29 Mai 2008

Razzia bei der deutschen Telekomzentrale

Razzia bei der deutschen Telekomzentrale

wikinews - Bonn (Deutschland), 29.05.2008 – Heute Vormittag begann die Staatsanwaltschaft Bonn mit der Durchsuchung der Räume der Telekom-Zentrale. Wie heute außerdem bekannt wurde, hat die Behörde Ermittlungen gegen die Firma wegen der Verletzung des Fernmeldegeheimnisses eingeleitet. Zum Ermittlungsteam der Staatsanwaltschaft gehören 50 Beamte, darunter Spezialisten des Bundeskriminalamtes. Die Telekom soll seit dem Jahr 2000 die Telefone von Journalisten und Aufsichtsräten abgehört haben.

Zwei Arbeitnehmervertreter des Telekom-Aufsichtsrates, Lothar Schröder von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sowie der DGB-Vorsitzende Michael Sommer, erklärten heute Mittag auf einer Pressekonferenz, sie beabsichtigten gegen das Telekommunikationsunternehmen Strafanzeige zu stellen. Nach den Worten Sommers seien die Arbeitnehmervertreter zu dem Schluss gelangt, dass ein begründeter Verdacht gegeben sei, dass von dem Unternehmen gegen „elementare Grundrechte der Aufsichtsräte verstoßen“ worden sei.

Anleger zeigten sich bislang wenig beeindruckt von den Vorgängen in der Bonner Zentrale der Deutschen Telekom. Die Aktie legte mit einem Prozent sogar leicht zu.

Am Wochenende hatte der Telekom-Vorstand eingeräumt, dass wenigstens ein Jahr lang Telefondaten von Mitarbeitern und ihren Kontaktpersonen im journalistischen Milieu ausspioniert worden seien. Offenbar ging es dabei darum herauszufinden, wie bestimmte Informationen über Vorgänge im Konzern nach außen weiter gegeben worden sind. Unter anderem soll dabei der Chefreporter von Financial Times Deutschland (FTD) abgehört worden sein. Dazu soll im Jahr 2000 ein entsprechender Spitzelauftrag an die in Berlin ansässige Firma „Control Risks Group“ (CRG) ergangen sein. Die Firma hat laut FTD ebenfalls interne Untersuchungen eingeleitet. Auch an die Berliner Wirtschaftsdetektei Desa sollen entsprechende Aufträge vergeben worden sein.

Konzernchef René Obermann hat eine Untersuchung zur Aufklärung der Vorgänge angekündigt. Obermann soll bereits im Sommer 2007 von den Vorgängen gewusst haben und damals die Entlassung des konzerneigenen Sicherheitschefs Harald Steininger angeordnet haben. Warum Obermann nicht schon vor einem Jahr die Staatsanwaltschaft informiert hatte, ist noch unklar. Er erklärte, damals habe die Telekom wegen eines Belegschaftsstreiks unter Druck gestanden. Obermann war damals, kurz nach seinem Einstieg im Konzern, mit dem Plan an die Öffentlichkeit gegangen, 50.000 Mitarbeiter per „outsourcing“ an andere Unternehmen auszugliedern, wo sie dann für weniger Geld die gleiche Arbeit machen sollten (Wikinews berichtete). Eine schnelle Aufklärung wäre zu diesem Zeitpunkt wegen der öffentlichen Debatte um die Telekom nicht möglich gewesen. Obermann selbst war zur der Zeit, als die Abhöraktionen stattfanden, noch nicht Chef des Konzerns. Die illegalen Abhörmaßnahmen fanden statt, als sein Vorgänger Kai-Uwe Ricke das Amt des Vorstandsvorsitzenden ausübte. Am gestrigen Mittwochabend war der Vorstand des Unternehmens zusammengetreten und hatte dem Vorstandsvorsitzenden Obermann seine Unterstützung zugesichert. Auch das Bundesfinanzministerium stützt René Obermann. Der Bund ist auch nach der Privatisierung einer der größten Anteilseigner des Konzerns.

Wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, richteten sich die Ermittlungen nicht gegen den amtierenden Telekom-Vorstand, sondern an die Vorstandsmitglieder, die im fraglichen Zeitraum im Amt waren. Namen von konkreten Personen, gegen die Ermittlungen eingeleitet werden, nannte der Sprecher der Staatsanwaltschaft nicht. Ins Visier der Ermittler gerät möglicherweise auch der ehemalige Telekom-Chef Ron Sommer, der zum Zeitpunkt der Bespitzelungsaktion die Verantwortung für den Konzern trug. Zur Zeit seiner Vorstandstätigkeit soll der erste Bespitzelungsauftrag an den später zum Sicherheitschef beförderten Harald Steininger ergangen sein. Auch unter Sommers Nachfolger Kai-Uwe Ricke gab es erhebliche Verärgerungen in der Konzernspitze über Indiskretionen über bevorstehende Investitionen der Telekom in den Ausbau von Glasfasernetzen sowie die Konzernpläne zum Abbau von Arbeitsplätzen in einer Größenordnung von 32.000. Damals sollen umfangreiche Untersuchungen eingeleitet worden sein, die das Leck in der Konzernzentrale aufdecken sollten. Als Auftragsnehmer kommt ein weiteres Unternehmen ins Spiel, die Network Deutschland GmbH, die beauftragt wird, hunderttausende von Datensätzen zu überprüfen, um dem Informationsleck auf die Spur zu kommen. Dann scheint die Verantwortlichen eine Art Jagdfieber ergriffen zu haben. In das Büro des „Capital“-Wirtschaftsjournalisten Reinhard Kowalewsky wird ein „Maulwurf“ eingeschleust, der weiteren Aufschluss über die Informationskanäle des Magazins geben soll. Mit diesem prekären Auftrag wird eine Privatdetektei beauftragt. Das Wirtschaftsmagazin „Capital“ hatte einen Mehrjahresplan des Konzerns veröffentlicht. +wikinews+

KOMMENTAR:

Nun müsste mal Haftungsreihenfolge sein: Zunächst die Entscheider, dann die "Aufsichtsräte". Und zwar in Größenordnungen, dass sich solche Entscheidungen nicht mehr lohnen und auch kein Sitz im Aufsichtsrat für Leute, die ihrer Funktion zur Beaufsichtung nicht nachkommen wollen.

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