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12 Mai 2011

Protestaktion gegen Verschleierung von Politikernebeneinkünften

Nichtregierungsorganisationen sammelten über 50.000 Unterschriften in drei Tagen / Übergabe an Bundestagsabgeordnete / „Wir wollen wissen, wer bezahlt“
Pressemitteilung >> www.campact.de/transparenz

Berlin, 12.5.2011. Kurz bevor sich die Rechtstellungskommission des Ältestenrates mit der Neuregelung von Abgeordneten-Nebentätigkeiten befasste, demonstrierten mehrere Nichtregierungsorganisationen vor dem Bundestag gegen die Verschleierung der Nebeneinkünfte. Gestalten mit weißen Masken reichten Politiker-Darstellern Geldscheine. Der Vorsitzende der Rechtstellungskommission und Bundestagsvizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (FDP), der SPD-Abgeordnete Michael Hartmann sowie die Parlamentarischen Geschäftsführer Dr. Dagmar Enkelmann (Linke) und Volker Beck (Grüne) waren gekommen, um die Protest-Unterschriften entgegen zu nehmen.
Innerhalb von drei Tagen hatten Campact, LobbyControl, Transparency International Deutschland und Mehr Demokratie über 50.000 Unterschriften im Internet gegen die Pläne gesammelt, die Nebeneinkünfte von Politikern künftig erst ab 10.000 Euro zu veröffentlichen (www.wer-bezahlt.de). Bisher mussten Bundestagsabgeordnete ihre Nebeneinkünfte bereits ab einer Höhe von 1.000 Euro veröffentlichen. Angesichts der Proteste haben verschiedene Politiker in den letzten Tagen erklärt, davon abrücken zu wollen, Politiker-Nebeneinkünfte unter 10.000 Euro zu verschleiern.
„Dass die Parteien nun zurückrudern, zeigt, dass die Bürgerproteste wirken“, sagte der Vorstandsmitglied des Kampagnennetzwerkes Campact, Dr. Günter Metzges. „Die Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, wer ihre gewählten Volksvertreter bezahlt.“
„Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihre Volksvertreter sinkt immer weiter. Transparenz ausbauen statt abbauen - das ist notwendig, um das Vertrauen in Politiker wieder zu stärken“, sagte Michael Efler, Vorstandssprecher von Mehr Demokratie e.V.
„Nebeneinkünfte von Abgeordneten dürfen kein unsichtbares Einfallstor für Lobbyismus sein. Über 50.000 Unterschriften in drei Tagen zeigen, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht wollen, dass ihre Vertreter im Parlament unbemerkte Diener zweier Herren sein können. Echte Transparenz ist dafür unverzichtbar", erklärte Timo Lange von LobbyControl.
"Für Vorschusslorbeeren ist es zu früh. Erst wenn wir die neue Regelung schwarz auf weiß sehen, werden wir beurteilen können, ob den jüngsten Worten die richtigen Taten folgen", sagte Jochen Bäumel, Vorstandsmitglied von Transparency Deutschland.

25 April 2011

144.500 Menschen bei Anti-Atom-Protesten

Demonstrationen an zwölf Atom-Standorten plus zwei grenzüberschreitende Aktionen

An den Großdemonstrationen der Anti-Atom-Bewegung am Ostermontag haben insgesamt 144.500 Menschen beteiligt. Dazu erklärt Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt:

„Die große Beteiligung an den Protesten zeigt, dass die Bevölkerung der Regierung in Sachen Atomausstieg nicht traut. Nur über die alten Meiler zu reden, obwohl auch die neueren Anlagen nicht gegen die Kernschmelze oder gegen Flugzeugabstürze abgesichert sind, ist einfach unglaubwürdig. Die hundertausendfache Forderung des heutigen Tages lautet: Alle AKW müssen stillgelegt werden.

Dass heute fast 150.000 Menschen auf der Straße waren, ist noch höher zu bewerten als die 250.000 Demonstranten am 26. März in den vier größten Städten der Republik. Denn die Atom-Standorte liegen eher in ländlichen Regionen. Der Aufwand zur Beteiligung an diesen Demonstrationen war ungleich viel höher als bei Protesten in den Innenstädten der Metropolen.

Die nächsten Massenproteste sind bereits in Vorbereitung. Am 28. Mai, kurz vor der Entscheidung des Bundeskabinetts über ein neues Atomgesetz, wird in etwa 20 Großstädten unter dem Motto ‚Atomkraft: Schluss!‘ demonstriert werden. Und für Mitte Juni, wenn Bundestag und Bundesrat über die Zukunft der Atomenergie entscheiden, wird es an mehreren AKW-Standorten mehrtägige Blockadeaktionen geben.“

Die heutigen Demonstrationen wurden von unzähligen Initiativen vor Ort vorbereitet und von einem bundesweiten Trägerkreis aus Umweltorganisationen und Anti-Atom-Initiativen koordiniert.

Beteiligung an den einzelnen Demonstrationen des heutigen Tages:


Schleswig-Holstein:
AKW Krümmel 17.000
AKW Brunsbüttel 6.000

Niedersachsen:
AKW Grohnde 20.000
AKW Esenshamm 5.000
Geplantes Endlager Schacht Konrad 11.000

Mecklenburg-Vorpommern:
Atommüll-Lager Lubmin 1.500

NRW:
Urananreicherungsanlage Gronau 10.000

Hessen:
AKW Biblis 15.000

Baden-Württemberg:
AKW Neckarwestheim 8.000
AKW Philippsburg 3.000

Bayern:
AKW Grafenrheinfeld 15.000
AKW Gundremmingen 10.000

Grenzüberschreitend:
Rheinbrücken Südbaden / AKW Fessenheim 20.000
AKW Cattenom 3.000 aus Saarland, Lothringen, Luxemburg

.ausgestrahlt ist eine bundesweite Anti-Atom-Organisation, die AtomkraftgegnerInnen darin unterstützt, aus ihrer Haltung öffentlichen Protest zu machen.

Link >> www.ausgestrahlt.de

22 April 2011

Vorstellung des Friedensgutachtens am 18. Mai 2010 in Berlin

Friedensforscher fordern: Bürgerkriegsstaaten reformieren. Aus Kriegsparteien politische Konkurrenten machen.

Presseerklärung von www.friedensgutachten.de

Als Friedensforscher beschäftigen wir uns tagtäglich mit Aufständen, Kriegen, Gewalt. Wir analysieren Opferzahlen und Waffentypen und formulieren Risikoszenarien. Ein krisensicherer Job, sagt der Blick in die globale Konfliktrealität. Doch hinter den abstrakten Zahlen verbergen sich reale Menschen, reales Leid. Dies in Erinnerung zu rufen und daraus politische Schlussfolgerungen zu ziehen, darauf zielt Friedensforschung.
Wie die gegenwärtige Afghanistan-Debatte zeigt, braucht die deutsche Politik und Öffentlichkeit die kritische Auseinandersetzung über die Rolle Deutschlands in bewaffneten Konflikten; wir wollen mit dem jährlich erscheinenden Friedensgutachten dazu beitragen, indem wir Wege aus dem Krieg aufzeigen. Wir stellen es nicht nur hier vor der Bundespressekonferenz, sondern auch bei Bundestagsabgeordneten und in den einschlägigen Ministerien vor. Außerdem diskutieren wir es bundesweit in Podiumsdiskussionen, etwa heute Abend im französischen Dom hier in Berlin, sowie Anfang Juni in Brüssel.
Das Friedensgutachten erscheint seit 1987; es wird gemeinsam von den fünf führenden deutschen Friedensforschungsinstituten herausgegeben. Unsere deutschen und internationalen Autorinnen und Autoren gehören zu den besten ihres Faches; ihnen gilt unser Dank ebenso wie der Deutschen Stiftung Friedensforschung, die das Friedensgutachten auch dieses Jahr wieder gefördert hat.
Das Friedensgutachten 2010 überprüft die neue Afghanistanstrategie und formuliert Handlungsoptionen mit dem vorrangigen Ziel, die Sicherheit der Menschen in Afghanistan zu verbessern. Unser Schwerpunkt ist in diesem Jahr die Frage, wie sich Aufständische weltweit in die konstruktive Lösung innerstaatlicher Konflikte einbeziehen lassen. Wir analysieren zudem den Nuklearstreit mit Iran, schlagen Schritte in eine atomwaffenfreie Welt vor und untersuchen die Folgen der Weltwirtschaftskrise für Rüstungsbudgets, arme und schwache Staaten.
Die Bilanz nach fast neun Jahren Afghanistankrieg ist katastrophal. Die bisherige Afghanistanpolitik ist gescheitert. Ob und wie die Aufständischen mit der neuen Strategie militärisch zurückzudrängen sind und ein legitimer und funktionsfähiger Staat zu erreichen ist, lässt sich nicht vorhersagen. Zu fragil ist der afghanische Staat, zu korrupt seine Regierung, zu fragmentiert seine Gesellschaft. Zu widersprüchlich sind auch die Interessen von Afghanistans Nachbarn. Nur eins scheint sicher: Sofern es überhaupt noch gelingt, das Land zu stabilisieren, werden traditionelle afghanische Machtstrukturen stärker berücksichtigt und Abstriche bei Demokratie- und Menschenrechtsstandards gemacht werden müssen. Das vorrangige friedenspolitische Ziel muss es sein, die Sicherheit der Menschen in Afghanistan nachhaltig zu verbessern, auch wenn dies bedeutet, dass Afghanistan weniger „westlich“ ist als gedacht.
Wir fordern, dass sich Friedenspolitik entschieden mehr als bisher mit innergesellschaftlichen Kriegen befasst. Zwar ist die Zahl zwischenstaatlicher Kriege zurückgegangen, nicht aber die der Bürgerkriege, Aufstände und anderer Spielarten innerstaatlicher Gewalteskalation. Sie dauern oft Jahre, fordern einen hohen Blutzoll und zerstören die gesellschaftlichen Fundamente ohnehin schwacher Staaten. Das Friedensgutachten 2010 präsentiert kreative Strategien, mit denen sich Gewaltakteure in politische Kontrahenten, Konkurrenten, gar Kooperationspartner verwandeln lassen. Dazu gehören materielle Anreize und Sicherheitsgarantien für die, die man politisch reintegrieren will, institutionelle Arrangements, Machtbeteiligung, vor allem aber staatliche Reformen, um den Regierenden mehr politische Legitimität zu verschaffen. Dieser Weg ist der mühsamste, aber er verspricht den nachhaltigsten Erfolg. Keine Konfliktpartei darf dabei von vornherein ausgeschlossen werden; wer nichtstaatliche Gewaltakteure pauschal als Terroristen denunziert, unterstützt nicht selten staatliche Gewalttäter und schließt potenzielle Partner für Friedensverhandlungen aus.
Zudem greifen wir im Friedensgutachten 2010 einmal mehr die Vision einer atomwaffenfreien Welt auf. Sie gewinnt in dem Maß prominente Fürsprecher, in dem das Risiko wächst, dass Terroristen an Atomwaffen oder Spaltmaterial für den Bombenbau gelangen könnten. Trotz erster Erfolge ist der Weg zu Global Zero noch weit. Die NATO-Staaten müssen ihre Atomwaffen nach und nach abrüsten und ihre Sicherheits- und Militärdoktrinen entsprechend umstellen. Wir plädieren dafür, endlich alle taktischen US-Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen. Die Bundesregierung sollte im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrags für den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen eintreten und auf einen europäischen Aktionsplan Global Zero drängen. So kann Europa zu einem Motor für eine atomwaffenfreie Welt werden.
Im Nuklearstreit mit Iran halten wir die weitere Verschärfung der Sanktionen für wenig aussichtsreich. Die Staatengemeinschaft sollte stattdessen die Leistungen würdigen, die Iran bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms aus Afghanistan und bei der Bekämpfung des Drogenhandels erbringt. Zudem sollte Washington die diplomatischen Beziehungen mit Teheran wieder aufnehmen und unmissverständlich signalisieren, dass die USA keinen Waffengang gegen iranische Nuklearanlagen oder einen gewaltsamen Regimewechsel beabsichtigen. Das heißt nicht, die Augen vor der Unterstützung der libanesischen Hisbollah zu verschließen oder die martialischen Drohungen des iranischen Präsidenten gegen Israel zu ignorieren. Aber es würde die Kritik daran glaubwürdiger machen.
Schließlich warnen wir davor, den Folgen der Weltwirtschaftskrise mit verstärktem Rüstungsexport zu begegnen, auch wenn dies unseren eigenen Industrien hilft, die Krise abzufedern. Wir fordern einen verbindlichen Waffenhandelsvertrag, mit dem sich völkerrechtliche Standards zur Beurteilung von Kauf-, Verkaufs- und Transitgeschäften festschreiben lassen.
Für Länder der Dritten Welt und fragile Staaten kann die Weltwirtschaftskrise katastrophale Auswirkungen haben. Die Situation der Ärmsten der Armen hat sich bereits signifikant weiter verschlechtert. Nüchterne Sicherheitskalküle verbieten es, die besonders schwachen Mitglieder der Staatenwelt mit den Folgen der Krise sich selbst zu überlassen. Wir empfehlen, den Folgen der Krise mit einer Kombination aus wirtschaftlicher Unterstützung, sozialer Abfederung der Krisenfolgen und Stärkung lokaler Regierungsfähigkeit zu begegnen. Angesichts der durchlässigen heutigen Grenzen sind Gewaltpotenziale auch in geostrategisch nachrangigen Staaten ernst zu nehmen. Wir plädieren deshalb für den Aufbau robuster staatlicher Institutionen – was passiert, wenn das versäumt wird, ist dieser Tage in Afghanistan zu beobachten.

