25 Mai 2006

Nationalpreis 2006

Herbert-Hoover-Realschule erhält Deutschen Nationalpreis

Die Herbert-Hoover-Realschule im Berliner Stadtteil Wedding erhält dieses Jahr den mit 75000 Euro dotierten Deutschen Nationalpreis. Die SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern der Realschule werden damit für ihren gemeinsam gefassten Beschluss gewürdigt, die Schulordnung um die Verpflichtung zu ergänzen, dass Schülerinnen und Schüler im unmittelbaren Geltungsbereich der Schule grundsätzlich Deutsch sprechen. Nach Ansicht der Nationalstiftung unterstreiche "diese Eigeninitiative der Schule die Bedeutung der Sprache als Integrationsvoraussetzung, ohne die kulturellen Wurzeln der beteiligten Menschen anzutasten". Die Verpflichtung habe also den Zweck, die Entwicklung eines "gemeinsamen, niemand ausschließenden Schullebens und künftiger Berufsaussichten" zu fördern.

Bekannt wurde die Herbert-Hoover-Realschule zu Beginn des Jahres 2006, als sie zwei Wochen lang im kritischen Licht der öffentlichen Meinung stand. Mit dem von bestimmten Interessengruppen popularisierten Vorwurf, sie würde als staatliche Institution die sprachliche Selbstbestimmung der SchülerInnen "nichtdeutscher Herkunftssprache" verletzten, und unter dem von den Massenmedien als "Deutschpflicht auf dem Schulhof" betitelten Thema, drang sie ins kollektive Bewusstein der sich informierenden Bevölkerung ein.

Stein des Anstoßes war eine Regel in der Schulordnung, die explizit festschreibt, dass Deutsch die ausschließliche Schulsprache der Herbert-Hoover-Realschule darstellt und alle ihr angehörenden SchülerInnen dazu verpflichtet sind, "sich im Geltungsbereich der Hausordnung nur in dieser Sprache zu verständigen".

Die von Lehrern, Eltern und Schülern paritätisch besetzte Gesamtkonferenz hatte diese Regel in einem demokratischen Verfahren im Februar 2005 beschlossen, nachdem ihr Sinn und Zweck mit allen 14 Klassen diskutiert worden war. Die Anwendung dieser Verpflichtung, die vielmehr symbolisch und regulierend erfolgt, wurde also bereits seit einem Jahr umgesetzt, als die öffentliche Meinung sich dafür zu interessieren begann.

Das Motiv, die bereits bestehende Schulordnung mit diesem Passus zu erweitern, erwuchs aus der für die Verantwortlichen intolerabel gewordenen Situation, verbale und physische Gewalttätigkeiten zwischen den SchülerInnen nicht mehr schlichten zu können.
Einer vermittelnden Verständigung, die sich auf sprachliche Gleichheit zwischen den Sprechenden gründet, standen zwei Hindernisse im Wege: Einerseits bedienten sich die SchülerInnen ihrer jeweiligen Muttersprache als Instrument zur Ausübung diskriminierenden Verhaltens und andererseits blieb den StreitschlichterInnen aufgrund ihrer unzureichender Sprachkompetenzen ein direkter Zugang zu den jeweiligen Konfliktparteien verwehrt.

Um eine Konfliktreduktion und positive Abhängigkeit innerhalb und zwischen den verschiedenen (Sprach)Gruppen an der Hoover-Schule zu erreichen, diskutierten im Herbst 2004 die an der Gesamtkonferenz beteiligten Gremien über Möglichkeiten einer nachhaltigen Herabsetzung des zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden "massiven Gewaltproblems". Dabei entstand das Konzept der Deutschpflicht, mit dem die Schule auf eine grundsätzliche Veränderung in den Einstellungen und Verhaltensweisen ihrer SchülerInnen hinarbeitet.

Der verpflichtende Gebrauch der deutschen Sprache soll zukünftig Ausgrenzungsprozesse innerhalb der Schülerschaft verhindern sowie das Gemeinschaftsinteresse bestärken, um ein freundliches und kooperatives Verhalten zwischen den einzelnen (Sprach)Gruppen zu bewirken.
Dieses Gemeinschaftsinteresse stellt die nur kooperativ zu erreichende Absicht aller SchülerInnen dar, die Zielsprache Deutsch zu erlernen. Es resultiert u.a. aus dem Wissen, dass die Schule für die meisten der 336 SchülerInnen nichtdeutscher Herkunftssprache der einzige (öffentliche) Raum ist, in dem sie ihre Sprachkompetenzen üben und entfalten können. Des Weiteren liegt es im Interesse aller SchülerInnen (und auch der LehrerInnen), in den Interaktionen als Individuen anerkannt zu werden. Im Kern bedeutet das eine gerechte respektive soziale Kommunikation, die von den meisten SchülerInnen erst noch kultiviert werden muss.
Die von den betroffenen Gruppen gemeinsam realisierte Bearbeitung des Gewalt- und Kommunikationsproblems hat jedenfalls dazu geführt, dass die SchülerInnen sich mit der Idee der Deutschpflicht identifizieren konnten und einer normativen Regelung mehrheitlich zustimmten.

Nach Ansicht der Deutschen Nationalstiftung sei dieses gemeinsame Handeln, "in eigener Verantwortung Sprachprobleme pragmatisch anzugehen, die sich aus der wachsenden Zahl von Menschen mit nichtdeutscher Muttersprache ergeben"[1], vorbildlich. "Das Vorgehen ist weit über Berlins Grenzen hinaus zu einem Beispiel eigener Interessenwahrung im Rahmen einer aktiven Zivilgesellschaft geworden", heißt es in ihrer Erklärung.
Die Verleihung des Nationalpreises findet am 27. Juni um 11 Uhr in der Französischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt statt. Die Laudatio wird der Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) halten.

Kommentar von Alexander Schminke 26.05.2006

[1] Hamburger Abendblatt, "Berliner Schule erhält Nationalpreis für »Verdienste um die Einheit Deutschlands«", unter: www.abendblatt.de/daten/2006/05/26/566584.html?prx=1