23 Januar 2008

IPPNW fordert Erstschlagsverzicht

Rückfall ins »Kalte Kriegs«-Denken
IPPNW kritisiert Erstschlagsoption der NATO

Fast unbeachtet von den deutschen Medien hat gestern eine Gruppe von Militärexperten sich für den »präemptiven nuklearen Erstschlag« als Schutz gegen internationalen Terrorismus, politischen Fanatismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen ausgesprochen. Die Ärzteorganisation IPPNW verurteilt dies als überkommenes Denken aus den Zeiten des Kalten Krieges. Die für ihren blockübergreifenden Aufklärung über die Atomkriegsgefahren mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Friedensorganisation appelliert an die NATO-Staaten, sich entschieden für die Abrüstung einzusetzen und die »nukleare Teilhabe« Deutschlands zu beenden. Auch die russische Regierung wird aufgefordert, ihre Drohungen über einen nuklearen Erstschlag zu unterlassen und stattdessen mit den USA an den Verhandlungstisch zurück zu kehren.

Die IPPNW widerspricht heftigst der Einschätzung der fünf ehemaligen Oberbefehlshaber - darunter General Klaus Naumann, ehem. Vorsitzender des NATO-Militärausschusses -, dass es »einfach keine realistische Aussicht auf eine atomwaffenfreie Welt gebe«. Die internationale Kampagne »ICAN« (www.icanw.org) die die Abschaffung aller Atomwaffen mittels einer Nuklearwaffenkonvention fordert, ist Ausdruck des mehrheitlichen Willens der Weltbevölkerung für ein Ende aller atomaren Bedrohungen. Diese Vision einer atomwaffenfreien Welt teilten jüngst auch solche hochrangigen Experten wie Kissinger, Perry und Nunn (siehe Artikel in Wall St. Journal).

Auch die jüngsten Äußerungen des Generalstabschefs Russlands, Juri Balujewski (19. Januar 2008), über die russische Erstschlagoption präsentieren keine neue Strategie und spiegeln zudem die Atomwaffendoktrin der USA. Für die IPPNW sind solche Aussagen ein »Säbelrasseln« im Streit um den Aufbau einer US-Raketenabwehr in Polen und Tschechien. Russland solle sich lieber gemeinsam mit den USA überlegen, wie die Rüstungskontrolle im Bereich Atomwaffen ausgebaut werden könnte, anstatt Verträge immer wieder zu kündigen, so die IPPNW.

»Inzwischen ist es gewissermaßen internationaler Konsens, dass der Verbreitung von Atomwaffen mit dem Stillstand ihrer Abrüstung zusammenhängt, daher wäre der beste Schutz vor einer weiteren Verbreitung von Atomwaffen deutliche internationale Abrüstungssignale seitens der Atommächte,« so Xanthe Hall, IPPNW-Abrüstungsexpertin. »Wir müssen mehr Vertrauen aufbauen, anstatt wieder ins »Kalte Kriegs«-Denken zu verfallen. Das schürt Angst und provoziert nur die weitere Aufrüstung.«

In Deutschland, Belgien und Italien gibt es Kampagnen für den Abzug der in diesen Ländern stationierten US-Atomwaffen, und für die Beendigung der »nuklearen Teilhabe« in der NATO. (Mehr Informationen: www.atomwaffenfrei.de) Die Teilhabe bedeutet, dass alle NATO-Länder in die atomare Einsatzplanung eingebunden sind und mindestens sechs Länder Piloten, Flugzeuge und Stützpunkte für US-Atomwaffen zur Verfügung stellen. In Deutschland sind schätzungsweise 20 Atombomben auf dem Fliegerhorst Büchel gelagert. Im Ernstfall würden deutsche Piloten in Tornado-Flugzeugen von der NATO definierte Ziele mit diesen US-Atombomben angreifen, die eine Sprengkraft von bis zum 10-fachen der Hiroshima-Bombe haben. Es wird geschätzt, dass 350 US-Atomwaffen in Europa im Rahmen der nuklearen Teilhabe gelagert sind.