18 April 2011

Greenpeace-Studie: Energiekonzerne verweigern Investitionen in Erneuerbare Energien

Anteil der Energieriesen an Strom aus Wind- und Sonnenkraft 0,5 Prozent
Pressemitteilung von Greenpeace.de

Die vier großen Energiekonzerne RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW verweigern sich der Energiewende. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Berliner Instituts für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) im Auftrag von Greenpeace, die die unabhängige Umweltschutzorganisation heute in Berlin vorstellt. Gerade einmal 0,5 Prozent des Stroms aus Wind- und Sonnenkraft stammt von den vier Stromriesen. Daran soll sich laut Planung der Konzerne auch in Zukunft wenig ändern. Die Energieversorgung aus Wind- und Sonne wird zu 96 Prozent von Regionalversorgern, Stadtwerken, Bürgerwindparks und Privathaushalten getragen.

"Die schlimmen Ereignisse in Japan haben Deutschland wachgerüttelt. Alle wollen jetzt die Energiewende: raus aus Atom und Kohle und rein in die erneuerbaren Energien. Allein - auf die Hilfe der vier großen Stromkonzerne kann das Land dabei nicht zählen, sagt Karsten Smid, Energieexperte von Greenpeace. Ob nun aus Gründen der Machterhaltung oder weil sie einfach nicht an den Umschwung glauben wollen: So blockieren die vier Großkonzerne den Umstieg Deutschlands in eine sichere, saubere und klimafreundliche Zukunft.

Während die vier großen Stromkonzerne mit 68 Prozent der Stromerzeugung eine marktbeherrschende Stellung einnehmen, liegt ihr Anteil bei der Stromerzeugung aus Wind, Biomasse, Erdwärme und Solarstrom ohne alte Wasserkraftanlagen bei mageren 0,5 Prozent. Der Löwenanteil beim Boom der Erneuerbaren Energien stammt dagegen von Regionalversorgern, Stadtwerken, aus Bürgerwindparks und von Privathaushalten. Sie tragen zu 32 Prozent zur Stromgewinnung Deutschlands bei. Von den 13 Prozent deutschen Stroms aus Sonne und Wind liefern sie 12,5 Prozent.

Offshore-Windstrom bräuchte Großinvestoren

Die vier Stromriesen bleiben nicht nur heute sondern auch in Zukunft deutlich hinter den politischen Zielvorgaben für eine Energiewende zurück, erklärt Bernd Hirschl, Hauptautor der Studie. Für die kommenden Jahre wollen E.ON 13 Prozent und RWE 20 Prozent ihrer Gesamtinvestitionen in den Ausbau Erneuerbarer Energien investieren. Das ist viel zu wenig, um bis zum Jahr 2020 die von der Politik geforderten 35 Prozent an Strom aus erneuerbaren Energien im eigenen Strommix zu erreichen.

Allerdings stammen die Greenpeace-Zahlen aus der Zeit vor Fukushima. Ob nun ein Umdenken in den Konzernzentralen stattfindet, ist offen. Jetzt besteht die Chance für einen wirklichen Kurswechsel. Die vier großen Energiekonzerne müssen das sinkende Schiff der Atom- und Kohleverstromung verlassen und mit ins Boot der Energiewende kommen, fordert Smid: Gerade für den Bau von Offshore-Windparks braucht die Gesellschaft finanzstarke Großunternehmen, die mutig in Zukunftstechnologien investieren. So könnten RWE & Co ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Andernfalls droht ihnen, wegen atomarer und fossiler Altlasten zum Sanierungsfall zu werden."

13 April 2011

Weltgesundheitsversammlung soll IAEO-Abkommen aufkündigen

Die Ärzteorganisation IPPNW fordert die deutsche Bundesregierung auf, bei der Weltgesundheitsversammlung im Mai in Genf einen Antrag einzubringen mit dem Ziel, das über 50 Jahre alte Abkommen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) bezüglich der Folgen von radioaktiver Strahlung aufzukündigen. „Die WHO muss in ihrer Arbeit hinsichtlich der Gefahren von Radioaktivität unabhängig arbeiten und agieren können. ...

Das tut sie bisher nicht. Die Gesundheit der Menschen sollte wieder zum Primat der WHO werden“, erklärte die langjährige IPPNW-Vorsitzende Dr. Angelika Claußen heute vor den Mitgliedern des Umweltausschusses bei einer öffentlichen Sitzung zum 25. Tschernobyl-Jahrestag.

In dem Abkommen mit der IAEO vom Mai 1959 verpflichtete sich die WHO dazu, „bevor sie ein Forschungsprogramm oder eine Maßnahme“ zu Folgen radioaktiver Strahlung einleitet, „die IAEO zu konsultieren, um die betreffende Frage einvernehmlich zu regeln“. Doch der Hauptzweck der IAEO besteht laut Satzung darin, die Nutzung der Atomenergie zu fördern. Ein Widerspruch, der nicht aufzulösen ist.

So führt das Abkommen unter anderem dazu, dass die WHO die gesundheitlichen Folgen der Tschernobylkatastrophe bis heute herunterspielt und Dokumente zu den Risiken der Atomtechnologie nicht veröffentlicht. In ihren offiziellen Verlautbarungen manipulieren IAEO und WHO sogar die eigenen Daten. Bei den im September 2005 vom „Tschernobylforum der Vereinten Nationen“ unter Federführung der IAEO und der WHO vorgelegten Arbeitsergebnissen zu den Folgen von Tschernobyl gab es gravierende Unstimmigkeiten zwischen Presseerklärung, WHO-Bericht und den zugrunde liegenden Quellen.

Die neueste Publikation des Wissenschaftlichen Ausschusses der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen der atomaren Strahlung (UNSCEAR) von Ende Februar lässt die zahlreichen Ergebnisse der Tschernobylfolgen aus den betroffenen drei Ländern nicht gelten. Lediglich eine Zahl von 6.000 Fällen von Schilddrüsenkrebs bei Kindern und Jugendlichen sowie Leukämien und Linsentrübungen bei Liquidatoren werden berücksichtigt. UNSCEAR kommt sogar zu dem Schluss, „dass es für die große Mehrheit der Bevölkerung keinen Anlass gibt, ernsthafte Gesundheitsfolgen zu befürchten, die von dem Tschernobylunfall herrühren“.

Dieses makabere Herunterspielen der Zahlen verhöhnt die Opfer der strahlenbelasteten Zonen in Russland, Weißrussland und der Ukraine, aber auch in ganz Europa, wo 53 % des radioaktiven Fallouts von Tschernobyl niedergingen. Laut einer aktuellen Studie der IPPNW und der Gesellschaft für Strahlenschutz sind bereits jetzt mehr als 100.000 Menschen an den Tschernobylfolgen verstorben.

Die Studie zu den gesundheitlichen Folgen von Tschernobyl finden Sie unter http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Tschernobyl_Studie_2011_web.pdf

11 April 2011

Libyen: IPPNW fordert Waffenstillstand und Verhandlungen

10.04.2011Die deutsche Sektion der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges) verlangt erneut einen sofortigen Waffenstillstand in Libyen. Von der Bundesregierung fordern wir, sich auch weiterhin nicht an der Intervention zu beteiligen. Wir teilen die Befürchtung des früheren Bundeswehr-Generalinspekteurs Harald Kujat, dass es von dem sogenannten „humanitären Einsatz“ nur noch ein kleiner Schritt ist, bis die Bundeswehr mit Bodentruppen in Kampfhandlungen verwickelt ist.

Als Ärzte rufen wir beide Seiten dazu auf, das Blutvergießen umgehend zu beenden. Die NATO darf einen sofortigen Waffenstillstand nicht an die Bedingungen knüpfen, mit denen von der US-Regierung die Bitte Gaddafis nach Ende der Luftangriffe abgelehnt wurde: Zuerst müsse er von seinen Ämtern zurücktreten und das Land verlassen.

Das enthüllt, dass das tatsächliche Ziel des Westens ein militärisches Eingreifen in einen Bürgerkrieg ist, um einen Machtwechsel ("regime change") nach seinen Wünschen herbeizuführen. Dies stellt eine Verletzung des Völkerrechts dar und ist selbst von der UN-Sicherheitsrats-Resolution 1973 nicht gedeckt, in der es ausschließlich um den Schutz der Zivilbevölkerung geht.
Krieg und Menschenrechte sind nicht vereinbar, Krieg schafft keinen Frieden!
>> Libyen-Forum

08 April 2011

GRÜNE: Lebensbedingungen der Roma in Europa verbessern

Zum internationalen Roma-Tag erklärt Claudia Roth, Bundesvorsitzende
von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

"Im Europa von heute sind Roma vielfach benachteiligt und zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt. Sie leben oft am Existenzminimum und haben wenig Zugang zu Bildungsmöglichkeiten, Beschäftigung oder dem Gesundheitssystem. Es ist ein Teufelskreis, der es den Menschen fast unmöglich macht, ihre schwere sozioökonomische Lage zu überwinden.

Die Anfang April von der EU-Kommission vorgestellte Inklusionsstrategie zur Verbesserung der Lebensumstände von Roma in Europa ist bitter nötig. Ob Ausweisungen aus Frankreich, die wachsenden rechtsextremen Übergriffe gegen Roma in Ungarn oder auch die geplanten Abschiebungen von 10.000 Roma aus Deutschland ins noch immer gebeutelte Kosovo zeigen: Wenn es um die Rechte der Roma geht, fühlt sich viel zu oft niemand verantwortlich.

Die Inklusionsstrategie mag zwar ein Schritt in die richtige Richtung sein, aber letztendlich beinhaltet sie noch immer viele Lücken. So ist überhaupt nicht nachvollziehbar, warum die Betroffenen selbst völlig aus dem Erarbeitungsprozess ausgeschlossen wurden und warum keine konkrete Maßnahmen gegen die Diskriminierung der Roma darin enthalten sind.

Wir brauchen eine breiter aufgestellte europäische Strategie, die sowohl die Inklusion der Roma im Blick hat, als auch konkrete Maßnahmen gegen ihre Diskriminierung enthält. Die Diskrimierung von Roma durch Behörden, Polizei oder in der Öffentlichkeit muss beendet werden. Leider ist das aber gerade in osteuropäischen Ländern bitterer Alltag für viele Roma.

Die Inklusionsstrategie muss jetzt auch wirklich jeweils vor Ort umgesetzt werden. Darauf muss die EU-Kommission ein Auge haben. Auch die Bundesregierung ist gefordert, hierzulande gegen Hetzkampagnen und Diskriminierungen entschieden vorzugehen.“

29 März 2011

Stiftung Warentest: Viele Bankkunden sind unfreiwillige Atom-Unterstützer

Atomkraftgegner unterstützen möglicherweise die Atomindustrie, ohne es zu ahnen. Schon wenn sie bei einer bestimmten Bank nur ihr Girokonto oder ein Tagesgeldkonto haben, helfen sie unfreiwillig den Atomkraftwerksbetreibern, wenn diese beispielsweise über die Bank Kredite in Anspruch nehmen. Auch zahlreiche Investmentfonds legen in Aktien oder Anleihen bekannter Energieversorger wie Eon oder RWE an, die ihre Kunden mit Atomstrom beliefern. Aber es gibt Alternativen, schreibt das Verbrauchermagazin Finanztest auf seiner Website test.de.

