22 August 2003

Schill - ein Nachruf

Ronald Barnabas Schill, der allseits beliebte Nachwuchspolitiker aus dem Schanzenviertel, der König der Herzen, Anwärter auf den Friedensnobelpreis 2015, ist Anfang dieser Woche schnöde kaltgestellt worden. Eben war er noch Anwärter auf das Innenministeramt in Weißrussland *und* das höchste deutsche Staatsamt (Führer), jetzt muss er sein Gesäß auf einer der harten Hinterbänke ("Holzklasse") der Bürgerschaft plattdrücken.
Erinnern wir uns noch enmal an seinen kometenhaften Aufstieg:
Bekannt wurde er durch seine kauzigen Urteile, in denen er z.B. Schwarzfahrer mit der Todesstrafe belegte und durch die er sich schnell den Kosenamen "Richter Tassenlos" erwarb. Leider wurden diese Urteile in höherer Instanz meist aufgehoben. Wenn er mal wieder einen Delinquenten fertigmachen wollte, rief er vorher Vertreter der Lokalpresse an: "Schauen Sie mal bei mir im Gerichtssaal vorbei, ich mach heute wieder einen fertig." Schon damals trat er seinen Siegeszug durch die mediale Landschaft an; gern wurde er in Talkshows eingeladen (Offener Kanal, Vera am Mittag, Larry King).
Einen ersten Dämpfer erhielt seine Karriere, als er bei einem Verfahren zwei Zuschauern "aus der linksextremistischen Szene" (Schill) als Ordnungsstrafe zwanzig Stockhiebe verabreichen ließ, weil sie "nicht richtig standen" (Schill). Er wurde daraufhin strafversetzt und durfte fortan nur noch als Linienrichter bei Spielen der Kreisliga wirken.
Doch Schill ließ sich nicht unterkriegen. Er gründete die rechtsorientierte Partei Rechter Orientierung, die auf Anhieb 19,4% bei den letzten Bürgerschaftswahlen in Hamburg schaffte, und wurde Innensenator. Als solcher glänzte er durch seine Fürsorge zu den Polizisten, deren Spinde er mit dem aktuellen Playmate des Monats ausstatten ließ. Sein Wahlkampfversprechen, die Zahl der Schwarzfahrer innerhalb eines Jahres zu halbieren, wollte er durch neue Fahrpläne (Wegfall der Hälfte der U-Bahnen und Busse) realisieren - sein Vorhaben scheiterte leider an der Uneinsichtigkeit der Koalitionspartner. Unvergessen ist sein Auftritt im Bundesrat, in dem er Bundeskanzler Schröder nicht nur für die Elbflut, sondern auch für die Ausländerflut und die Sintflut verantwortlich machte.
Dies alles scheint nun ein jähes Ende gefunden zu haben. Bürgermeister Ole von Beust ließ für seinen Innensenator die Entlassungspapiere ausstellen, nachdem Schill ihm damit gedroht hatte, ihn als angeblichen Schuhfetischisten zu outen, der einen Schuhverkäufer zum Senator ernannt haben soll (Schill: "Es gibt mehrere Zeugen, die bestätigen können, dass es in einem gewissen Laden zu *Kauf-Akten* kam!").
Schill wird nun wohl unsterblich werden. In Moskau gibt es dafür die Kremlmauer, in Paris den Pantheon, in Hamburg zieht man in den Olymp der Hamburger Originale ein. "Richter Tassenlos" wird seinen gebührenden Platz zwischen Hummel und der Zitronenjette einnehmen. Hummel Hummel? Schill Schill!

-Londo Mollari- Diskussion

08 August 2003

Kopfgeld-Jagd im Irak

Zuerst brachten die USA ein Kartenspiel in den Irak, um die wichtigsten Mitglieder des diktatorischen Regimes zu jagen,

dann wurden die beiden Söhne Husseins getötet und an den irakischen Informanten 30 Mio.US-Dollar ausgezahlt,

nun wird Saddam Hussein plakatiert mit seinen zwei durchgestrichenen Söhnen.

Wie wirken Kartenspiele, die Millionen für durchgestrichene Söhne auf die Muslime im Irak?

Bush brach nicht nur das Völkerrecht, sondern ist dabei auch dumm.
Doch wie in allen historischen Vergleichen: Da sind eine Menge Leute um so einen herum nicht anders.


  • Diskussion
  • 23 Juli 2003

    Kein Anti-Diskriminierungsgesetz?

    KOALITION IM BUND WILL KEIN ANTI-DISKRIMINIERUNGSGESETZ
    Nach einem Bericht des "Spiegel" vom 14.7.2003 will die rot-grüne Regierungskoalition im Bund in dieser Legislaturperiode kein Anti-Diskriminierungsgesetz beschließen. Eigentlich hätte die Bundesregierung bis zum 19.7. die Richtlinie der Europäischen Union über den Schutz vor Diskriminierung aus Gründen der Herkunft umsetzen müssen. Damit würde beispielsweise verhindert, dass Vermieter, Kneipiers oder Versicherungen Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer Staatsangehörigkeit schlechter behandeln. Bundeskanzler Gerhard Schröder wollte jedoch angeblich keine neuen Regelungen, die von der Wirtschaft als Hemmnisse empfunden werden könnten.

