Internationaler Lesekompetenztest: Deutsche Grundschüler liegen im oberen Viertel
Berlin (Deutschland), 28.11.2007 – Nach dem PISA-Schock des Jahres 2001 werden in Deutschland Bildungsstudien mit gespanntem Interesse aufgenommen. Mit einem hörbaren Aufatmen deutscher Schulpolitiker wurde heute die Präsentation einer internationalen Studie über die Lesekompetenz von Grundschülern quittiert. „Die Grundschule hat ihre Hausaufgaben gemacht!“ Mit diesen Worten resümieren die Autoren die Ergebnisse einer Studie zur Lesekompetenz, die heute auf einer Pressekonferenz in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die deutschen Grundschulen belegten bei der „Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung“ (IGLU), an der sich im vergangenen Jahr 45 Staaten beteiligt haben, Platz 11. Die ersten drei Plätze im internationalen Vergleich belegten die Schüler der Russischen Föderation, Hongkongs und Kanadas. Von den europäischen Ländern schnitten nur Luxemburg, Italien, Ungarn und Schweden (in dieser Reihenfolge) im Vergleich besser ab als Deutschland. Außerdem schnitt Deutschland im Vergleich zur letzten Erhebung im Jahr 2001 zusammen mit elf anderen IGLU-Teilnehmerstaaten signifikant besser ab als bei der letzten Untersuchung.
Untersucht wurde die Lesekompetenz von Viertklässlern, wobei vier verschiedene Verstehensaspekte geprüft und die Schüler entsprechend ihren Leistungen in fünf unterschiedliche Lesekompetenzstufen eingestuft wurden. Dabei ist die Lesekompetenzstufe I die niedrigste Stufe, bei der die Kinder lediglich in der Lage sind Wörter und Sätze auf niedrigstem Niveau zu dekodieren, während Kinder auf der Ebene der Kompetenzstufe IV in der Lage sind die „zentralen Handlungsabläufe“ eines Textes aufzufinden und „die Hauptgedanken des Textes“ zu erfassen und zu erläutern. Die höchste Kompetenzstufe (V) schließt die Fähigkeiten ein zu abstrahieren, zu verallgemeinern und Präferenzen zu begründen. In Deutschland erreichen durchschnittlich 10,8 Prozent der Viertklässler diese Lesekompetenzstufe V – ein Wert, den die Autoren der Studie als „unbefriedigend“ bezeichnen. Spitzenreiter ist hier Singapur mit einem Anteil von 19,4 Prozent in dieser Kompetenzstufe. Fasst man die Kinder der niedrigen Lesekompetenzstufen I und II zusammen, so erhält man laut Studie den Anteil so genannter „Risikokinder“. Dieser Wert liegt bei den deutschen Grundschülern auf dem vergleichsweise niedrigen Niveau von 13,2 Prozent.
Der Test erfolgte so, dass den Kindern ein Sachtext (im Material der Pressekonferenz ist als Beispiel ein Text über die Antarktis abgedruckt) präsentiert wurde mit der Aufforderung ihn genau zu lesen und anschließend Fragen dazu zu beantworten.
Der niedersächsische Kultusminister Busemann äußerte sich – ähnlich wie seine Amtskollegen in anderen Bundesländern – zufrieden mit dem Abschneiden der deutschen Grundschulen und wertete das positive Abschneiden als „Bestätigung des in Niedersachsen wie in anderen Bundesländern eingeschlagenen Wegs“. Zufrieden äußerte sich auch der Vorsitzende des Landesverbandes der Bildungsgewerkschaft GEW, Landesverband Nordrhein-Westfalen, Andreas Meyer-Lauber. Er mahnte aber auch zu weiteren Anstrengungen zur Unterstützung von Kindern aus bildungsfernen Bevölkerungsschichten: „Wenn Kinder aus Akademikerfamilien nur 537 Punkte, Arbeiterkinder aber im Schnitt 614 Punkte für eine Gymnasialempfehlung brauchen, ist was faul.“ Lauber vermutet, Grundschullehrkräfte orientierten sich bei ihren Übergangsempfehlungen zu stark an „der vermuteten Unterstützung der Kinder durch das Elternhaus“.
Die bisher veröffentlichten Einzelergebnisse der Studie belegen tatsächlich einen weiterhin vorhandenen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schulerfolg. Zwar zeige sich ein solcher Zusammenhang prinzipiell in allen untersuchten Ländern, die Auswirkungen der sozialen Herkunft auf die Testleistungen seien jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt. In Deutschland bestehe im Vergleich ein „relativ enger Zusammenhang zwischen Sozialschicht und Lesekompetenz“. Ein Rückstand in der Lesekompetenz von Migrantenkindern wird zwar auch belegt, jedoch resultiere dieser eher aus der sozialen Lage dieser Kinder und weniger explizit aus der Tatsache ihres Migrationshintergrundes.
Ein anderer untersuchter Aspekt war der Einfluss der Geschlechtszugehörigkeit auf die Verteilung der Lesekompetenz. Die Differenz zwischen den Leistungen von Mädchen und Jungen ist in allen Ländern belegbar: Mädchen lesen und verstehen das Gelesene in allen Ländern besser als Jungen. Allerdings zeigt sich in Deutschland, dass der Unterschied in der Lesekompetenz zwischen Mädchen und Jungen im Vergleich am geringsten ist.
Belegbar ist auch der positive Einfluss der vorschulischen Erziehung auf die spätere Ausprägung der Leseleistung. In allen Ländern, in denen solche Einrichtungen vorhanden sind, zeigten sich signifikant positive Einflüsse auf die Lesekompetenz.
Interessant ist auch ein anderes Ergebnis der Studie, die zwischen „textimmanenten Verstehensleistungen“ und „wissensbasierten Verstehensleistungen“ differenziert. Im erstgenannten Bereich liegen eindeutig die Stärken deutscher Grundschüler. Das bedeutet, sie können leichter Informationen direkt aus dem Textzusammenhang entnehmen, während ihnen die Auswertung von Informationen mit Hilfe von Hintergrundwissen schwerer fällt.
Zusammenfassend stellen die Autoren folgende Kernforderungen auf: Erstens „Erhöhung des Anteils von Lesern auf der höchsten Kompetenzstufe“, zweitens „Verbesserung der Leseleistung bei ‚wissensbasierten‘ Leseaufgaben“ und drittens: „Gezielte Förderung für Kinder mit Migrationshintergrund“.
Mit Spannung erwartet wird auch die Veröffentlichung einer neuen PISA-Studie am kommenden Dienstag, bei der die Leistungen 15-jähriger Schüler im naturwissenschaftlichen Bereich untersucht wurden.
28 November 2007
Grundschüler im Lese-Ländervergleich
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