Wer nicht will, dass sein Geld in die Atomwirtschaft fließt, kann in Aktien- und Rentenfonds investieren, die die gesamte Branche ausschließen. 7 von 24 ethisch-ökologisch ausgerichteten Fonds verzichten nach einer Finanztest-Untersuchung auf entsprechende Investments, und 8 verzichten zumindest teilweise auf Unternehmen, die in der oder für die Atomkraftbranche tätig sind. Unter den sechs Rentenfonds fand Finanztest nur einen, der diese Branche vollständig ausschließt.

Die Meinungen über Atomstrom gehen dabei bei den Geldinstituten ebenso auseinander wie bei der Bevölkerung. Manche halten Atomstrom für klimafreundlich, für andere wiederum beginnen die Schäden an der Natur beim Uran-Abbau und setzen sich fort in den Gefahren durch den Betrieb und auch die Endlagerung.

Für alle, die ihr Geld anlegen wollen, ohne dass die Atomindustrie davon profitiert, bleibt der Gang zu Öko- und Ethikbanken und ein kritischer Blick in die eigene Geldanlage.

Mehr Informationen zum Thema im Buch „Grüne Geldanlage“ (16,90 €, zu bestellen über www.test.de/shop und im Buchhandel erhältlich).

GRÜNE: Endlich Einbürgerung des Islam voranbringen

Zur Islamkonferenz erklärt Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

"Der Innenminister wiederholt nur Selbstverständliches, wenn er darauf verweist, dass Deutschland historisch stärker durch das Christentum als durch den Islam geprägt ist. Die Islamkonferenz ist aber kein historisches Seminar, sondern eine Plattform für Staat, die islamischen Verbände und unabhängige Muslime, um die Einbürgerung des Islam voranzubringen. Geredet wurde bislang viel, von bundeseinheitlichen Lösungen ist man jedoch weit entfernt. Wenn die Islamkonferenz nicht endlich aus der symbolischen Phase heraustritt, wird dieses anfangs vielversprechende Projekt an die Wand gefahren. In diesem Fall werden die Bundesländer, die für relevante Fragen wie etwa die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts ohnehin zuständig sind, jeweils eigene Wege einschlagen. Das Ergebnis wäre ein Flickenteppich.

Die Deutsche Islamkonferenz muss sich endlich ihrer Aufgabe stellen und die Einbürgerung des Islam unter dem Dach des Grundgesetzes voranbringen. Dazu gehört auch die Ausbildung islamischer Religionsgemeinschaften im Sinne unseres Grundgesetzes. Zu diesem Zweck muss transparent verdeutlicht werden, welche konkreten Leistungen die islamischen Verbände auf diesem Weg zu erbringen haben. Bis dahin und da die Verbände nur eine Minderheit der Muslime repräsentieren, ist die Einbindung unabhängiger gläubiger Muslime unabdingbar. Wenn es derzeit etwa um die pragmatische Einführung islamischen Religionsunterrichts geht, müssen auch sie beteiligt werden.

Fragen der inneren Sicherheit gehören zur Aufgabe des Innenministers. Entsprechend will er mit den Muslimen Deutschlands nun offenbar eine Sicherheitspartnerschaft eingehen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass die islamischen Verbände auf dem Boden des Grundgesetzes agieren müssen. Auch die große Mehrheit der unabhängigen Muslime tut das ohnehin und schon lange. Dem Innenminister sollte bewusst sein, dass er mit seiner Rhetorik bereitwillig in Kauf nimmt, die in Deutschland lebenden Muslime unter Generalverdacht zu stellen.“ 29.03.11

22 September 2010

BWE: Windenergie macht atomare Brücke überflüssig

Husum. Mehr als 970 Aussteller aus 30 Ländern zeigen zur Zeit auf der HUSUM WindEnergy 2010 ihre Innovationen für den Klimaschutz aus und veranschaulichen den weltweiten Boom der Windenergiebranche. "Die HUSUM WindEnergy ist das diesjährige Schaufenster der globalen Windindustrie.

Weltweit steigt das Interesse an Windenergie und damit auch die Nachfrage nach Systemen, Komponenten und Service für Windenergieanlagen. Der Erfahrungsvorsprung der deutschen Windindustrie im internationalen Wettbewerb zahlt sich mit einer Exportquote von 75 Prozent aus. Er schafft Wirtschaftswachstum und Beschäftigung in Deutschland. Rund 100.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze sichert die deutsche Windindustrie", sagte Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands WindEnergie in Husum. Umso unverständlicher ist es, dass gerade die deutsche Bundesregierung in ihrem Energiekonzept die Bedeutung der Windenergie für die nationalen Klimaschutzziele kleinrechnet.

Nach den Annahmen der Bundesregierung kommt der Ausbau der Windenergie an Land bei einer installierten Gesamtleistung von etwa 36.400 Megawatt zum Erliegen. "Damit gewährt die Bundesregierung der Windenergie an Land eine Restlaufzeit von nur 5 Jahren, denn dies erreichen wir schon 2015", betonte Albers. Bis 2020 sind in Deutschland nach BWE-Berechnungen moderne Windenergieanlagen mit einer installierten Leistung von 45.000 MW an Land und 10.000 MW auf hoher See realistisch. Diese 55.000 MW werden dann rund 150 Milliarden Kilowattstunden Strom im Jahr ohne radioaktiven Abfall produzieren und rund 130 Millionen Tonnen CO2 einsparen. „Schon in zehn Jahren kann jede vierte Kilowattstunde Strom aus einer Windenergieanlage kommen. Zusammen mit Sonne, Biomasse, Wasser und Erdwärme können die Erneuerbaren dann bereits fast die Hälfte des deutschen Strombedarfs decken. Deshalb brauchen wir keine Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken als so genannte Brücke ins regenerative Zeitalter. Wir haben diese Brücke bereits überschritten“, so Albers.

Die HUSUM WindEnergy zeigt einmal mehr, dass die deutsche Windindustrie im weltweiten Wettbewerb sehr gut aufgestellt ist. Diesen Marktvorsprung verdankt Deutschland dem Stromeinspeisegesetz von 1991 und dem EEG. Die Vorrangregelung und Mindestpreisvergütung für Windstrom sind auch in Zukunft Garanten für innovative Windenergietechnologie aus Deutschland. "Der Erfahrungsvorsprung der deutschen Windindustrie rechnet sich nicht nur im Export, sondern gerade auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die Windbranche schafft Wirtschaftswachstum und Beschäftigung in Deutschland. Durch den Atomkompromiss bringt die Bundesregierung über 100.000 zukunftssichere, heimische Arbeitsplätze allein in der Windbranche zum Wohle einer Energietechnologie von gestern in Gefahr“, sagte Hermann Albers auf der Messe.

Downloads:

  • BWE Info zum Energiekonzept der Bundesregierung


  • Zahlen zu den Energieszenarien von prognos, ewi, gws
  • 01 Mai 2009

    1. Mai 2009


    Eine Gesellschaft, in der immer weniger Menschen immer länger arbeiten sollen, um für immer mehr Menschen ohne Arbeit mitzuarbeiten, ist nicht solidarisch, sondern dämlich organisiert, macht die Arbeitenden krank und die Arbeitslosen ebenfalls. Darum Verteilung der Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung und eine Höherbesteuerung bei Überschreitung von gesetzlich kürzern Regelarbeitszeiten, damit sich die Einstellung von Arbeitslosen stärker LOHNT.

    Das gesamte Lohnsteuer- und Pflichtversicherungssystem gehört auf das Einkommensteuersystem umgestellt, gerechter, vereinfacht und klarer Progression, die gerade nicht dort ihr oberes Ende haben darf, wo der Reichtum seine Anfänge hat. Die Fristen und Höhe von Sozialleistungen über die ohnehin zu gewährleistende Grundversorgung hinaus soll nach Maßgabe der geleisteten Einkommensteuern bemessen
    sein.

    redaktion / www.internetjournal.de 20090501

    DGB-Aufruf zum 1. Mai 2009:

    Gute Arbeit bei fairem Lohn ist ein Grundrecht aller arbeitenden Menschen. Aber die Realität in Deutschland, Europa und der Welt sieht anders aus: Die Finanz- und Wirtschaftskrise bedroht Beschäftigte und ihre Familien. Die Arbeitslosigkeit steigt. Immer mehr Menschen haben Angst um ihren Arbeitsplatz.

    Wir Gewerkschaften stemmen uns gegen die Krise. Wir wollen Entlassungen verhindern. Viele Unternehmen und Arbeitgeber haben in den vergangenen Jahren gut verdient. Sie sind jetzt an der Reihe, Solidarität mit ihren Beschäftigten zu zeigen und ihnen etwas für ihre gute Arbeit, die Gewinne erst ermöglicht hat, zurückzugeben. Auch die Politik muss alle Mittel nutzen, um Beschäftigung zu sichern und die Qualifizierung der Kolleginnen und Kollegen zu fördern. Mehr Qualifizierung und Ausbildung helfen, die Krise zu bewältigen und können Arbeitslosigkeit vermeiden. Auch in Krisenzeiten muss die Ausbildung junger Menschen oberste Priorität haben.

    Wir Gewerkschaften stellen uns gegen die Krise. Mit Teilhabe und Mitbestimmung. Eine Privatisierung der Gewinne und eine Vergesellschaftung der Verluste darf es nicht geben. Banker, Manager und Spekulanten, die die Krise verursacht haben, müssen in die Pflicht genommen werden. Für uns ist klar: Staatliche Hilfe, wo notwendig, ja – aber nicht zum Nulltarif. Wir zahlen nicht für die, die Tausende von Arbeitsplätzen vernichtet haben, und dabei auch noch absahnen wollen.

    Wir Gewerkschaften stellen uns gegen die Krise. Mit guter Arbeit. Dafür wollen wir gutes Geld. Die Krise darf nicht zur Lohndrückerei missbraucht werden.

    Für die Gewerkschaften stehen die Menschen vor den Märkten. Deshalb fordern wir eine neue solidarische Ordnung der Wirtschaft und Gesellschaft. Eine Ordnung, die Arbeitsplätze erhält, die Mindestlöhne einführt und sichert. Eine Ordnung für mehr gute Arbeit und ein gutes Leben, eine Ordnung mit mehr Mitbestimmung, Teilhabe und Gleichberechtigung. Wir fordern einen handlungsfähigen Staat, der auch morgen in der Lage ist, seine Aufgaben wahrzunehmen.

    Die Politik und die Wirtschaftsideologen, die das blinde Vertrauen in ungeregelte Märkte und radikalen Wettbewerb gefördert haben, sind gescheitert. Das hat jetzt für uns alle katastrophale Folgen – in Deutschland, Europa und der Welt. Deswegen muss die Politik dringend klare Regeln setzen, um nachhaltiges Wirtschaften zu fördern. Wir brauchen eine soziale Marktwirtschaft, die dem Wohl aller Menschen dient und nicht den Reichtum Weniger fördert.

    Arbeit für alle bei fairem Lohn bleibt unser Ziel. Denn immer mehr Menschen verdienen trotz Vollzeitarbeit für ein menschenwürdiges Leben zu wenig. Deshalb kämpfen wir heute gegen Lohndumping und die Altersarmut von morgen – die oft besonders Frauen betrifft.

    Wir Gewerkschaften stellen uns allen Rassisten, Antisemiten und Nazis entgegen, die den 1. Mai, den Tag der Arbeit, für ihre menschenverachtende Gesinnung missbrauchen wollen. Der DGB wird sich weiter aktiv für eine demokratische, freie und tolerante Gesellschaft einsetzen. Der 1. Mai ist bunt – nicht braun. An die Politik richten wir mehr denn je den dringenden Appell, alles zu tun, um ein NPD-Verbot voranzutreiben und den braunen Sumpf trocken zu legen.

    Wir demonstrieren am 1. Mai

    • für den Erhalt von Arbeitsplätzen und eine neue nachhaltige Wirtschaftsordnung
    • für mehr Demokratie und Mitbestimmung in Wirtschaft und Gesellschaft
    • für gute Arbeit für alle bei fairem Lohn.

    Deshalb lautet unser Motto am 1. Mai, dem Tag der Arbeit:

    ARBEIT FÜR ALLE BEI FAIREM LOHN! - DGB -

    10 Oktober 2008

    Auswärtiges Amt: Kofi Annan erhält den Preis des Westfälischen Friedens

    10.10.2008

    Kofi Annan erhält den Preis des Westfälischen Friedens – Laudatio von Außenminister Steinmeier

    Der frühere Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, erhält in diesem Jahr den „Preis des Westfälischen Friedens 2008“. Annan erhält den Preis für seine herausragenden Verdienste für den Frieden in der Welt und sein unermüdliches Eintreten für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Gewährleistung von Menschenrechten.