    -Sergiu- >> Diskussion

    15 Juli 2003

    US-Staatsverschuldung

    Die Bush-Politik ist katastrophal schuldentreibend: für 2003 rechnet das Präsidialam mit einem Haushaltsdefizit i.H.v. 455 Mrd. Dollar, für das Jahr 2004 sogar mit 475 Mrd. Dollar.
    Der bisherige Rekord wurde von Bushs Vater im Jahr 1992 mit 290 Mrd. Dollar aufgestellt.
    Dabei gab es unter Clinton bessere Zeiten: in den Jahren 1998 bis 2001 gab Haushaltsüberschüsse.
    Für das Jahr 2006 sei eine Halbierung der Defizite geplant, heißt es aus dem Weißen Haus, aber bis dahin dürfte George W. Bush längst Geschichte sein.

    -msr- >> Diskussion

    12 Juli 2003

    Irak-Krieg und die "Drohkulisse"

    In Washington und London werden gerade die Aktendeckel geschlossen. Den Regierenden war in Untersuchungsausschüssen vorgeworfen, den Irak-Krieg durch Täuschung der Weltöffentlichkeit begründet zu haben.

    Manch einer wird sich daran erinnern, wie oft Merkel, Schäuble und andere der Bundesregierung vorwarfen, dass durch das frühzeitige Veto gegen den drohenden Krieg die "Drohkulisse" gegenüber Saddam Hussein unterminiert worden sei, weshalb dieser sich erforderlicher Abrüstung entzogen habe.

    Tatsächlich aber brachte der Krieg die Gewissheit, dass Saddam Hussein so gut wie nichts abrüsten hatte, dass also eine ganz andere "Drohkulisse" aufgebaut war: "die Bedrohung durch Saddams Massenvernichtungswaffen", die "binnen 45 Minuten" zum Einsatz gebracht werden könnten (Tony Blair) oder die Uran-Käufe im Sudan, die es also nie gegeben hat, wie nun der CIA-Chef einräumte, um US-Präsidenten vom Vorwurf zu entlasten, in seiner Januar-Ansprache gelogen zu haben.

    Merkel und Schäuble sollten Konsequenzen ziehen, die sie alle Nase lang von anderen verlangen: Rücktritt. Denn sie haben sich skrupellos an der Bedrohungslüge beteiligt.

  • Debatte
  • 10 Juli 2003

    Italiener, ich liebe Euch!

    Nun besucht Euch unser Bundeskanzler nicht, weil er meint, dass Euer Tourismus-Stefani die Deutschen nicht für "einförmige, supernationalistische Blonde" halten solle. Aber wenn der keine anderen kennt? Claudia Schiffer ist blond. Frau Merkel weniger. - Geschmacksache.

    Warum eigentlich so verstimmt, Herr Bundeskanzler?
    Warum nicht einfach fragen, wie Stefano Stefani sein Statement meint?
    Was haben die Bayern nicht schon alles von den Preussen gehört und umgekehrt - trotzdem fahren wir in Berlin zuweilen ganz gern BMW.
    Warum bleibt der Kanzler nicht locker und sagt: "Italiener, ich liebe Euch! Und den Stefani etwas weniger."

    -msr- >> Diskussion

    08 Juli 2003

    Fall Friedman: Moralische Verurteilung eines "Moralapostels"?

    So oft ich mich über ihn ärgerte, wenn es um seine Parteipolitik und um den Irak-Krieg ging, so sind mir keinerlei Moralappelle Friedmans erinnerlich, in denen es um Drogen, Alkohol oder Prostitution gegangen wäre.
    Friedmans Bekanntheit resultiert einzig aus seiner Aktivität als politischer Fernsehmoderator, Journalist und Funktionär des Zentralrats der Juden.
    Als Privatperson versagte er strafrechtlich. Als politische Person zog er mit Rücktritt die Konsequenz daraus, dass sein privates Versagen anderen politisch schade.
    Das ist höhere Moralität. Alle Achtung für solch seine Entschuldigung.
    Und ich wünsche uns, für ihn und für das Ganze, dass Menschen, deren Fehler öffentlich wurden, zurückkommen können. - Es wäre ein Beitrag gegen die Scheinheiligkeit des Ganzen und des Individuums.
    Ich wünsche, dass der hessische Rundfunk mit Friedman eine Pause und eine Rückkehr verabredet.

    -msr- Diskussion

    07 Juli 2003

    Eichel, Staat und Börsenmafia

    Hedge-Fonds sind Aktien-Wetten, bei denen auf teil minimale Veränderungen an den Märkten Gewinne oder Verluste gemacht werden können.

    Es gibt zur Zeit weltweit über 6000 Hedge-Fonds, die überwiegend in Steuerparadiesen wie den Bermudas verwaltet werden, während sie in Deutschland unzulässig sind.

    Heute meldeten die Agenturen, dass Bundesfinanzminister Eichel (SPD) die Hedge-Fonds auch in Deutschland zulassen möchte, um den Finanzstandort Deutschland "attraktiver" zu machen.

    Warum? Weil unser Staat fortlaufend nach Dingen sucht, mit denen er seine unsoliden Haushalte zu stützen sucht. Dass Eichel "strenge Auflagen" machen will, um den Kleinanleger zu schützen, ist barer Unsinn, denn man bräuchte gar nicht erst zu gestatten, was Wette und Betrug in Deutschland größere Spielräume verschafft.

