner Amtszeit unterzeichnet wird. Bis dahin ist kaum mehr als ein halbes Jahr, und eine Erklärung über angedeutete Fortschritte bei den Verhandlungen ist für den amerikanischen Präsidenten einfach ein Muss.

Eine Woche vor Bushs Ankunft hat US-Außenministerin Condoleezza Rice die Region, also Israel und das von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PNA) kontrollierte Westjordanland, besucht. Sie hat sowohl mit dem israelischen Ministerpräsidenten als auch mit dem Palästinenserchef Mahmud Abbas verhandelt. Nach dem Treffen mit Abbas verkündete Rice, dass die Aufgabe, die Verhandlungen zu beenden, überaus realistisch sei. Abbas sagte seinerseits, dass 90 Prozent des Weges schon bewältigt seien.

Auch die israelischen Medien meldeten nach dem palästinensisch-israelischen Treffen, das am Tag nach dem Rice-Besuch unter dem Vorsitz von Olmert und Abbas und mit Arbeitsgruppen stattfand, einen Fortschritt bei den Verhandlungen. Der Pressesprecher des israelischen Ministerpräsidenten, Mark Regev, schätzte die Verhandlungen als die ernsthaftesten, die je in der palästinensischen Frage durchgeführt wurden, ein.

Sind alle diese Erklärungen glaubwürdig, vor allem angesichts des Umstands, dass Abbas erst am Vortag zugegeben hat, dass die Seiten im vergangenen Halbjahr keinen einzigen Buchstaben zum Projekt des Friedensvertrags dazugeschrieben haben? Kein Zufall, dass palästinensische Beobachter immer häufiger von einem möglichen Rücktritt Abbas’ im Falle eines Misserfolgs bei den Verhandlungen sprechen. Der PNA-Chef gab nie eine offizielle Erklärung dazu ab.

Es kann sich um eine Art Erpressung seitens der Palästinenser handeln, damit Israel und die USA die Verhandlungen beschleunigen und mehr Flexibilität zeigen. Denn wenn Abbas zurücktritt, gibt es keinen Partner für die Friedensverhandlungen, zumindest in der nächsten Zeit. Andererseits gibt es die Frage, um welchen Kompromiss kann es überhaupt gehen? Entpuppen sich die übrigen zehn Prozent, zu denen die Konfliktparteien laut Abbas vorerst keine Einigung erreicht haben, vielleicht als Stolperstein?

Wie die Zeitung „Haaretz“ berichtete, sind die Israelis bereit, 90 Prozent des besetzten Westjordanlandes abzutreten. Die Palästinenser bestehen allerdings auf 98 Prozent. Dabei dementieren beide Parteien offiziell alle Informationen aus „informierten Quellen“, die mit konkreten Zahlen und Plänen verbunden sind.

Doch es ist für niemanden ein Geheimnis, dass das größte Problem die Verhandlungen über den Status von Jerusalem sind. Die palästinensische Seite will auf ihr Recht, Westjerusalem (Al-Quds) zur Hauptstadt ihres Staates zu erheben, nicht verzichten. Doch für den israelischen Ministerpräsidenten wäre eine Einwilligung in die Spaltung der Stadt politischer Selbstmord.

Die Zukunft der Olmert-Regierung ist im Moment ohnehin ziemlich unklar. Die von ihm angeführte Regierungskoalition besteht aus 64 Abgeordneten bei einer notwendigen Mindestzahl von 61. Die Gefahr eines Zerfalls der Regierung und einer erneuten Wahl ist die objektive Wirklichkeit, zumal gegen Olmert ein Strafverfahren eingeleitet worden ist. Was für ein Verfahren es ist, wird nach Gerichtsbeschluss vor der israelischen Öffentlichkeit geheimgehalten. Die Richter haben beschlossen, am Vorabend der Festtage und des Bush-Besuchs unnötiges Aufsehen zu vermeiden.

Doch viele Experten sind der Meinung, dass es sich um einen weiteren Korruptionsskandal handelt. Solche Ermittlungen gegen israelische VIP-Personen sind keine Seltenheit, und viele verzeichnen eine Tendenz: Je näher ein Politiker zu drastischen Schritten bei der Friedensregelung neigt, desto intensiver werden gerichtliche Ermittlungen gegen ihn eingeleitet. Vielen gelingt es, an der Macht zu bleiben, doch das erfordert Kompromisse nicht gegenüber den Palästinensern, sondern gegenüber den Koalitionspartnern. In Olmerts Fall wäre das ein Verzicht auf die Teilung Jerusalems, wenn im Gegenzug die religiöse Schas-Partei in der Koalition bleibt.

Doch selbst wenn Olmert ein Risiko wagen sollte, muss er alle abgeschlossenen Verabredungen von der Knesset und vermutlich auf einem landesweiten Referendum bestätigen lassen. Das Referendum kann genauso gut durch Wahlen ersetzt werden, die die Legitimität von Olmerts Handlungen bei den Friedensgesprächen bestätigen würden. Doch hat er Chancen auf einen Sieg?

Ein ähnliches Prozedere steht Mahmud Abbas bevor, nicht umsonst hat er vorgeschlagen, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in den Palästinensergebieten durchzuführen. Doch diese Idee wurde von der radikalen Hamas, die im Sommer 2006 die Macht im Gazastreifen erobert hatte, verworfen. Und ohne deren Zustimmung ist es unmöglich, Wahlen zu organisieren.

Somit müssen sowohl Abbas als auch Olmert auf dem Weg zum Frieden recht viele Schwierigkeiten, vor allem interne, überwinden. Schaffen sie es, oder sind weitere 60 Jahre dazu nötig?

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der der RIA Novosti übereinstimmen.