    Die feierliche Verleihung des Preises, bei der Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Laudatio auf den Preisträger halten wird, findet morgen (11.10.) im historischen Rathaus zu Münster statt.

    Der Preis des Westfälischen Friedens wird alle zwei Jahre von der Wirtschaftlichen Gesellschaft für Westfalen und Lippe e.V. in zwei Teilen vergeben: Ausgezeichnet werden eine herausragende Persönlichkeit sowie eine vorbildliche Jugendorganisation, die sich für Einheit und Frieden in Europa einsetzen.

  • Kofi Annan
  • 24 September 2008

    Weltwirtschaftlicher Wahnsinn: Fleischexport-Ziele

    Während die Bundesregierung in ihren allgemeinen Verlautbarungen den Anschein erweckt, als sei sie in Fragen Ressourcen- und Energiesparsamkeit sowie im Klimaschutz führend, finden sich in der Zielgruppenpropaganda Statements, die mit harten Fakten das Gegenteil dokumentieren.
    Z.B. die nachstehende Presseerklärung aus dem Landwirtschaftsministerium, die den Fleischproduzenten Freude macht, als dürfe es darum gehen, dass China seine Essgewohnheiten hin zu mehr Fleischkonsum ändere, obwohl dadurch ein Vielfaches an Energie gegenüber pflanzlicher Nahrung verbraten wird und über den kurzfristigen Profit hinaus kein einziges Argument für solche Entwicklung spricht.

    Dokumentation:

    Pressemitteilung Nr. 144 Ausgabedatum 24. September 2008

    Müller: Deutsche Fleischexporte legen über 25 Prozent zu

    "Der Boom bei den deutschen Fleischexporten ist weiterhin ungebrochen. Die Branche konnte ihre Ausfuhren im ersten Halbjahr 2008 dem Werte nach um 25,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf nunmehr 3,35 Milliarden Euro steigern.
    Knapp zwei Milliarden Euro hat Schweinefleisch dazu beigetragen. Der Export bleibt damit Wachstumsträger für Schweinehalter und Fleischindustrie", sagte der Exportbeauftragte und Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), Dr. Gerd Müller, heute beim Schweinehandelstag 2008 im niedersächsischen Garrel. "Im Gegensatz zur stagnierenden Inlandsnachfrage finden wir auf den weltweiten Absatzmärkten ein dynamisches Wachstum der Nachfrage nach Fleisch. Ich bin zuversichtlich, dass die deutsche Fleischwirtschaft auch künftig die sich bietenden weltweiten Absatzchancen aktiv zu nutzen weiß", so Dr. Müller.

    Mit knapp 6 Milliarden Euro Umsatz spielt der Export für die Wertschöpfung in der Fleischwirtschaft eine wesentliche Rolle. Der Parlamentarische Staatssekretär Müller erklärte weiter, dass sich die vor kurzem erreichten Marktöffnungen für deutsches Schweinefleisch in Südafrika und Japan sehr positiv auswirken würden. So konnten bis Juli 2008 bereits über 850 Tonnen deutsches Schweinefleisch nach Südafrika und circa 120 Tonnen nach Japan exportiert werden. Müller betonte, dass die vor drei Wochen erfolgte Unterzeichnung des Veterinärabkommens mit China für die deutsche Fleischwirtschaft ein Meilenstein sei. In China wird eine Nachfragesteigerung nach Schweinefleisch bis 2015 von plus 17 Millionen Tonnen erwartet. Der chinesische Pro-Kopf-Verbrauch wird in den nächsten 10 Jahren um über 10 kg steigen. Als mittelfristiges Ziel nannte Müller die Marktöffnung Südkoreas, da das Land für die deutsche Schweinefleischbranche ein interessantes Preisniveau bietet.

    Die im Mai dieses Jahres durch Staatssekretär Müller in Seoul begonnenen Verhandlungen sollen im November fortgesetzt werden.

  • Diskussion
  • Zypries fordert vollständige Gleichstellung homosexueller Partnerschaften

    Berlin, 24. September 2008 pressemitteilung

    Heute hat das Bundeskabinett die Antworten auf eine Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Stand der rechtlichen Gleichbehandlung homosexueller Partnerschaften beschlossen. Daraus wird deutlich: Mit dem Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes im Jahr 2001 begann ein Prozess der Gleichstellung von Eheleuten und gleichgeschlechtlichen Paaren, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben. Der Gesetzgeber ist seither auf diesem Weg gut vorangeschritten.

    "Eine Gleichbehandlung von homosexuellen und heterosexuellen Paaren ist in unserer modernen Gesellschaft ein Gebot der Toleranz, der gegenseitigen Achtung und Anerkennung. Ich habe mich stets für eine vollständige rechtliche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnern und Eheleuten eingesetzt und werde es auch in Zukunft tun. In wichtigen Rechtsgebieten ist bereits eine weitgehende Gleichstellung erfolgt, insbesondere im Familienrecht. So werden eingetragene Lebenspartner im Erbrecht, im Namensrecht oder auch im Unterhalts- und Güterrecht wie Eheleute behandelt. Auch im Vertragsrecht, vor Gericht, bei der Kranken- und Rentenversicherung, im Ausländerrecht und in vielen anderen Rechtsgebieten stehen Lebenspartner Eheleuten gleich. Das deutsche Modell der Lebenspartnerschaft kann sich auch im internationalen Vergleich sehen lassen", resümierte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

    Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum gegeben, der noch nicht ausgeschöpft ist. Im Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien ausdrücklich festgestellt, dass die Gesellschaft toleranter geworden ist, auf Minderheiten Rücksicht nimmt und unterschiedliche Lebensentwürfe akzeptiert, ferner dass unsere Rechtspolitik diese Entwicklung weiter begleiten und fördern werde. Dennoch werden Eheleute und Lebenspartner im Steuerrecht weiterhin unterschiedlich behandelt. Diskriminierungen gibt es außerdem im Beamtenrecht. Auch bei der gemeinsamen Adoption von fremden Kindern werden Lebenspartner anders behandelt als Eheleute.

    "Die angestoßene Entwicklung hin zu einer umfassenden Gleichstellung muss weitergehen. Die Bundesregierung hat mit ihren Vorschlägen zum Dienstrechtsneuordnungsgesetz und zu einer Erbschaftssteuerreform Initiativen eingeleitet, die auf einen weiteren Abbau von rechtlichen Ungleichheiten abzielen. Das Bundesministerium der Justiz lässt derzeit durch eine Rechtstatsachenforschung die Möglichkeiten einer gemeinsamen Adoption fremder Kinder durch Lebenspartnerinnen und Lebenspartner untersuchen. Ich werde mit meinem Engagement nicht nachlassen, sondern mich auch weiter dafür einsetzen, dass wir unser Ziel erreichen: Die vollständige Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften", bekräftigte Zypries.

  • Diskussionen
  • 16 September 2008

    Karsten D. Voigt zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen

    „Amerika vor der Wahl – Obama oder McCain – Was wird sich an den deutsch-amerikanischen Beziehungen ändern?“ Vortrag vor Amerika Gesellschaft und Harvard Club
    Hamburg am 16. September 2008 Presseerklärung

    Karsten D. Voigt ist seit 1999 Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

    I. Vorbemerkungen: nicht nur der Präsident, auch der Kongress wird gewählt

    Am 4. November 2008 finden in den Vereinigten Staaten von Amerika die Präsidentschaftswahlen sowie die Wahlen zum 111. Kongress statt. Das Interesse an den Wahlen ist in den deutschen Medien und der Bevölkerung außerordentlich. Ausdruck dieses Interesses und gleichzeitig von überzogenen Hoffnungen auf einen grundlegenden Wandel der amerikanischen Politik war der Massenandrang beim Besuch des demokratischen Kandidaten Barack Obama Ende Juli in Berlin, als er vor 200.000 Zuhörern an der Siegessäule eine Rede hielt.

    Der Fokus des allgemeinen Interesses liegt eindeutig auf der Wahl zum Präsidenten, wobei die Kongresswahlen in ihrer Wichtigkeit keinesfalls unterschätzt werden sollten. Durch seine Kompetenzen in der Haushalts-, Steuer- und Handelspolitik nimmt der Kongress nämlich eine wichtige Rolle im amerikanischen Verfassungsgefüge ein. Ohne Zustimmung des Senats kann der Präsident keine Verträge abschließen und keine Minister, Verfassungsrichter und Botschafter ernennen.

    Bei der Wahl entscheiden die amerikanischen Bürger über alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses sowie über ein Drittel der Sitze im Senat. Derzeit halten die Demokraten eine Mehrheit in beiden Häusern. Im Senat ist diese dabei mit 51 zu 49 Stimmen im Senat nur sehr knapp, und dies auch nur wegen der den Demokraten nahe stehenden Position zweier unabhängiger Senatoren. Dieser Vorsprung wird sich allen Prognosen zufolge vermutlich vergrößern, denn die Republikaner müssen 23 der 35 zur Wahl stehenden Sitze verteidigen, darunter fünf so genannte open seats, bei denen sich die Amtsinhaber nicht zur Wiederwahl stellen. Elf der zwölf am heftigsten umkämpften Sitze werden oder wurden zudem von Republikanern gehalten. Trotz der prognostizierten Zugewinne gilt es aber dennoch als unwahrscheinlich, dass die Demokraten die wichtige Schwelle von 60 Sitzen erreichen können. Diese wäre nötig um das filibuster der Minderheitsfraktion auszuhebeln, also die Taktik, durch Dauerreden eine Beschlussfassung zu verhindern.

    Im Repräsentantenhaus halten die Demokraten derzeit eine Mehrheit von 236 zu 199 Sitzen vor den Republikanern. Wahrscheinlich werden sie diese Mehrheit ausbauen können, wenn auch nur in sehr geringem Maße, wie die letzten Prognosen seit dem Nominierungsparteitag der Republikaner vermuten lassen. Im Frühjahr dieses Jahres konnten die Demokraten aber bei Nachwahlen drei Sitze in Wahlbezirken erringen, die zuvor als republikanische Hochburgen galten.

    Allerdings sollten die Demokraten durch Umfragen gewarnt sein. Die republikanische Regierung unter George W. Bush ist zwar unbeliebt, der demokratisch dominierte Kongress hat die Wähler aber noch wesentlich stärker enttäuscht. Als die Demokraten 2006 die Kongressmehrheit errangen, versprachen sie, den Irakkrieg zu beenden, die Haushaltsdisziplin auf Bundesebene wiederherzustellen und die Regierung stärker zu kontrollieren. Diese Versprechen wurden jedoch auch aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse und der verfassungsrechtlichen Machtfülle des Präsidenten in den Augen der Wähler kaum erfüllt. So billigte der Kongress z.B. zusätzliche Milliardensummen für die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan, ohne dabei im Gegenzug Bush auf einen Zeitplan für den Abzug der Truppen aus dem Irak festlegen zu können. Das Ergebnis ist eindeutig: Ende August gaben 49% der befragten Amerikaner an, mit der Arbeit des Kongresses sehr unzufrieden zu sein, 29% waren unzufrieden.

    Für George W. Bush sind die Zahlen dramatisch schlecht. In derselben Umfrage sagten 64%, mit dem Präsidenten unzufrieden oder sehr unzufrieden zu sein. Noch mehr – über 70% – glaubten, das Land sei auf dem falschen Weg. Fünf Jahre nach dem Beginn des Militäreinsatzes im Irak ist die Bevölkerung kriegsmüde und beunruhigt über die hohen Opferzahlen und die finanziellen Belastungen für Staatshaushalt und Steuerzahler. Noch schwerer wiegen aber der anhaltende Konjunkturabschwung und die Immobilien- und Finanzkrise, welche die amerikanische Mittelklasse stark verunsichern.