    Wenn Deutschland etwas gegen seine vermeintliche "Benachteiligung" als Finanzplatz tun möchte, dann sollte sich der Außenminister dafür einsetzen, dass die internationalen Finanzplätze ihre Wettbuden schließen. Die Gier des Staates geht den heutigen Politikern vor die Interessen der Verbraucher.

  • Diskussion
  • Irak-Kommentar: Die erfolglosen "Pragmatiker"

    Irak, Kosovo, Afghanistan, Irak - zu welchem Krieg auch immer sich "unser Westen" aufmachte und dafür warb, waren es Lügen und Übertreibungen, mit denen sich die westliche Weltöffentlichkeit für den Krieg gewinnen ließ.

    Verhandlungen wurden nicht konsequent geführt und die westliche militärische Überlegenheit verleitete zum Angriff.

    In keinem der Kriege waren die Gründe rechtlich gegeben, in keinem der Kriege waren die Ziele ausgearbeitet oder rechtlich gedeckt. Solche Politik ist völkerrechtswidrig und kann auch nicht durch UNO-Verhalten "geheilt" werden, allenfalls werden die Völkerrechtsverstöße durch UN-Sicherheitsratsbeschlüsse in ihrer Dimension "gemildert".

    Auch die unrechtliche, "pragmatische" Beurteilung des Kriegs gegen den Irak zeigt, dass der Krieg kein probates Mittel war, um Saddam Hussein zu entmachten. Fast jeden Tag werden nach dem offiziellen Kriegsende "Befreier" getötet und die Soldaten von USA und GB können einem eigentlich nur leid tun, von den Befreiten so wenig Rückhalt zu bekommen, dass es möglich ist, beispielsweise auf dem Gelände der Universität und vor dem Nationalmuseum buchstäblich hingerichtet zu werden.

    US-Soldaten und GB-Soldaten ließen sich von ihren Regierungen in eine aussichtslose Situation manövrieren, in der sie den Befreiten als Befreier nicht genügen können.

    Für die Abrüstung des Iraks gab es Alternativen zum Krieg, für die Demokratisierung auch.

    Notwendig waren und sind politische und rechtliche Reformen der UN, die sehr wohl auch militärische Mittel zur Rechtsdurchsetzung vorsehen, aber die archaische Gewaltpolitik muss der Vergangenheit angehören.

    Diesen Prozess der internationalen Rechtsentwicklung muss Anliegen deutscher und europäischer UNO-Politik sein.

    "Kein staatliches Handeln ohne Gesetz" muss zur obersten Politik-Maxime werden. Innerstaatlich ist das anerkannt. Außenpolitisch ist diese Maxime nicht weniger erforderlich.

    -msr-

    Die Farce: Freispruch für Tony Blair

    Ein Untersuchungsausschuss des britischen Unterhauses sprach Premierminister Tony Blair und dessen Minister von dem Vorwurf frei, das Parlament über die Gründe für den Irak-Krieg getäuscht zu haben.

    Das parteiübergreifende Gremium hielt lediglich an der Kritik fest, dass Blair "übermäßig betont" habe, Saddam Hussein könne binnen "45 Minuten mit seinen Massenvernichtungswaffen zuschlagen".

    Dass sich eine demokratisch gewählte Regierung überhaupt leisten kann, die Welt in Fragen von Krieg und Frieden derart zu täuschen und dabei Geheimdienst-Dossiers verwendete, die von einer studentischen Arbeit abgeschrieben und vollkommen veraltete Szenarien als akute Bedrohung verbreiteten, ist m.E. allein schon Grund genug, Blair und Co. vor den Internationalen Strafgerichtshof anzuklagen.

    Wenn es keine "Täuschung" war, sondern "Irrtum", dann könnte Blair strafrechtliche Entlastung dadurch suchen, dass er seinerseits getäuscht wurde, aber Verantwortlichkeit in der Politik kann und wird es eben nur geben, wenn man Menschen in die persönliche und gegebenenfalls strafrechtliche Verantwortung für ihr Tun nimmt.

    -msr- Diskussion

    03 Juli 2003

    Silvio Berlusconi und die "Betroffenheit"

    2.7.2003 - Italiens Medienunternehmer und Ministerpräsident Silvio Berlusconi gab in seiner ersten Rede als turnusmäßiger EU-Ratspräsident vor dem Straßburger Parlament ein Beispiel seiner moralischen Unbefangenheit, als er in Replik auf eine Kritik des Sozialdemokraten Schulz sagte:
    "Herr Schulz, ich weiß, dass in Italien derzeit ein Produzent einen Film über Nazi-Konzentrationslager dreht. Ich würde Sie für die Rolle des Kapos vorschlagen. Sie wären perfekt dafür."

    Nach einer Sitzung der konservativen Fraktion entschuldigte sich Berlusconi "beim deutschen Volk, dessen historische Empfindsamkeit mit der Äußerung nicht treffen wollte".
    In Berlin und Rom wurden diplomatische Protestnoten ausgetauscht.

