29 Mai 2008

Iran bleibt wichtige Antworten schuldig

Irans Atom-Puzzle

MOSKAU, 29. Mai (Pjotr Gontscharow, RIA Novosti). Die Situation um Irans Nuklearprogramm ist wieder einmal gespannt.

Das hängt mit dem jüngsten Bericht von IAEO-Generaldirektor Mohammed ElBaradei zusammen. Zwar ist der Bericht noch nicht veröffentlicht worden, doch einige Thesen sind in die Medien durchgesickert. Glaubt man den "entwichenen" Angaben, so sind in Irans "Atom -Puzzle" einige neue Einzelteile hinzugekommen, so dass sich das ganze Bild noch schwieriger zusammensetzen lässt.

Die Internationale Atomenergiebehörde hat Teheran wieder einmal vorgeworfen, keine "untermauerten Erläuterungen" zu seinem Nuklearprogramm zu liefern sowie Zugang zu Dokumenten und Personen zu verweigern, die bestätigen könnten, dass seine "Tätigkeit ausschließlich friedlich ausgerichtet ist". Im Prinzip war das auch früher so. Doch in der Gegenüberstellung Iran - IAEO sind Nuancen überaus wichtig. Sie bilden das eigentliche Wesen. Wie ernsthaft ist die heutige Zuspitzung der Situation und - vor allem - inwiefern überraschend?

IAEO-Chef ElBaradei verwies in seinen vorherigen Berichten auf einen Fortschritt bei der Klärung der noch offenen Fragen nach Irans früheren Atomaktivitäten, was er auch gerne stets betonte. Nicht geklärt waren und sind die militärischen Aspekte des Nuklearprogramms, mit denen sich früher "vermutlich iranische Kernphysiker befasst haben". Gerade diese einzige "offene Frage" im iranischen Atomdossier (womit sich eigentlich die "iranischen Kernphysiker befassten") wurde denn auch im letzten Bericht des IAEO-Direktors (vom 22. Februar 2008) akzentuiert.

Teheran tat, als wäre dieser Aspekt unwesentlich, da es ihm gelungen war, viel wichtigere Fragen zu schließen, etwa die "Plutoniumspuren" und anderes. Doch stimmt das nicht ganz, genauer: Das stimmt überhaupt nicht. Die Aufklärungsdienste der USA und der westlichen Staaten stellten der IAEO Informationen zur Verfügung: sowohl über das iranische Projekt zur Produktion von waffenfähigem Uran als auch über die Tests von Sprengstoffen sowie über den Bau eines Gefechtskopfes für eine Rakete, die in die dichten Atmosphärenschichten eindringen kann.

Der letzte Verdacht ist für Teheran besonders unangenehm. Die Entwicklung einer solchen Rakete, die die dichten Atmosphärenschichten überwinden kann, lässt sich mit der Entwicklung eines eigenen Raumfahrtprogramms erklären. Wie ist aber die Entwicklung ihres Gefechtskopfes zu erklären? Jeder versteht, dass bei der Entwicklung der Gefechtsteile für solche Raketen ausschließlich an atomaren Sprengköpfen gearbeitet wird.

Selbstverständlich bestritt Teheran alle Anschuldigungen des Westens, dass es nach der Entwicklung von eigenen Atomwaffen strebe und bezeichnete die von der IAEO übermittelten Angaben "fabriziert".

Doch diesmal wirkt der IAEO-Bericht (laut vorläufigen Informationen) merklich schärfer. "Nach Ansicht der Organisation kann Iran über zusätzliche Informationen verfügen, insbesondere über die Erprobungen von Sprengstoffen und die mit Raketen verbundenen Arbeiten. Diese können den Inhalt der erwähnten Forschungen, die Iran der Organisation öffnen muss, mehr ins Licht bringen", heißt es im Bericht.

Auf den ersten Blick sind die heutigen IAEO-Vorwürfe ernsthaft genug. Aber andererseits gibt die Formulierung "nach Ansicht der Organisation kann Iran über zusätzliche Informationen verfügen..." Teheran die Möglichkeit, den Besitz von solchen Informationen zu leugnen - aus dem einfachen Grund, weil sie überhaupt nicht existieren würden. Teheran hat bereits seine Kunst bewiesen, sowohl der IAEO als auch dem UN-Sicherheitsrat geschickt entgegenzutreten, sobald sie von ihm die Einstellung jeder Art von Arbeiten an der Urananreicherung und die Rückkehr an den Verhandlungstisch fordern. Bisher hat Teheran alle Forderungen erfolgreich überhört, in erster Linie deshalb, weil die IAEO keine scharfen Argumente ins Feld führte.

Irans Nuklearprogramm ist wie der doppelgesichtige Janus. Einerseits "gibt es keine Beweise für seine militärische Komponente", andererseits "bestehen keine Garantien", dass diese "Komponente" nicht in Zukunft aufkommt - und zwar in nächster Zukunft. Ungefähr in diesem Sinne äußerte sich IAEO-Generaldirektor Mohammed ElBaradei in seinen jüngsten Berichten über das iranische Nuklearprogramm.

Solche "Salomo-Urteile" haben wahrscheinlich Teheran zu der Erklärung bewogen, alle vergangenen Verhandlungsrunden mit IAEO als überaus fruchtbar zu erklären. Alle Verdächtigungen und Besorgnisse seien vielleicht zwar noch nicht beseitigt worden, aber das würden sie spätestens bis zum 21. August (die von der IAEO angeblich festgelegte Deadline), und die internationale Gemeinschaft habe keine Gründe, sich über die Urananreicherung aufzuregen. Die Behauptungen des Westens von "vermutlichen Forschungen" iranischer Atomwissenschaftler und sonstiges seien "grundlos", wie Ali Asghar Soltanieh, Irans Beauftragter bei der IAEO, in seinem Kommentar zum Bericht sagte, den die westlichen Medien in Auszügen veröffentlicht hatten.

Soltanieh betont hierbei, dass die Inspektoren "alle in Iran befindlichen nuklearen Materialien registriert haben" und dass die IAEO ungehindert ihre Untersuchungen in Iran hat fortsetzen und die gesamte atomaren Arbeiten, darunter die Urananreicherung in Natans, kontrollieren können.

Werden diese Argumente von Soltanieh ausreichen, damit die 35 Mitglieder des IAEO-Gouverneursrats am 2. Juni in Wien wieder einmal ein "hängendes" Urteil über das iranische Nuklearprogramm aussprechen? Oder wird das Urteil doch eindeutig sein: Gibt es diese vielzitierte militärische Komponente im iranischen Nuklearprogramm, ja oder nein? Die Antworten werden schon in kurzer Zeit vorliegen.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.