06 September 2008

ARD: "EXIT" erneut ohne Förderzusage

Die gestrigen ARD-Tagesthemen berichteten, dass die Bundesregierung der renommierten Aussteiger-Organisation "EXIT" Fördergelder verweigere und das in diesem Bereich einzig bewährte Projekt vermutlich zum Jahresende die Arbeit einstellt.

Zum Hintergrund aus meiner Sicht:

Unser Antifa-Projekt www.Nazis.de gibt es seit 1998. Mit dem praktizierten Dialog-Anspruch waren wir von Anbeginn Ansprechpartner für Leute, die aus der rechtsextremistischen Szene aussteigen wollten und Hilfe brauchten, aber das wollten und konnten wir als eigentlich reines Internetprojekt nicht. Alle Versuche, für solche Fälle geeignete Institutionen zu finden, blieben erfolglos. Es gab weder staatliche Stellen noch Organisationen, die sich um Aussteigewillige kümmerten. Das kostete uns zehntausende DM, und dafür waren wir nicht angetreten, nicht zuständig, denn schon der Aufwand des Internetprojekts kostete an freiwilliger Zumutung längst genug, während wichtigere Themen durch das Antifa-Projekt immer zu kurz kamen.

Nach politischen Morden entstand im Jahr 2000 in Schweden eine Organisation namens "Exit", die genau das machte, was erforderlich war:
Leuten zu helfen, die zwar mit Leichtigkeit in die rechtsextremistische Szene kamen, aber bei ihrer Abkehr als "Verräter" von denjenigen verfolgt werden, mit denen sie Straftaten verübten und nun den Zurückbleibern zum Strafverfolgungsrisiko wurden.

Mit diesem Problem war auch unser Projekt konfrontiert, als Gunda und Mathias aus der NS- und NPD-Szene ausstiegen und Kontakt zu uns aufnahmen, Ortswechsel, Unterstützung und Begleitung brauchten.

Im selben Jahr gründete der Rechtsextremismus-Experte und Diplom-Kriminalist Bernd Wagner gemeinsam mit dem Ex-Rechtsextremisten Ingo Hasselbach und einer Anschub-Finanzierung des Magazins STERN den Verein "EXIT-Deutschland" nach schwedischem Vorbild. Dort kamen Gunda und Mathias unter, halfen dann ihrerseits anderen Leuten beim Verlassen der reexen Szene.

Warum keine staatliche Institution?

Es war nie möglich, Aussteiger an staatliche Programme zu vermitteln, weil der Ausstieg aus dem organisierten Extremismus längst nicht gleichbedeutend mit dem Vertrauen in staatliche Institutionen ist, sondern zunächst und zumeist nur der ausschließliche Wille zur verfolgungslosen Abkehr aus einer reexen Szene, die Aussteiger ja genau deshalb bedroht, weil sie im Verdacht stehen, reexe Straftaten an den Staat zu "verraten".

Staatliche "Aussteigerprogramme", wie es damals das Innenministerium mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz ins Leben rief, setzen einen Gesinnungswandel voraus, der entweder vollkommen Ausnahme wäre oder Fake von extremistischen Organisationen, in Umkehrrichtung zu spionieren und aus "V-Leute-Mitteln" zu finanzieren, wie es mehrfach nachweislich wurde.

Staatliche "Aussteigerprogramme" zeugen entweder von einer erschreckenden Inkompetenz oder sind Augenwischerei für eine Öffentlichkeit, die zurecht nach staatlichem Handeln gegen den Rechtsextremismus verlangt, aber anstelle von effektiver Arbeit irgendwelche Projekte "gegen Rechtsextremismus" mit Millionenbeträgen subventionieren soll, die über die Vorzeigefunktion hinaus nichts bewirken.

Dass es für Aussteiger "Schutzprogramme" geben muss, die nach dem Vorbild von "Zeugenschutzprogrammen" z.B. die Wohnadresse solcher Personen verdecken, ist hingegen ohne die Mitwirkung staatlicher Stellen kaum realisierbar oder kostet unzuständige Privatpersonen enormen und mitgefährdenden Aufwand, denn ohne Meldeadresse kein Arbeitsplatz, kein "Hartz4", keine Krankenversicherung usw., aber auch Aussteiger bekommen mal Zahnschmerzen.

Solange jemand Neonazi ist und ordentlich gemeldet, kann er sich fortlaufend in Schlägereien verletzen, weiterhin sein Großmaul riskieren und genießt dennoch alle Ämter in der Pflicht, ihm die Mieten und Zähne zu bezahlen, aber wer da raus will, den lässt der Staat im Stich, wenn er solchen Leuten nun auch noch den einzigen Notausgang verschließt, den EXIT-Deutschland für solche Leute darstellt.

Einzig das Gegenteil wäre richtig: Diesem Verein eines der vielen Häuser zu geben, die im Berlin der geschlossenen Sozialeinrichtungen massenhaft ungenutzt vergammeln, eine zuverlässige Finanzierung für eine verbesserte personelle und materielle Ausstattung zu sichern, regelmäßige Anhörungen zu organisieren, denn wer mit Extremisten befasst ist, sollte nicht auch noch Politikern hinterherlaufen müssen.

EXIT-Deutschland ist ein funktionierendes Modell, das es eher auch für bzw. gegen anderen Extremismus-Erscheinungen braucht, aber den Leutchen in den Parteien scheint nicht ernst zu sein, wenn sie vor den Gefahren des Terrorismus warnen, mit dem sie Milliarden in die Staatskassen holten (z.B. die "Terrror-Steuer" auf Tabakwaren) und fortlaufend behaupten, die Terrorismusgefahr werde unterschätzt.

Bevor ich nun schimpfe, denn ohne EXIT würde auch der Druck auf uns wieder zunehmen, werde ich zunächst mal Politiker zu uns einladen, die sich anschauen sollen, wie die Arbeit mit Aussteigern NICHT funktioniert und wie auch Behörden nicht konnten, sondern eine Organisation wie EXIT-Deutschland notwendig ist, mit Hauptberuflichen, die darauf spezialisiert sind, Aussteigewilligen den Weg in die Zivilgesellchaft zu bahnen.

Und EXIT-Deutschland ist nur für diejenigen gut, für die es nicht ohne Hilfe geht, sondern für den "Kampf gegen den Extremismus" insgesamt, denn dass Leute auch in den schwierigsten Fällen solche Ansprechpartner haben, wirkt sich auf die gesamte Szene schwächend aus.
Wer hingegen nur auf Zeugenschutz und Kronzeugen-Regelungen setzen will, macht vielen Aussteigewilligen die Sprungweite zu groß.

-msr- dialoglexikon.de/nazi-aussteiger.htm