    Kommentar:

    Wer die Bilder zeigten, dass Berlusconi seinen Spruch für eine humorvolle Polemik hielt, mit der er Martin Schulz in Sekundenschnelle zu einem medien-prominenten Mann machte. Man könnte ihn allenfalls seiner politischen Dummheit schelten und am Verstand der italienischen Wähler zweifeln, die einen solchen Mann in der Politik zu dulden. Aber vor allem letzteres werden die Berlusconi-Kritiker in ihrem Normal-Opportunismus nicht wagen. Den Wähler beschimpft man nicht.
    Stattdessen eilte man nach dem Spruch von Berlusconi in die für solche Vorfälle typische "Betroffenheit". Europa werde durch Berlusconis Ratspräsidentschaft Schaden nehmen usw. Der Mann sei unberechenbar. -
    Ja, das stimmt alles. Aber wer sich ernsthaft daran stört, dass Politiker von ihrer Selbstherrlichkeit Gebrauch machen, sollte in Europa für Gesetze sorgen, die der Selbstherrlichkeit begegnen, etwa dadurch, dass nationale Gesetze, die führenden Politikern besondere Immunität zusichern, gegen EU-Recht verstoßen. Und Silvio könnte ab sofort wieder wegen der Korruptionsvorwürfe vor Gericht.
    Oder eben auch durch ein EU-Gesetz, dass die Ämterverquickung von Wirtschaftsunternehmen und Politik verbietet, aber damit würde man sich in fast jeder EU-Parlamentsfraktion ins eigene hungrige Fett schneiden.
    Und von solchen Forderungen war auch der Rede von Martin Schulz nichts zu entnehmen, der zwar zurecht die persönliche Integrität Berlusconis angezweifelt hatte, aber keinen Verstand dafür andeutete, wie das anders als durch moralisches Gejammer politisch, also vor allem gesetzlich zu regeln ist.
    Viele Parlamentarier scheinen nicht zu wissen, was ihre eigentlich parlamentarische Aufgabe ist: Gesetzgebung, Gesetzesverbesserung. Stattdessen vertun sie Zeit und Steuergeld mit mehr oder minder dummen Wahlkampfrhetorik.
    Berlusconi, kein Nervenkitzel für mich, sondern nur ein etwas krasseres Symptom für die Demokratiedefizite Europas.


  • Diskussion

  • http://www.dialoglexikon.de/berlusconi.htm

    15 Juni 2003

    Die Europa-Blocker kommen durch die "Hintertür"

    Da redeten sie jahrelang, dass es der Welt an der "Stimme Europas" fehle - und jetzt, wo sie mit der vorgelegten EU-Verfassung nicht mehr lange darauf warten müssten, da blasen sie zum Rückzug. - Warum eigentlich?
    Der EU-Verfassungsentwurf verlangt auf den wichtigsten Politikfeldern die Mehrheitsentscheidung anstelle des ineffektiven Konsensprinzips. Vorbei wäre es mit EU-Gipfeln, von denen kaum mehr bleibt als das Gruppenfoto von Nasen, die solange nach dem minimalsten Minimalkonsens suchten, bis sich für ihre Luftblasen niemand mehr zu interessieren brauchte, weil viel wichtiger war, welche EU-Staaten kraft alter Souveränität ihre Heere auf die Schlachtfelder befahlen oder in heimischen Kasernen beließen.

    Und nun? Nur noch Provinzchef und vorbei ist es mit Audienzen bei Bush, weil die Politik der großen, weiten Welt künftig in Brüssel gemacht wird?

    Bayerns Stoiber mag in solchen Bedeutungsverlust nicht einwilligen und will die EU-Verfassung im Bundesrat blockieren, also die letzte Chance nutzen, am Dualen System der bisherigen Machtvollkommenheit aus Bundestag und Bundesrat festzuhalten, um sich nicht eine Etage tiefer wiederzufinden, sobald oben eine europäische Etage aufgestockt wurde. Und Stoiber traut dem Mehrheitsprinzip nicht, denn des Landesvaters Veto im Bundesrat kann in Europa nur wirken, solange es in Brüssel beim Konsensprinzip bleibt und die deutsche Stimme vom europäischen Chor nicht überstimmt werden kann.

    Aber womit versucht der Lastminute-Nörgler das Volk für seine Demokratie-Blockade zu gewinnen?

    Stoiber wörtlich: "Über die Hintertür könnte es dazu kommen, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylsuchende von der EU per Mehrheitsabstimmung geregelt wird."

    Fällt einem nichts Gescheites ein, dann müssen es eben Appelle an die niederen Sinne im Ländle sein, gegen die "Asylsuchenden" also und durch die "Hintertür" dazu. Das sind die Stichworte mit Streubombenwirkung, also Stichworte für den hessischen Christenmenschen Roland Koch, der sogleich verkündet, dass Deutschland "extrem schlechte Erfahrungen mit Europa bei der Zuwanderung" gemacht habe.

    Wirklich "extrem", aber das war uns Bürgern so noch gar nicht bewusst, dass Europa so schlecht zu uns gewesen sein soll. Man darf gespannt sein, wie nun die CDU-Vorsitzende Merkel die scharfe Rechtskurve nehmen will, denn sie hatte bislang den Verfassungstext als "großen Erfolg für Europa" gelobt.