    II. Themen und Kandidaten des Präsidentschaftswahlkampfes

    Angesichts der negativen öffentlichen Meinung zu Präsident und Kongress wurden die Begriffe „Change“ und „Hope“, Wandel und Hoffnung, so zu Schlüsselbegriffen des Wahlkampfs. Zuerst hat Barack Obama diese Motive ins Feld geführt und setzte sich damit im Vorwahlkampf gegen die ursprünglich als Favoritin geltende Hillary Clinton durch. Als relativ junger Kandidat, als Sohn eines kenianischen Vaters und einer Mutter aus dem amerikanischen Herzland, der an den Veränderungswillen aller Amerikaner appelliert, gilt er seinen Anhängern als Repräsentant einer modernen, urbanen, ethnisch gemischten und toleranten Gesellschaft, die mehr an Problemlösungen als an den alten Grabenkämpfen zwischen Ethnien, Parteien und Gesellschaftsschichten interessiert ist. Er findet viele Anhänger bei gebildeten und wohlhabenden Wählern aller Hautfarben. Schwarze Amerikaner unterstützen ihn mit sehr großer Mehrheit. Vor allem aber mobilisiert er zahlreiche junge Wähler. Schon im perfekt organisierten Vorwahlkampf zogen sie von Haus zu Haus, machten das Internet zum Wahlkampfmedium und warben dabei viele Spendengelder für ihn ein.

    Während Hillary Clinton mit ihrer Erfahrung und rationalen Argumentationsweise zu punkten versuchte und vor allem ältere Wähler, Frauen, Wähler lateinamerikanischer Herkunft und die weiße Arbeiterschaft ansprach, glich Obamas Kampagne von Anfang an einer Bewegung, die bewusst an das Erbe John F. Kennedys und den Stil Martin Luther Kings anknüpfte. Kritiker sehen in diesem Stil Elemente der Great Awakenings und anderer charismatischer Strömungen in der amerikanischen Geschichte. Der Kandidat wurde dabei zur Projektionsfläche der Träume und Wünsche seiner Anhänger und musste dabei während der Vorwahlen inhaltlich nicht besonders konkret werden. Diese Defizite muss er jetzt im Wettbewerb mit McCain auszugleichen versuchen.

    Offen war, inwiefern der lange innerparteiliche Machtkampf zwischen Obama und Clinton dem Sieger später, bei der eigentlichen Präsidentschaftswahl, hinderlich sein würde. Während John McCain schon Anfang März 2008 als republikanischer Kandidat feststand, zogen sich die demokratischen Vorwahlen bis Juni hin. Verschiedentlich wurde gemutmaßt, dass – nicht zuletzt wegen der starken Polarisierung innerhalb der Partei – viele verärgerte Clinton-Anhänger letztlich der Wahl fernbleiben, oder sogar für McCain stimmen würden. Auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten stellten sich die Clintons allerdings mit zwei fulminanten Reden eindeutig hinter Obama, um die nötige Einheit der Basis wieder herzustellen. Glaubt man den Meinungsumfragen, hatten sie damit Erfolg.

    Als running mate, also als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft wählte Obama den 65 Jahre alten Senator Joe Biden. Zwei Motivationen scheinen hinter dieser Wahl zu stecken. Zum einen soll Biden als langjähriger Experte für Außen- und Sicherheitspolitik im Senat Obamas – im Vergleich zu McCain – geringere Erfahrung auf diesem Gebiet kompensieren und damit ein Argument der republikanischen Wahlkampagne aushebeln. Zum anderen hofft man, dass Biden die im Schnitt eher älteren, der weißen unteren Mittelschicht und Arbeiterschaft zugehörigen Anhänger Clintons anspricht, bei denen es Obama schwer hat. Viel wird von Obamas Fähigkeit zur Mobilisierung abhängen. Falls er es schafft, die während der Vorwahlen mobilisierten und dann neu registrierten Wähler zu bewegen, am Wahltag tatsächlich zur Wahl zu gehen, hat er gute Voraussetzungen für einen Wahlerfolg.

    John McCain ist dagegen der Repräsentant eines ganz anderen Amerika, nämlich das der eher kleinstädtischen bzw. ländlichen, weißen und älteren Wählerschaft. Der 71-Jährige ist ein sicherheitspolitischer Experte mit langer außenpolitischer Erfahrung, der im Vietnamkrieg Gefangenschaft und Folter überstand und aufgrund seiner unorthodoxen und impulsiven Persönlichkeit und seiner politischen Unangepasstheit oft als „Maverick“ bezeichnet wird. Ehre und Patriotismus sind seine Leitmotive. In der Außenpolitik gilt er als Falke, der für eine Stärkung der amerikanischen Streitkräfte eintritt und im islamischen Extremismus die zentrale Bedrohung für den Westen sieht.

    Vor dem republikanischen Nominierungsparteitag in St. Paul Anfang September überraschte er mit seiner Wahl der bis dahin völlig unbekannten Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, als running mate. Die sozialkonservative Palin betrat die Bühne der nationalen Politik in St. Paul mit einem temperamentvollen und an uramerikanische Instinkte appellierenden Auftritt. Sie ist lebenslanges Mitglied der National Rifle Organisation, eine strikte Gegnerin von Abtreibung und bestreitet die menschliche Urheberschaft für den Klimawandel. Den Krieg im Irak sowie den Bau von Pipelines durch Naturschutzgebiete in Alaska hat sie als „gottgewollt“ bezeichnet. Zudem wird ihr das Image einer unerschrockenen Reformerin zugeschrieben, die in ihrem Staat mit korrupten Verhältnissen selbst in der eigenen Partei aufräumte und deshalb Zustimmungsraten von 80% und mehr erreichte. Dieses bisher positive Image von Sarah Palin unter konservativen Wählern gab der McCain-Kampagne einen kräftigen Schub.

    Auf die eher liberale weibliche Klientel Hillary Clintons zielt die Wahl Palins wohl kaum. Eher soll sie die große Wählerschaft der Evangelikalen mobilisieren. Dieser Teil der republikanischen Basis steht McCain skeptisch gegenüber, da er aus ihrer Sicht zu liberale gesellschaftspolitische Positionen vertritt. Als Senator hat er oft undogmatisch über Parteigrenzen hinweg für politische Projekte geworben, bei Themen wie der Einwanderung und der Abtreibung wird er als moderat eingeschätzt. Einerseits grenzt sich McCain mit seinem Image eines unorthodoxen Außenseiters bewusst von der unbeliebten Bush-Administration ab und führt eine Kampagne, als sei er der Kandidat einer oppositionellen Bewegung zu Stil und Inhalten der in Washington bisher betriebenen Politik. Andererseits benötigt er die religiös und gesellschaftspolitisch konservativen Wähler, um das republikanische Wählerpotenzial auszuschöpfen. Die Mobilisierung dieser Wählergruppen ist Palins Funktion.

    Zwar nimmt Palin McCain weitestgehend die Möglichkeit, gegen Obamas mangelnde Erfahrung zu argumentieren. Andererseits – und dies scheint seit dem Parteitag der Republikaner die neue Strategie McCains zu sein – kann er sich mit ihrer Hilfe als eigentlicher Reformer geben, der in Washington aufräumen will. Populistische Angriffe gegen die liberalen Medien und „das Establishment“, in das auch Obama eingeordnet wird, sind dafür beliebte Mittel. Damit hat der Kandidat der seit acht Jahren regierenden Republikaner interessanterweise das Mantra des Change aufgenommen. Im Wahlkampf wird sich nun herausstellen müssen, ob der McCain-Kampagne diese Identifikation gelingen kann, oder ob Obama und sein Team es vermögen, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass McCain tatsächlich nur „more of the same“ ist, also für weitere vier Jahre Bush-Politik steht.

    Das zentrale Thema der Wahl ist dabei für die Amerikaner zweifellos die wirtschaftliche Lage. Die Immobilienkrise, die Krise an den Finanzmärkten steigende Arbeitslosigkeit und Benzinpreise sind für die meisten Wähler noch weit wichtiger als die Situation im Irak und in Afghanistan. Dies wurde bisher immer als ein Vorteil für Obama gesehen, bei dem die Wähler laut Umfragen eine größere ökonomische Kompetenz vermuten. Dementsprechend legt er großes Gewicht auf diese Themen. Seit dem Nominierungsparteitag der Republikaner hat McCain jedoch nicht nur insgesamt in den Umfragen aufgeholt – momentan liegt er knapp vorne –, er konnte auch den Abstand zu Obama auf dem Gebiet der Wirtschaft bedeutend verkürzen.

    Ein Vorteil McCains ist sicherlich sein Image als starker Oberbefehlshaber. So könnte er angesichts der neuerlichen Konfrontationslage und zumal der Georgien-Krise von seiner traditionell kritischen Haltung gegenüber Russland profitieren. „Today, we are all Georgians“, wir alle sind heute Georgier, verkündete er am 12. August bei einer Wahlkampfveranstaltung. Er erweckt damit in Anklang an J. F. Kennedys Rede in Berlin beim Wähler den Eindruck, als würde er Georgien gegen Russland verteidigen – ohne dies allerdings explizit auszudrücken. Jede weitere internationale Krise bis zum 4. November wird zweifellos McCains Chancen verbessern. Traditionell neigen die Amerikaner dazu, in außen- und sicherheitspolitischen Krisenzeiten eher konservativ zu wählen.

    Im Moment sind keine seriösen Prognosen über den Wahlausgang möglich. Die Umfragen ergeben ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das bis zu letzten Moment andauern dürfte.

    III. Besonderheiten des Wahlkampfes

    Zu den Besonderheiten der diesjährigen Präsidentschaftswahlen gehört, dass sich entgegen gängiger Klischees in den Vorwahlen der beiden Parteien nicht die Kandidaten durchsetzten, die über das größte Privatvermögen verfügten und von Beginn an die Unterstützung des Parteiestablishments hatten, sondern eher untypische Charaktere. Mit dem Erfolg McCains als unangepasster Republikaner und Obamas als erster aussichtsreicher farbiger Kandidat hatte anfangs keiner gerechnet. Beide entsprechen nicht dem Zerrbild amerikanischer Politik in vielen Teilen der Welt. Die amerikanische Demokratie hat einmal mehr bewiesen, zu welcher Kraft sie fähig ist, sich ständig neu zu erfinden und eine Begeisterung für die Mitgestaltung der Politik zu wecken, die auch nach Europa ausstrahlt und für die USA viele neue Sympathie gewinnt.

    Zugleich spielen Wahlkampfspenden dieses Mal eine noch größere Rolle als jemals zuvor in der amerikanischen Geschichte. Die Spendeneinnahmen beider Parteien dürften bereits über einer Milliarde US-Dollar liegen, während sie in den Jahren 2000 und 2004 noch für alle Kandidaten zusammen 335 Millionen bzw. 671 Millionen Dollar betrugen. Geld spielt also weiterhin eine überragende Rolle und zwingt die Kandidaten, große Energien in das fundraising zu investieren. Dabei war Obama bislang ungemein erfolgreich. Es gelang ihm, über seine Aktivisten und das Internet viele Kleinspenden einzuwerben und fast doppelt so viel Geld zu sammeln wie John McCain. Daher verzichtete er – anders als McCain - auf staatliche Wahlkampffinanzierung, da sie die Maximalausgaben eines Kandidaten im Hauptwahlkampf auf 84 Mio. US-D deckeln. Obama kann jedoch viel mehr an privaten Spenden einsammeln.

    Die Bedeutung des Internets im diesjährigen US-Wahlkampf ist ein Trend, der sich auch bei uns durchsetzen könnte und der zu einer verstärkten Partizipation der Bevölkerung am Wahlprozess und an der öffentlichen Meinungsbildung beitragen kann. In den USA erreichen die Websites der Kandidaten und damit verbundene Funktionen, wie E-Mails, Blogs, Video-Podcasts und soziale Netzwerkseiten, bereits eine ungewöhnlich große Zahl vornehmlich junger Wähler. Insbesondere der Obama-Kampagne gelang es schon im Vorwahlkampf, das Internet schlagkräftig zur Mobilisierung der eigenen Anhänger und zur Einwerbung von Spenden einzusetzen. Monatlich besuchten zwei bis drei Millionen Menschen die Website Obamas. Die Seite des Republikaners John McCain kam auf wesentlich geringere Nutzerzahlen.

    Religion spielt in amerikanischen Wahlkämpfen stets eine große Rolle. Während die Demokraten die evangelikalen Christen bei den Präsidentschaftswahlen von 2004 noch vernachlässigten und dafür abgestraft wurden, versuchen sie 2008, dieses Wählersegment stärker anzusprechen. Obama bedient die religiöse Grundstimmung in Amerika sehr effektvoll durch seinen pastoralen Redestil, der auffallend dem Martin Luther Kings ähnelt. Seine frühere Zugehörigkeit zur Trinity United Church of Christ in Chicago bereitete ihm aufgrund umstrittener Äußerungen des Pastors Jeremiah Wright allerdings auch Probleme. John McCain ist mit seinen gesellschaftspolitischen Ansichten sicher nicht der Wunschkandidat der evangelikalen Konservativen, dies kompensiert aber Sarah Palin an seiner Seite.