    Vielleicht überraschen die Parteibuch-Christen nach ihrer Unterstützung für den Irak-Krieg nun durch eine Unterschriftenkampagne unter dem Motto: "Kinder statt Asylsuchende!" -msr-

  • EU-Verfassung ohne Referendum?
  • 02 Mai 2003

    Alljährlicher Mai-Krawall und Dilettantismus



    Bei den gestrigen Mai-Krawallen wurden mehr als 170 Polizeibeamte verletzt und erhebliche Sachschäden verursacht. Angaben über die Verletztenzahl auf Seiten der Krawallmacher und Krawallunbeteiligter liegen nicht vor. Es gab mehr als 200 Festnahmen. Insgesamt scheinen die Schäden geringer als in den Vorjahren. -

    Nun zanken wieder die Parteien um die "Härte", mit der Polizei gegen Krawallmacher vorzugehen habe. Um vernünftige Analysen und tatsächliche Problemlösungen geht es in der diesjährigen Debatte so wenig wie in den Vorjahren. Stattdessen Profilierungsversuche auf Kosten der öffentlichen Sicherheit auch gerade von denen, die mit "Law and Order" für ihre oppositionelle Hauptstadtpolitik werben wollen, aber in den vielen Jahren ihrer eigenen Regierungszeit nichts zu Wege brachten, ob sie nun die Knüppel schwingen ließen oder entgegen ihren schroffen Sprüchen doch pragmatische Zurückhaltung übten, beispielsweise durch ihren damaligen CDU-Bausenator Rastemborski mir persönlich die Schlüssel zu einem großen leerstehenden Mietshaus aushändigten, um eine gewaltsame Besetzung durch Extremisten zu vermeiden und "Ruhe" in der Stadt vorzutäuschen.

    Die Gesamtstrategie und Taktik der Polizeiführung war in diesem Jahr immerhin besser als in den Vorjahren und Eskalationen wurden durch die Begrenzung von Aktionsräumen klug vermieden.

    Noch liegen uns keine näheren Informationen vor, aber ich nehme an, dass es auch dieses Jahr weder Prävention gegeben hat noch die Vorraussetzungen für die Ergreifung von Straftätern geschaffen wurden, Markierungsmittel, Videodokumentation, ...

    Prävention wäre beispielsweise, wenn Personen, die wegen Demonstrationsstraftaten verurteilt wurden, mit einem Demonstrationsverbot belegt würden. Bei Wiederholungstätern (=häufig nach Aktenlage der Fall) wären solche Personen unter Hausarrest zu stellen.

    Die Mängel in der Videodokumentation sind mir seit Jahrzehnten absolut schleierhaft. Wer mal das Vergnügen hatte, sich solche "Polizei-Videos" anschauen zu können, könnte annehmen, dass die dafür eingesetzten Beamten in Diensten der Krawallmacher stehen, jedenfalls waren die aus den Videos geschnittenen Fotos vom 1.Mai 2002 unbrauchbar und wurden somit vollkommen überflüssig auch noch auf Vielfarb-Fahnungsplakaten gedruckt. Das LKA sollte mal Auskunft geben, ob überhaupt ein einziger Straftäter auf diese Weise ermittelt werden konnte. Ansonsten war es Steuermittelverschwendung und kontraproduktive Diffamierung des Demonstrationsrechts.

    Erklärbar ist solch Versagen nur mit einer außerordentlich schlechten Ausbildung der Einsatzkräfte, an der sich also bis 2002 nichts geändert hatte. Auf die diesjährigen "Fotos" bin ich gespannt.

    Markierungsmitteln wären keine Allheilmittel, können sogar Verwechslungen bewirken, wenn zwischentretende Fried-Demonstranten getroffen werden, aber die Polizei hat ohnehin keine Ergriffenen zu schlagen usw., sondern im Abgleich mit anderen Dokumentationsarten die Verdächtigten der Strafverfolgung zuzuführen (und nicht selbst zu "strafen"). Auch letzteres scheint vielen Polizeibeamten nicht hinreichend bewusst zu sein, wenn sie auf Demonstranten eindreschen, was auch dieses Mal reichlich stattfand.

    Wenn ich verbesserte Prävention, Dokumentation etc. fordere, dann darf das nur in Kombination mit verbessertem Datenschutz einher gehen. Also müssten die Videos Datenschützern vorgelegt werden und binnen einer zu begrenzenden Zeit um alle Sequenzen geschnitten werden, die Unverdächtige dokumentieren, denn tatsächlich hat der Staat kein Recht zur Erfassung politischer Aktivitäten gesetzeskonformer Bürger.

    Hinsichtlich der Reaktionslosigkeit von Fried-Demonstranten gegenüber mitmarschierenden Krawallmachern äußerte ich mich in den Vorjahren oft genug und verweise auf die Webseite.

    -msr-

    01 Mai 2003

    "Wachstum und Beschäftigung fördern - Sozialstaat erneuern"

    Die Wachstums- und Beschäftigungskrise in Deutschland erfordert nach Ansicht des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer klare Reformen in der Finanz- aber auch der Sozialpolitik. Auf der zentralen 1.Mai-Kundgebung des DGB in Neu-Anspach (Hessen) verurteilte Sommer den Sparkurs der rot-grünen Koalition. "Richtig wäre es, die Steuerreform insbesondere für die Bezieher geringer und mittlerer Einkommen vorzuziehen, um die Massenkaufkraft zu stärken", sagte Sommer. Außerdem müsse der Bund gewerbliche und private Investitionen durch direkte Zuschüsse fördern. Auch die Kommunen bräuchten "direkte Investitionshilfen", damit sie in der Lage seien, "Straßen zu reparieren, Schulen zu renovieren und Ganztagseinrichtungen für Kinder zu schaffen".

    Das Grundübel der Massenarbeitslosigkeit sei nicht ein überbordender Sozialstaat sondern die seit mehr als zwei Jahren andauernde wirtschaftliche Stagnation. In Folge steigender Arbeitslosenzahlen gerieten natürlich auch die sozialen Sicherungssysteme unter Druck.

    Sommer kritisierte die zunehmende Verantwortungslosigkeit vieler Arbeitgeberfunktionäre, Manager und Besitzer großer Vermögen. Während die einen "schwitzen und weinen, gehen diese Herrschaften golfen und greinen". Damit es diesen Leuten noch besser gehe, forderten sie einen Abbau sozialer Sicherheiten. "Sie wollen endlich wieder heuern und feuern wie in Amerika. Und letztlich wollen sie die Löhne drücken."

    Sommer forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder auf, die von ihm am 14. März verkündete Reformagenda 2010 zu überdenken. Er dürfe die seit 20 Jahren erfolglose Politik des Sozialabbaus nicht fortsetzen. "Wer erfolgreich modernisieren will, muss wissen, dass das nur auf Basis sozialer Gerechtigkeit geht." Kürzungen von Arbeitslosengeld und -hilfe, eine Aufweichung des Kündigungsschutzes oder die Senkung der Nettolöhne durch eine Privatisierung des Krankengeldes seien keine geeigneten Wege aus der Wirtschaftskrise.

    Der DGB-Vorsitzende unterbreitete Schröder ein Gesprächsangebot. "Natürlich sind wir bereit, mit Dir über eine sinnvolle Reformpolitik zu diskutieren", sagte Sommer. Allerdings dürfe es dabei "nicht nur um Änderungen von Details gehen".

    Sommer forderte eine Erweiterung der Agenda um eine konjunkturgerechte Reform der Finanzpolitik. Außerdem müssten die sozialen Sicherungssysteme neu finanziert werden. "Es ist nicht länger hinnehmbar, dass letztendlich nur die Arbeitnehmer und die personalintensiven Betriebe das System bezahlen und der Rest sich fein raushält." Der Faktor Arbeit müsse entlastet werden - aber nicht auf Kosten der Arbeitnehmer, Erwerbslosen und ihrer Familien. Die Sicherungssysteme müssten stärker über Steuern finanziert werden.

    Quelle: DGB-Presseerklärung

    aber >> Kritik an DGB-Positionen

    26 April 2003

    Forderung: Strengeres Waffenrecht

    An jenem April-Tag 2002, als in Erfurt ein frustrierter Schüler 17 Menschen und sich selbst mit einer "legalen Sportwaffe" erschoss, hatte der Bundestag zwei Stunden zuvor einer Verschärfung des Waffengesetzes zugestimmt:
    Künftig werden u.a. das "Führen" von Gas- und Schreckschusswaffen an einen "kleinen Waffenschein" gebunden und der "Umgang" mit bestimmten Arten von Stichwaffen verboten.

    Meines Erachtens ist auch diese Gesetzesnovelle unzureichend, da die Tathandlungsbeschreibungen "Führen" und "Umgang" nicht die erforderliche Präventionstiefe haben. Der Gesetzgeber hätte den "Besitz" und den Handel einschränken sollen. Warum traut sich der Gesetzgeber nicht?

    Nach Zeitungsberichten sind in Deutschland schätzungsweise 7,2 Mio. Waffen in Privathand von etwa 2,3 Mio. Bürgern. Jeder kann sich das Risikopotential vorstellen, das sich aus solcher Dimension privater Waffenvorhaltung ergibt.

    Diese Zahlen lassen erahnen, dass es beim Privatwaffengeschäft um nicht unerhebliche Wirtschaftsinteressen geht.

    Und es geht um Wählerstimmen, denn Waffenbesitzer identifizieren sich oft fast religiös über "ihre Waffe", denn "Waffen machen stark".

    Wieder einmal scheinen die Parteien mehr darauf zu schielen, dass ihnen ja auch keine "Wählergruppe wegknallt" als auf weitere Erhöhung der öffentlichen Sicherheit, die durch Herstellungs-, Import-, Handels- und Besitzrestriktionen zu erreichen gewesen wären.

    PRESSEMITTEILUNG NR. 251 der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
    Datum: 25. April 2003

    Zugang zu Gas- und Schreckschusswaffen erschweren

    Zur Diskussion über das neue Waffenrecht erklärt Silke Stokar, innenpolitische Sprecherin:

    Rot-Grün hat ein neues verschärftes Waffenrecht geschaffen, das seit Anfang des Monats in Kraft getreten ist.

    Die Kritik an der zu laschen Regelung für Gas- und Schreckschusswaffen im neuen Gesetz ist berechtigt. Die Registrierung beim Verkauf ist nur ein bescheidener Fortschritt gegenüber der alten Regelung. Wir hatten uns bei der Verabschiedung des Gesetzes vehement für eine weitergehende Verschärfung beim Zugang zu diesen durchaus gefährlichen Waffen eingesetzt. Die Bundesländer haben jedoch einen zu großen Verwaltungsaufwand befürchtet. Das Waffengesetz ist im Bundesrat zustimmungspflichtig, so dass der Bund hier nicht allein agieren kann.