    IV Was haben wir von der neuen US-Administration zu erwarten?

    Was bedeuten nun eine Wahl Obamas oder McCains für Deutschland? Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die deutsche Bevölkerung Obama als Präsidenten klar bevorzugen würde. Mit Zustimmungsraten von 80% und mehr liegen sie sogar noch vor dem europäischen Durchschnitt von um die 70% und der 49-prozentigen Präferenz für Obama, die eine weltweite Umfrage der BBC in 22 Ländern kürzlich ergeben hat. Von einem Erfolg Obamas versprechen sich die Europäer zudem eher eine Besserung der transatlantischen Beziehungen als bei einem Wahlsieg McCains. Die Amerikaner schätzen dies übrigens ähnlich ein.

    Die Bundesregierung nimmt zu recht eine neutrale Position ein. Sie könnte mit beiden im November zur Wahl stehenden Kandidaten gut zusammenarbeiten, und es entsprich auch deutschen Interessen, mit jedem Präsidenten, den das amerikanische Volk wählt, eng zusammenarbeiten zu können, denn die USA sind unser wichtigster Partner außerhalb der EU. John McCain ist der Kandidat mit der größeren außen- und sicherheitspolitischen Erfahrung und dem ausgeprägteren Interesse an Europa. Obama ist derzeit Vorsitzender des Unterausschusses für europäische Angelegenheiten im Senat, er kennt Europa aber kaum. Im Wahlkampf spielen europäische Themen bislang keine Rolle, weil wir anders als in früheren Jahrzehnten nicht mehr im Zentrum einer Krisenregion leben. Beide Kandidaten versprechen jedoch eine größere Bereitschaft der USA, auf ihre Partner zuzugehen, ihre Standpunkte zu berücksichtigen und multilaterale Institutionen ernster zu nehmen, als dies bei der Bush-Administration der Fall war. Viele Europäer verbinden mit den Wahlen daher große Erwartungen und hoffen auf eine grundsätzliche Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik, besonders unter einem Präsidenten Obama.

    Dabei sind die Unterschiede zwischen den Kandidaten in den außenpolitischen Zielsetzungen weniger klar, als viele Europäer vermuten. Trotz aller Bekenntnisse zur Bedeutung multilateraler Zusammenarbeit wird keine US-Administration dem Multilateralismus den gleichen Stellenwert einräumen wie es z.B. Deutschland tut. Vor allem aber wird der US-Kongress anders als unser Grundgesetz das Völkerrecht nicht von vornherein als übergeordnete Instanz anerkennen, die nationales Recht überlagert. Dem widersprächen nicht nur die verfassungspolitische Tradition, sondern auch der Weltmachtstatus und die politische Kultur der Vereinigten Staaten. Weder McCain noch Obama werden die Anwendung militärischer Gewalt von vornherein ausschließen, wenn es um die Durchsetzung und Verteidigung wichtiger amerikanischer Sicherheitsinteressen geht. Dies kann auch in Zukunft notfalls auch ohne die Unterstützung der Verbündeten geschehen.

    Größere Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten werden in der Irakpolitik gesehen. Die demokratische Kongressmehrheit versuchte wiederholt, Präsident Bush auf ein Abzugsdatum für die US-Truppen festzulegen. McCain argumentierte schon früh für eine Aufstockung der Truppen, um die Gewalt im Irak einzudämmen und die Regierung in Bagdad zu stabilisieren. Auch gegenwärtig ist McCain für die „Fortsetzung der Bemühungen, den Krieg im Irak zu gewinnen“, während Obama für einen schrittweisen Abzug der Truppen und eine Übergabe der Verantwortung an die Iraker plädiert. Letzten Endes werden jedoch die konkrete militärische Situation und die Stabilität der irakischen Regierung für den Zeitplan des Truppenabzugs entscheidend sein und weniger die Absichtserklärungen im Wahlkampf.

    Nicht erst seit den kriegerischen Auseinandersetzungen in Georgien im vergangenen August gibt es eine kontroverse transatlantische Debatte um die Beziehungen zu Russland. John McCain und andere Republikaner fordern eine gemeinsame, harte Linie des Westens gegen ein von ihnen als revanchistisches wahrgenommenes Russland. So sollten die G-8 „wieder ein Klub führender Marktdemokratien“ werden. McCain plädiert für die Aufnahme Indiens und Brasiliens in die Staatengruppe, jedoch gleichzeitig für den Ausschluss Russlands und das Heraushalten Chinas. Dies würde eine gravierende Brüskierung zweier globaler Mächte bedeuten und wäre eine Abkehr von der bisherigen Politik Washingtons, Peking und Moskau so weit wie möglich in die internationale Ordnung einzubinden. Obama äußert sich differenzierter zu Russland. Auch in seiner Partei werden jedoch zunehmend antirussische Stimmungen laut. Groß ist die Enttäuschung über die inneren Entwicklungen und das außenpolitische Auftreten des wieder erstarkten Russland.

    So reagierten Politiker und Medien in den USA scharf auf das auch aus deutscher Sicht unverhältnismäßige Eingreifen Russlands in den Konflikt zwischen der Regierung in Tiflis und den abtrünnigen Gebieten Südossetien und Abchasien, die sich mittlerweile für unabhängig erklärten. Dabei gab es auch Vorwürfe gegen Europa und namentlich Deutschland, das sich beim letzten NATO-Gipfel gegen einen konkreten Zeitplan für eine Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die Allianz ausgesprochen hatte und dem eine zu russlandfreundliche Haltung aufgrund einer angeblich zu großen Abhängigkeit von Öl- und Gaslieferungen aus Russland unterstellt werden. Dabei ist aus meiner Sicht die Unterstellung, dass die deutsche Politik gegenüber Russland durch unsere Gas-Interessen bestimmt sei, eine ebenso verengte und damit falsche Sichtweise wie die, dass die amerikanische Politik gegenüber dem Irak nur durch Öl-Interessen bestimmt sei.

    Die autoritären Tendenzen in Russland und ein zum Teil konfrontatives Verhalten gegenüber seinen Nachbarn sollten wir Deutsche kritisieren. Aber die EU und Russland sind direkte Nachbarn und bleiben in vielfältiger Weise aufeinander angewiesen. Russland wird z.B. bei den Bemühungen um Abrüstung und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie bei der Stabilisierung von Krisenregionen dringend gebraucht. Es bleibt deshalb deutsche Politik, trotz aller berechtigten Kritik an russischer Rhetorik und russischem Verhalten für ein rationales und kooperatives Verhältnis zu Russland zu werben.

    Die Besorgnis in den USA über den Wiederaufstieg Russlands und Chinas fand ihren Ausdruck auch in dem neuen außenpolitischen Konzept einer „Allianz der Demokratien“, das von McCain und auch von Beratern der Obama-Kampagne vorgeschlagen worden ist. Dabei geht es im Kern um die Idee, einen neuen institutionellen Rahmen für die demokratisch regierten Länder der Welt zu schaffen, damit diese besser bei der Bewältigung internationaler Sicherheitsprobleme kooperieren könnten. Dies soll besonders dann zur Geltung kommen, wenn die Vereinten Nationen aufgrund ihrer Entscheidungsprozesse gelähmt wären. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass Legitimität, besonders beim Einsatz militärischer Macht, weniger aus der möglichst breiten Zustimmung der internationalen Gemeinschaft erwachse als aus der moralischen „Richtigkeit“ der Entscheidungen und der „inneren Legitimität“ demokratisch gewählter Regierungen. Es ist jedoch fraglich, nach welchen Kriterien über die Mitgliedschaft in dem neuen Bund entschieden wird. Provoziert man mit einer solchen Idee nicht neue Spannungen in der Welt, wenn man Staaten wie Russland und China aus wichtigen Entscheidungsprozessen ausschließt? Deren Unterstützung für die Bewältigung globaler Probleme wie des Klimawandels ist aber unerlässlich. Sollte sich dieses Projekt in der Regierungspolitik der neuen Administration wiederfinden, werden die Europäer hier Gesprächsbedarf haben und Widerspruch äußern.

    Zudem herrscht im Kongress bei Republikanern und Demokraten eine sehr irankritische Haltung. Bei Abgeordneten beider Parteien gilt die Darstellung im Geheimdienstbericht National Intelligence Estimate vom Dezember 2007, laut dem Iran im Herbst 2003 sein Nuklearwaffenprogramm stoppte, als problematisch oder gar verharmlosend. Sie fordern die Administration auf, die Verbündeten zu mehr Druck auf Iran zu bewegen. Dazu gehören etwa Sanktionen gegen ausländische Firmen, die mit Iran Geschäftsbeziehungen unterhalten, und weitere Finanzsanktionen gegen Iran. Deutschland hat seine früheren engen wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran bereits deutlich eingeschränkt. Wir sollten uns aber darauf gefasst machen, dass von der neuen Administration im Weißen Haus mit Unterstützung durch den Kongress sehr schnell Forderungen nach weiterem wirtschaftlichen und politischen Druck auf den Iran kommen werden.

    Weitere drängende internationale Probleme und regionale Krisen bleiben der transatlantischen Agenda unter der neuen US-Administration erhalten: die gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus, ein Neubeginn in den Bemühungen um nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung, die Verwirklichung einer Friedensordnung im Nahen Osten, die geopolitische und wirtschaftliche Herausforderung durch aufstrebende Mächte wie China, Indien und Brasilien und die Konflikte in Afghanistan und Pakistan, auf dem Balkan, in Afrika und Asien. Langweilig wird die transatlantische Agenda der nächsten Jahre jedenfalls nicht. Die Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und Demokraten haben ihre Bereitschaft bekundet, ihre Verbündeten stärker in die Lösung solcher Konflikte einzubeziehen.

    Zugleich werden sie aber auf eine aus US-Sicht gerechtere Lastenverteilung pochen. Auf Deutschland und andere europäische Staaten werden daher neue Forderungen nach der Übernahme militärischer und ziviler Aufgaben in Krisengebieten zukommen. Vor allem mit Blick auf (Süd-)Afghanistan dürfte sich der amerikanische Druck auf Deutschland und die EU, mehr für die gemeinsame Sicherheit zu leisten, noch verstärken. Außerdem ist zu erwarten, dass die neue US-Administration auch mit der Bitte um Beiträge zur zivilen Stabilisierung des Iraks an die Verbündeten herantreten wird. Angesichts der erheblichen Skepsis in der deutschen öffentlichen Meinung gegenüber den Auslandseinsätzen der Bundeswehr bedeutet dies – vor allem im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl - eine große Herausforderung für die Bundesregierung und den Bundestag.

    Europa und die USA können aber neben den klassischen außenpolitischen Themen auch in vielen anderen Bereichen noch enger kooperieren. Die transatlantische Wirtschaftspartnerschaft, die Millionen Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks sichert, bietet dafür gerade in Zeiten einer sich abschwächenden Weltkonjunktur und von Turbulenzen auf den Finanzmärkten große Chancen. Die EU und die USA sollten die im Frühjahr 2007 beschlossene Vertiefung dieser Zusammenarbeit im Rahmen des Transatlantischen Wirtschaftsrats verstärken. Streitigkeiten über Details wie das Importverbot von chlorbehandeltem Geflügelfleisch durch die EU sollten baldmöglichst beigelegt werden. Hinderlich für die Handelsbeziehungen sind auch zunehmende protektionistische Reflexe in der amerikanischen Bevölkerung und im Kongress. Diese werden vor allem von der demokratischen Basis und damit auch von Barack Obama aufgegriffen, während der Republikaner McCain weiterhin den Freihandel verteidigt.

    Ich hoffe, dass wir auch unsere Zusammenarbeit in einer Reihe klassischer innenpolitischer Problemstellungen intensivieren können. Dazu gehören Themen wie eine bezahlbare, allgemeine Krankenversicherung (45 Millionen Amerikaner sind unversichert), der Umgang mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel, einschließlich des Verlustes industrieller Arbeitsplätze an Billiglohnländer, der Kaufkraftverlust für die Mitteklasse und Probleme mit Armut und Dumpinglöhnen inmitten unserer wohlhabenden Gesellschaften. Auch hier können wir von einander lernen und sollten vor allem vermeiden, uns gegenseitig mit protektionistischen Maßnahmen zu schaden.

    Von großer Relevanz für die Zukunft unserer Gesellschaften ist der Themenkomplex Klimaschutz und Energiesicherheit. Während sich die EU ehrgeizige Reduktionsziele für Treibhausgase setzt, hat sich die Bush-Administration zu Beginn mit dem Thema schwer getan. Sie lehnte eine verbindliche Begrenzung von CO2-Emissionen ab, solange große Schwellenländer wie China und Indien, die einen immer größeren Anteil an den Emissionen haben, nicht ebenfalls in die Pflicht genommen werden. Mittlerweile hat sich jedoch auch in den USA die Diskussion verändert. Eine Reihe von Bundesstaaten, darunter Kalifornien und Florida, haben eigene Gesetze zur Begrenzung von Treibhausgasen und zur Förderung erneuerbarer Energien verabschiedet. Sowohl Barack Obama als auch John McCain haben sich für verstärkte Maßnahmen zum Klimaschutz ausgesprochen, so dass der Boden für eine europäisch-amerikanische Zusammenarbeit nach den Wahlen fruchtbar ist. Minister Steinmeier wird Ende September bei einer Konferenz in Berlin gemeinsam mit seinem Kabinettskollegen Gabriel und amerikanischen Gästen den Startschuss zu einer neuen transatlantischen Initiative zu diesem wichtigen Zukunftsthema geben.

    Bei allen genannten Themen bleibt die transatlantische Partnerschaft die notwendige Vorbedingung für Problemlösungen. Zwar müssen in einer zunehmend globalisierten und vernetzten Welt auch viele andere Partner eingebunden werden, doch ohne die enge Kooperation zwischen den USA und Europa wird es keine Fortschritte bei der Bewältigung der drängenden Probleme unserer Zeit geben. Für die Europäer bleiben die USA der wichtigste Partner, und auch amerikanische Politiker wissen, dass die Schnittmenge gemeinsamer Interessen und Werte mit keiner anderen Region der Welt so groß ist wie mit Europa. Die bevorstehenden Präsidentschafts- und Kongresswahlen bieten einen guten Anlass, um dieser Partnerschaft neuen Schwung zu verleihen. Dabei werden auch Unterschiede in den Meinungen und außenpolitischen Ansätzen zwischen Europa und den USA bestehen bleiben. Amerikaner und Europäer sollten lernen, mit solchen Differenzen gelassen umzugehen und aus Widersprüchen gemeinsame, konstruktive Lösungen zu entwickeln.

    Karsten D. Voigt ist seit 1999 Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.
    [size=16]„Amerika vor der Wahl – Obama oder McCain – Was wird sich an den deutsch-amerikanischen Beziehungen ändern?“ Vortrag vor Amerika Gesellschaft und Harvard Club Hamburg am 16. September 2008[/size]

    16.09.2008 Presseerklärung
    Karsten D. Voigt ist seit 1999 Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

    I. Vorbemerkungen: nicht nur der Präsident, auch der Kongress wird gewählt

    Am 4. November 2008 finden in den Vereinigten Staaten von Amerika die Präsidentschaftswahlen sowie die Wahlen zum 111. Kongress statt. Das Interesse an den Wahlen ist in den deutschen Medien und der Bevölkerung außerordentlich. Ausdruck dieses Interesses und gleichzeitig von überzogenen Hoffnungen auf einen grundlegenden Wandel der amerikanischen Politik war der Massenandrang beim Besuch des demokratischen Kandidaten Barack Obama Ende Juli in Berlin, als er vor 200.000 Zuhörern an der Siegessäule eine Rede hielt.

    Der Fokus des allgemeinen Interesses liegt eindeutig auf der Wahl zum Präsidenten, wobei die Kongresswahlen in ihrer Wichtigkeit keinesfalls unterschätzt werden sollten. Durch seine Kompetenzen in der Haushalts-, Steuer- und Handelspolitik nimmt der Kongress nämlich eine wichtige Rolle im amerikanischen Verfassungsgefüge ein. Ohne Zustimmung des Senats kann der Präsident keine Verträge abschließen und keine Minister, Verfassungsrichter und Botschafter ernennen.

    Bei der Wahl entscheiden die amerikanischen Bürger über alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses sowie über ein Drittel der Sitze im Senat. Derzeit halten die Demokraten eine Mehrheit in beiden Häusern. Im Senat ist diese dabei mit 51 zu 49 Stimmen im Senat nur sehr knapp, und dies auch nur wegen der den Demokraten nahe stehenden Position zweier unabhängiger Senatoren. Dieser Vorsprung wird sich allen Prognosen zufolge vermutlich vergrößern, denn die Republikaner müssen 23 der 35 zur Wahl stehenden Sitze verteidigen, darunter fünf so genannte open seats, bei denen sich die Amtsinhaber nicht zur Wiederwahl stellen. Elf der zwölf am heftigsten umkämpften Sitze werden oder wurden zudem von Republikanern gehalten. Trotz der prognostizierten Zugewinne gilt es aber dennoch als unwahrscheinlich, dass die Demokraten die wichtige Schwelle von 60 Sitzen erreichen können. Diese wäre nötig um das filibuster der Minderheitsfraktion auszuhebeln, also die Taktik, durch Dauerreden eine Beschlussfassung zu verhindern.

    Im Repräsentantenhaus halten die Demokraten derzeit eine Mehrheit von 236 zu 199 Sitzen vor den Republikanern. Wahrscheinlich werden sie diese Mehrheit ausbauen können, wenn auch nur in sehr geringem Maße, wie die letzten Prognosen seit dem Nominierungsparteitag der Republikaner vermuten lassen. Im Frühjahr dieses Jahres konnten die Demokraten aber bei Nachwahlen drei Sitze in Wahlbezirken erringen, die zuvor als republikanische Hochburgen galten.

    Allerdings sollten die Demokraten durch Umfragen gewarnt sein. Die republikanische Regierung unter George W. Bush ist zwar unbeliebt, der demokratisch dominierte Kongress hat die Wähler aber noch wesentlich stärker enttäuscht. Als die Demokraten 2006 die Kongressmehrheit errangen, versprachen sie, den Irakkrieg zu beenden, die Haushaltsdisziplin auf Bundesebene wiederherzustellen und die Regierung stärker zu kontrollieren. Diese Versprechen wurden jedoch auch aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse und der verfassungsrechtlichen Machtfülle des Präsidenten in den Augen der Wähler kaum erfüllt. So billigte der Kongress z.B. zusätzliche Milliardensummen für die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan, ohne dabei im Gegenzug Bush auf einen Zeitplan für den Abzug der Truppen aus dem Irak festlegen zu können. Das Ergebnis ist eindeutig: Ende August gaben 49% der befragten Amerikaner an, mit der Arbeit des Kongresses sehr unzufrieden zu sein, 29% waren unzufrieden.

    Für George W. Bush sind die Zahlen dramatisch schlecht. In derselben Umfrage sagten 64%, mit dem Präsidenten unzufrieden oder sehr unzufrieden zu sein. Noch mehr – über 70% – glaubten, das Land sei auf dem falschen Weg. Fünf Jahre nach dem Beginn des Militäreinsatzes im Irak ist die Bevölkerung kriegsmüde und beunruhigt über die hohen Opferzahlen und die finanziellen Belastungen für Staatshaushalt und Steuerzahler. Noch schwerer wiegen aber der anhaltende Konjunkturabschwung und die Immobilien- und Finanzkrise, welche die amerikanische Mittelklasse stark verunsichern.

    II. Themen und Kandidaten des Präsidentschaftswahlkampfes

    Angesichts der negativen öffentlichen Meinung zu Präsident und Kongress wurden die Begriffe „Change“ und „Hope“, Wandel und Hoffnung, so zu Schlüsselbegriffen des Wahlkampfs. Zuerst hat Barack Obama diese Motive ins Feld geführt und setzte sich damit im Vorwahlkampf gegen die ursprünglich als Favoritin geltende Hillary Clinton durch. Als relativ junger Kandidat, als Sohn eines kenianischen Vaters und einer Mutter aus dem amerikanischen Herzland, der an den Veränderungswillen aller Amerikaner appelliert, gilt er seinen Anhängern als Repräsentant einer modernen, urbanen, ethnisch gemischten und toleranten Gesellschaft, die mehr an Problemlösungen als an den alten Grabenkämpfen zwischen Ethnien, Parteien und Gesellschaftsschichten interessiert ist. Er findet viele Anhänger bei gebildeten und wohlhabenden Wählern aller Hautfarben. Schwarze Amerikaner unterstützen ihn mit sehr großer Mehrheit. Vor allem aber mobilisiert er zahlreiche junge Wähler. Schon im perfekt organisierten Vorwahlkampf zogen sie von Haus zu Haus, machten das Internet zum Wahlkampfmedium und warben dabei viele Spendengelder für ihn ein.

    Während Hillary Clinton mit ihrer Erfahrung und rationalen Argumentationsweise zu punkten versuchte und vor allem ältere Wähler, Frauen, Wähler lateinamerikanischer Herkunft und die weiße Arbeiterschaft ansprach, glich Obamas Kampagne von Anfang an einer Bewegung, die bewusst an das Erbe John F. Kennedys und den Stil Martin Luther Kings anknüpfte. Kritiker sehen in diesem Stil Elemente der Great Awakenings und anderer charismatischer Strömungen in der amerikanischen Geschichte. Der Kandidat wurde dabei zur Projektionsfläche der Träume und Wünsche seiner Anhänger und musste dabei während der Vorwahlen inhaltlich nicht besonders konkret werden. Diese Defizite muss er jetzt im Wettbewerb mit McCain auszugleichen versuchen.

    Offen war, inwiefern der lange innerparteiliche Machtkampf zwischen Obama und Clinton dem Sieger später, bei der eigentlichen Präsidentschaftswahl, hinderlich sein würde. Während John McCain schon Anfang März 2008 als republikanischer Kandidat feststand, zogen sich die demokratischen Vorwahlen bis Juni hin. Verschiedentlich wurde gemutmaßt, dass – nicht zuletzt wegen der starken Polarisierung innerhalb der Partei – viele verärgerte Clinton-Anhänger letztlich der Wahl fernbleiben, oder sogar für McCain stimmen würden. Auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten stellten sich die Clintons allerdings mit zwei fulminanten Reden eindeutig hinter Obama, um die nötige Einheit der Basis wieder herzustellen. Glaubt man den Meinungsumfragen, hatten sie damit Erfolg.

    Als running mate, also als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft wählte Obama den 65 Jahre alten Senator Joe Biden. Zwei Motivationen scheinen hinter dieser Wahl zu stecken. Zum einen soll Biden als langjähriger Experte für Außen- und Sicherheitspolitik im Senat Obamas – im Vergleich zu McCain – geringere Erfahrung auf diesem Gebiet kompensieren und damit ein Argument der republikanischen Wahlkampagne aushebeln. Zum anderen hofft man, dass Biden die im Schnitt eher älteren, der weißen unteren Mittelschicht und Arbeiterschaft zugehörigen Anhänger Clintons anspricht, bei denen es Obama schwer hat. Viel wird von Obamas Fähigkeit zur Mobilisierung abhängen. Falls er es schafft, die während der Vorwahlen mobilisierten und dann neu registrierten Wähler zu bewegen, am Wahltag tatsächlich zur Wahl zu gehen, hat er gute Voraussetzungen für einen Wahlerfolg.

    John McCain ist dagegen der Repräsentant eines ganz anderen Amerika, nämlich das der eher kleinstädtischen bzw. ländlichen, weißen und älteren Wählerschaft. Der 71-Jährige ist ein sicherheitspolitischer Experte mit langer außenpolitischer Erfahrung, der im Vietnamkrieg Gefangenschaft und Folter überstand und aufgrund seiner unorthodoxen und impulsiven Persönlichkeit und seiner politischen Unangepasstheit oft als „Maverick“ bezeichnet wird. Ehre und Patriotismus sind seine Leitmotive. In der Außenpolitik gilt er als Falke, der für eine Stärkung der amerikanischen Streitkräfte eintritt und im islamischen Extremismus die zentrale Bedrohung für den Westen sieht.