    Es ist wünschenswert, wenn die neuere Diskussion zu einem Umdenken bei der unionsgeführten Mehrheit im Bundesrat führen würde. Der Zugang zu diesen Waffen muss erschwert werden.


    Kurzkommentar: "Richtig"

    Wir diskutieren die "heißen Eisen" im >> Forum

    08 April 2003

    Trauer um den Journalisten Christian Liebig

    Lieber Herr Markwort,

    mit Entsetzen nahmen wir zur Kenntnis, dass nun auch Christian Liebig auf seiner gefährlichen Mission im Irak Opfer eines Krieges wurde, den wir wie so viele Kriege für vermeidbar hielten und der so unnötiges Leid über die Menschen bringt.

    Doch gerade weil Krieg selbst der Gipfel politischer Verantwortungslosigkeit ist, liegt es in höchster Verantwortung von Journalisten, darüber zu berichten und Weltöffentlichkeit herzustellen.

    Wir bitten Sie, seiner Familie und seinen Freunden auch in unserem Namen das tief empfundene Beileid auszusprechen.

    Markus S. Rabanus
    Internet-Journal
    Berlin, 8.April 2003

    24 März 2003

    Wer gewinnt den Irak-Krieg ?

    In den vorherigen Friedensappellen und Diskussionen beschäftigten wir uns mit Fragen, die zwischenzeitlich von der "Military Action" überholt wurden. Es ging um Kriegsverhinderung, also um Alternativen zum Krieg, die viele in ausgedehnten UN-Waffeninspektionen sahen. Es ging um das Völkerrecht. KLICK

    All das ist Schnee von gestern. Die USA entschieden sich für militärisches Handeln und wollen durch gezielte und massive Schläge die irakische Führung zur Kapitulation zu veranlassen, wenigstens aber die irakische Armee demoralisieren.

    Einschüchterungsstrategie scheitert
    Indessen bestätigen sich unsere Befürchtungen:


    1. Diktatoren kapitulieren nicht, wenn ihnen kein Schlupfloch bleibt,
    2. die militärische Moral der irakischen Truppen wurde unterschätzt.

    Dieser Irak-Krieg droht "schmutziger" zu werden
    Die Kämpfe weiten sich aus, finden nicht wieder in den Wüsten statt, in denen die irakischen Truppen schon 1991 den Alliierten hoffnungslos unterlegen waren, sondern in den Vororten und Städten.
    Die US-Regierung trägt für diese Entwicklung Mitverantwortung, denn es war vollständig naiv, die irakischen Truppen erneut in einer Strategie des ersten Irak-Kriegs zu erwarten.

    Medikamente und Wasser statt Bomben

    Schon seit dem ersten Freitag nach Kriegsbeginn ist die Wasserversorgung in einigen bombardierten Großstädten zusammengebrochen. Die Temperaturen steigen tagsüber oft auf mehr als 30 Grad und die private Vorsorge der Städter wird sich erschöpfen, wenn nicht schnellstmöglich notwendigste Instandsetzungen erfolgen.
    Zudem werden immer mehr Menschen verletzt in die durch jahrelange Embargo-Politik ohnehin runtergekommenen Krankenhäuser eingeliefert.

    Statt weiterer Bomben müssten Medikamente und Hilfsgüter über dem Irak abgeworfen werden.

    Die USA und GB sollten nicht vergessen, dass sich ein militärischer Sieg in eine politische Niederlage wandeln würde, wenn die Versorgung der Zivilbevölkerung zu große Defizite leidet.

    Es wurde mit Tausenden von "Präzisionswaffen" die offizielle Infrastruktur des irakischen Regimes zerstört. Diese vermeintlich saubere Militärstrategie wird jedoch nicht die Subsysteme der Infrastruktur ausschalten, über die sich Saddams Streitkräfte im Schutz der Zivilbevölkerung organisieren werden, wenn die Zivilbevölkerung noch mehr unter dem Krieg gegen den Diktator leidet und sich deshalb zunehmend mit ihm vereint.

    Der Krieg kostet viele hundert Milliarden US-Dollar und britische Pfund. Was haben die Flugzeuge geladen? Was haben die Soldaten im Gepäck?


    Was bringt der Krieg den Menschen, die ihn überleben sollen?

    Frieden, Freiheit, Demokratie und all die vielen schönen Dinge VERLIEREN,
    wenn es an humanitärer Hilfe fehlt.

    -markus rabanus-

    20 März 2003

    20.03. IRAK-KRIEG = Bruch des Völkerrechts

    Das ist kein Sonnenaufgang über Bagdad, sondern Krieg. Vor Tagesanbruch gingen die Angriffe los.

  • irakkrieg.htm
  • 07 März 2003

    Energiepolitik und Risikokalkulation

    von Redaktion am 7.Mar.2003 15:56 

    Hallo Andreas,

    die Filtersysteme für konventionelle Kraftwerke haben sich in den letzten Jahrzehnten enorm verbessert.

    In der Energiepolitik geht es auch weniger um den Vergleich von Kohlekraftwerken und Atomkraftwerken, sondern um

    a) sparsamen Ressourceneinsatz, wovon wir in den Industrienationen mit unserer Wegwerf-Mentalität weit entfernt sind,

    b) Energieerzeugung, die wie Wasserkraft, Windkraft, Geothermik, Solarenergie, Biowärme, Wärmerückgewinnung, Wärmekopplung allenfalls in der Anlagenherstellung und Entsorgung Schadstoffe anfallen lässt.

    Die These, wonach ein GAU nur alle "100.000 Jahre" passieren könne, entstammt möglicherweise dem Werbeprospekt eines AKW-Herstellers, ist aber wissenschaftlich unsubstantiiert und würde auch bei Verifizierbarkeit bedeuten, dass sich mit jedem AKW die Katastrophenwahrscheinlichkeit erhöht ("100 AKWs = 1000 Jahre", "1000 AKWs = 100 Jahre", 10000 AKWw = 10 Jahre":-)

    In anderen "Studien" geht man von einem GAU-Risiko von "alle 1000 Jahre" aus. Da wäre es dann also schon gefährlicher.

    Solche Wahrscheinlichkeitsrechnung ist für eine Risiko-Kalkulation jedoch hoffnungslos unzureichend und irreführend, viel bedeutsamer ist:

    das Sicherheitsniveau der Anlagen ist höchst unterschiedlich; beginnend mit dem Bau unter Berücksichtigung von verschiedenster Sozial- und Umweltfaktoren (z.B. Nähe von Großstädten; Windrichtungen, Erdbebengebiete, Terrorismusgefahren, Luftverkehr), sodann auch wirtschaftliches Niveau der Betreibergesellschaften, also Wartungssicherheit, Konkurrenzdruck usw.usf.

    Sodann ist im unmittelbaren Vergleich von Energie erzeugenden Anlagen abzuwägen, welche Dimension Störfälle haben können.

    Zieht man zu einem solchen Vergleich die Störfälle von Tschernobyl und Taikamura heran, die jeweils noch auf bestimmten Leveln begrenzt werden konnten, so deutet sich die volkwirtschaftliche Unvernunft von Anlagen an, die ihren Investitionshorizont auf einen letztlich nicht haftenden Investor beschränken, der nur solange existiert, wie es "funktioniert" und sich im ausreichend großen Havariefall aus den Handelsregistern streichen lässt, während sich die Manager und Anleger zu anderen Ufern aufmachen.

    Das waren jetzt sehr prinzipielle Einwände gegen die industrielle Nutzung von Kernenergie, aber sie sind allein aus den letzten 20 Jahren hinreichend durch Geschehnisse belegt.

    Wobei Du bitte nicht übersiehst, dass ich "industrielle Kernenergienutzung" schrieb, denn im Maßstab der wissenschaftlichen Erforschung und der dazu genügenden Mini-Dimension von Anlagen oder auch nur noch Computersimulation stellt die Atomenergie ungleich geringere Risiken dar.

    Für die wirtschaftliche Nutzung der Atomkraft fehlt es den bisherigen Lösungen noch an jeglicher Genialität. Sie sind noch zu kompliziert im Verständnis und in der Realisierung. Der Durchbruch wäre erst in dem Moment gegeben, wenn die Sicherheit nicht mehr dadurch vergrößerte, dass man Kontrolltechnik auf Kontrolltechnik packt, sondern in der Basistechnik Vereinfachungen findet.

    Allerdings ist auch solche Forschung nicht ungefährlich, denn das Risiko der Wissensaneignung durch Leute, die damit Unsinn treiben, vergrößert sich mit jedem Labor, mit jeder kernphysikalischen Studie.

    Wir müssen uns also fragen, ob es sich rechnet, all diese Risiken beherrschbar zu machen oder ob nicht die intellektuellen und finanziellen Ressourcen von vornherein stärker in jene Bereiche fließen sollten, für die Risiko-Kalkulationen zu vollständig anders dimensionierten Ergebnissen kommen.

    Bei allem sollte Kernenergie nicht zur Glaubensfrage werden, das mit ewigen Ja oder ewigen Nein zu beantworten wäre, sondern eher zu den Fragen führen: Wie wirken sich die kurzsichtigeren Gewinnerwartungen auf die Energiemarkt- und Umweltentwicklung aus?
    Was lief schief und bedarf der Korrektur?

    Mit den Mrd. für die Atomenergie ließen wir uns auf den falschen Gaul setzen. Es war absehbar, von vielen auch tatsächlich gesehen, aber durch den Missbrauch des Themas im politischen Tagesgeschäft nur selten sachlich. Letztlich setzten sich die AKW-Investoren durch und ließen sich ein wenig zähmen, als das politische Risikoverständnis in Gesetzen und Verordnungen nachwuchs. - Aber nun stehen die Anlagen und die Betreiber mögen ihre Investitionsentscheidungen möglichst lang in der Rendite sehen. Wen kann da wundern, dass sie sich gegen Trittin wehren? Und wen kann wiederum wundern, dass Trittin nicht mehr herausholte, wenn er bei einem solchen Versuch seinen schönen Job verloren hätte?

    Ich habe da also für allerlei Verständnis und mag mich auch solcher Verdächtigungen nicht enthalten. Ich kann mich irren, wenn es um Motive geht, aber Gesagtes liegt so nahe, dass man es zumindest in Betracht zu ziehen hat.

    Markus Rabanus >> Diskussion