    Vor dem republikanischen Nominierungsparteitag in St. Paul Anfang September überraschte er mit seiner Wahl der bis dahin völlig unbekannten Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, als running mate. Die sozialkonservative Palin betrat die Bühne der nationalen Politik in St. Paul mit einem temperamentvollen und an uramerikanische Instinkte appellierenden Auftritt. Sie ist lebenslanges Mitglied der National Rifle Organisation, eine strikte Gegnerin von Abtreibung und bestreitet die menschliche Urheberschaft für den Klimawandel. Den Krieg im Irak sowie den Bau von Pipelines durch Naturschutzgebiete in Alaska hat sie als „gottgewollt“ bezeichnet. Zudem wird ihr das Image einer unerschrockenen Reformerin zugeschrieben, die in ihrem Staat mit korrupten Verhältnissen selbst in der eigenen Partei aufräumte und deshalb Zustimmungsraten von 80% und mehr erreichte. Dieses bisher positive Image von Sarah Palin unter konservativen Wählern gab der McCain-Kampagne einen kräftigen Schub.

    Auf die eher liberale weibliche Klientel Hillary Clintons zielt die Wahl Palins wohl kaum. Eher soll sie die große Wählerschaft der Evangelikalen mobilisieren. Dieser Teil der republikanischen Basis steht McCain skeptisch gegenüber, da er aus ihrer Sicht zu liberale gesellschaftspolitische Positionen vertritt. Als Senator hat er oft undogmatisch über Parteigrenzen hinweg für politische Projekte geworben, bei Themen wie der Einwanderung und der Abtreibung wird er als moderat eingeschätzt. Einerseits grenzt sich McCain mit seinem Image eines unorthodoxen Außenseiters bewusst von der unbeliebten Bush-Administration ab und führt eine Kampagne, als sei er der Kandidat einer oppositionellen Bewegung zu Stil und Inhalten der in Washington bisher betriebenen Politik. Andererseits benötigt er die religiös und gesellschaftspolitisch konservativen Wähler, um das republikanische Wählerpotenzial auszuschöpfen. Die Mobilisierung dieser Wählergruppen ist Palins Funktion.

    Zwar nimmt Palin McCain weitestgehend die Möglichkeit, gegen Obamas mangelnde Erfahrung zu argumentieren. Andererseits – und dies scheint seit dem Parteitag der Republikaner die neue Strategie McCains zu sein – kann er sich mit ihrer Hilfe als eigentlicher Reformer geben, der in Washington aufräumen will. Populistische Angriffe gegen die liberalen Medien und „das Establishment“, in das auch Obama eingeordnet wird, sind dafür beliebte Mittel. Damit hat der Kandidat der seit acht Jahren regierenden Republikaner interessanterweise das Mantra des Change aufgenommen. Im Wahlkampf wird sich nun herausstellen müssen, ob der McCain-Kampagne diese Identifikation gelingen kann, oder ob Obama und sein Team es vermögen, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass McCain tatsächlich nur „more of the same“ ist, also für weitere vier Jahre Bush-Politik steht.

    Das zentrale Thema der Wahl ist dabei für die Amerikaner zweifellos die wirtschaftliche Lage. Die Immobilienkrise, die Krise an den Finanzmärkten steigende Arbeitslosigkeit und Benzinpreise sind für die meisten Wähler noch weit wichtiger als die Situation im Irak und in Afghanistan. Dies wurde bisher immer als ein Vorteil für Obama gesehen, bei dem die Wähler laut Umfragen eine größere ökonomische Kompetenz vermuten. Dementsprechend legt er großes Gewicht auf diese Themen. Seit dem Nominierungsparteitag der Republikaner hat McCain jedoch nicht nur insgesamt in den Umfragen aufgeholt – momentan liegt er knapp vorne –, er konnte auch den Abstand zu Obama auf dem Gebiet der Wirtschaft bedeutend verkürzen.

    Ein Vorteil McCains ist sicherlich sein Image als starker Oberbefehlshaber. So könnte er angesichts der neuerlichen Konfrontationslage und zumal der Georgien-Krise von seiner traditionell kritischen Haltung gegenüber Russland profitieren. „Today, we are all Georgians“, wir alle sind heute Georgier, verkündete er am 12. August bei einer Wahlkampfveranstaltung. Er erweckt damit in Anklang an J. F. Kennedys Rede in Berlin beim Wähler den Eindruck, als würde er Georgien gegen Russland verteidigen – ohne dies allerdings explizit auszudrücken. Jede weitere internationale Krise bis zum 4. November wird zweifellos McCains Chancen verbessern. Traditionell neigen die Amerikaner dazu, in außen- und sicherheitspolitischen Krisenzeiten eher konservativ zu wählen.

    Im Moment sind keine seriösen Prognosen über den Wahlausgang möglich. Die Umfragen ergeben ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das bis zu letzten Moment andauern dürfte.

    III. Besonderheiten des Wahlkampfes

    Zu den Besonderheiten der diesjährigen Präsidentschaftswahlen gehört, dass sich entgegen gängiger Klischees in den Vorwahlen der beiden Parteien nicht die Kandidaten durchsetzten, die über das größte Privatvermögen verfügten und von Beginn an die Unterstützung des Parteiestablishments hatten, sondern eher untypische Charaktere. Mit dem Erfolg McCains als unangepasster Republikaner und Obamas als erster aussichtsreicher farbiger Kandidat hatte anfangs keiner gerechnet. Beide entsprechen nicht dem Zerrbild amerikanischer Politik in vielen Teilen der Welt. Die amerikanische Demokratie hat einmal mehr bewiesen, zu welcher Kraft sie fähig ist, sich ständig neu zu erfinden und eine Begeisterung für die Mitgestaltung der Politik zu wecken, die auch nach Europa ausstrahlt und für die USA viele neue Sympathie gewinnt.

    Zugleich spielen Wahlkampfspenden dieses Mal eine noch größere Rolle als jemals zuvor in der amerikanischen Geschichte. Die Spendeneinnahmen beider Parteien dürften bereits über einer Milliarde US-Dollar liegen, während sie in den Jahren 2000 und 2004 noch für alle Kandidaten zusammen 335 Millionen bzw. 671 Millionen Dollar betrugen. Geld spielt also weiterhin eine überragende Rolle und zwingt die Kandidaten, große Energien in das fundraising zu investieren. Dabei war Obama bislang ungemein erfolgreich. Es gelang ihm, über seine Aktivisten und das Internet viele Kleinspenden einzuwerben und fast doppelt so viel Geld zu sammeln wie John McCain. Daher verzichtete er – anders als McCain - auf staatliche Wahlkampffinanzierung, da sie die Maximalausgaben eines Kandidaten im Hauptwahlkampf auf 84 Mio. US-D deckeln. Obama kann jedoch viel mehr an privaten Spenden einsammeln.

    Die Bedeutung des Internets im diesjährigen US-Wahlkampf ist ein Trend, der sich auch bei uns durchsetzen könnte und der zu einer verstärkten Partizipation der Bevölkerung am Wahlprozess und an der öffentlichen Meinungsbildung beitragen kann. In den USA erreichen die Websites der Kandidaten und damit verbundene Funktionen, wie E-Mails, Blogs, Video-Podcasts und soziale Netzwerkseiten, bereits eine ungewöhnlich große Zahl vornehmlich junger Wähler. Insbesondere der Obama-Kampagne gelang es schon im Vorwahlkampf, das Internet schlagkräftig zur Mobilisierung der eigenen Anhänger und zur Einwerbung von Spenden einzusetzen. Monatlich besuchten zwei bis drei Millionen Menschen die Website Obamas. Die Seite des Republikaners John McCain kam auf wesentlich geringere Nutzerzahlen.

    Religion spielt in amerikanischen Wahlkämpfen stets eine große Rolle. Während die Demokraten die evangelikalen Christen bei den Präsidentschaftswahlen von 2004 noch vernachlässigten und dafür abgestraft wurden, versuchen sie 2008, dieses Wählersegment stärker anzusprechen. Obama bedient die religiöse Grundstimmung in Amerika sehr effektvoll durch seinen pastoralen Redestil, der auffallend dem Martin Luther Kings ähnelt. Seine frühere Zugehörigkeit zur Trinity United Church of Christ in Chicago bereitete ihm aufgrund umstrittener Äußerungen des Pastors Jeremiah Wright allerdings auch Probleme. John McCain ist mit seinen gesellschaftspolitischen Ansichten sicher nicht der Wunschkandidat der evangelikalen Konservativen, dies kompensiert aber Sarah Palin an seiner Seite.

    IV Was haben wir von der neuen US-Administration zu erwarten?

    Was bedeuten nun eine Wahl Obamas oder McCains für Deutschland? Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die deutsche Bevölkerung Obama als Präsidenten klar bevorzugen würde. Mit Zustimmungsraten von 80% und mehr liegen sie sogar noch vor dem europäischen Durchschnitt von um die 70% und der 49-prozentigen Präferenz für Obama, die eine weltweite Umfrage der BBC in 22 Ländern kürzlich ergeben hat. Von einem Erfolg Obamas versprechen sich die Europäer zudem eher eine Besserung der transatlantischen Beziehungen als bei einem Wahlsieg McCains. Die Amerikaner schätzen dies übrigens ähnlich ein.

    Die Bundesregierung nimmt zu recht eine neutrale Position ein. Sie könnte mit beiden im November zur Wahl stehenden Kandidaten gut zusammenarbeiten, und es entsprich auch deutschen Interessen, mit jedem Präsidenten, den das amerikanische Volk wählt, eng zusammenarbeiten zu können, denn die USA sind unser wichtigster Partner außerhalb der EU. John McCain ist der Kandidat mit der größeren außen- und sicherheitspolitischen Erfahrung und dem ausgeprägteren Interesse an Europa. Obama ist derzeit Vorsitzender des Unterausschusses für europäische Angelegenheiten im Senat, er kennt Europa aber kaum. Im Wahlkampf spielen europäische Themen bislang keine Rolle, weil wir anders als in früheren Jahrzehnten nicht mehr im Zentrum einer Krisenregion leben. Beide Kandidaten versprechen jedoch eine größere Bereitschaft der USA, auf ihre Partner zuzugehen, ihre Standpunkte zu berücksichtigen und multilaterale Institutionen ernster zu nehmen, als dies bei der Bush-Administration der Fall war. Viele Europäer verbinden mit den Wahlen daher große Erwartungen und hoffen auf eine grundsätzliche Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik, besonders unter einem Präsidenten Obama.

    Dabei sind die Unterschiede zwischen den Kandidaten in den außenpolitischen Zielsetzungen weniger klar, als viele Europäer vermuten. Trotz aller Bekenntnisse zur Bedeutung multilateraler Zusammenarbeit wird keine US-Administration dem Multilateralismus den gleichen Stellenwert einräumen wie es z.B. Deutschland tut. Vor allem aber wird der US-Kongress anders als unser Grundgesetz das Völkerrecht nicht von vornherein als übergeordnete Instanz anerkennen, die nationales Recht überlagert. Dem widersprächen nicht nur die verfassungspolitische Tradition, sondern auch der Weltmachtstatus und die politische Kultur der Vereinigten Staaten. Weder McCain noch Obama werden die Anwendung militärischer Gewalt von vornherein ausschließen, wenn es um die Durchsetzung und Verteidigung wichtiger amerikanischer Sicherheitsinteressen geht. Dies kann auch in Zukunft notfalls auch ohne die Unterstützung der Verbündeten geschehen.

    Größere Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten werden in der Irakpolitik gesehen. Die demokratische Kongressmehrheit versuchte wiederholt, Präsident Bush auf ein Abzugsdatum für die US-Truppen festzulegen. McCain argumentierte schon früh für eine Aufstockung der Truppen, um die Gewalt im Irak einzudämmen und die Regierung in Bagdad zu stabilisieren. Auch gegenwärtig ist McCain für die „Fortsetzung der Bemühungen, den Krieg im Irak zu gewinnen“, während Obama für einen schrittweisen Abzug der Truppen und eine Übergabe der Verantwortung an die Iraker plädiert. Letzten Endes werden jedoch die konkrete militärische Situation und die Stabilität der irakischen Regierung für den Zeitplan des Truppenabzugs entscheidend sein und weniger die Absichtserklärungen im Wahlkampf.

    Nicht erst seit den kriegerischen Auseinandersetzungen in Georgien im vergangenen August gibt es eine kontroverse transatlantische Debatte um die Beziehungen zu Russland. John McCain und andere Republikaner fordern eine gemeinsame, harte Linie des Westens gegen ein von ihnen als revanchistisches wahrgenommenes Russland. So sollten die G-8 „wieder ein Klub führender Marktdemokratien“ werden. McCain plädiert für die Aufnahme Indiens und Brasiliens in die Staatengruppe, jedoch gleichzeitig für den Ausschluss Russlands und das Heraushalten Chinas. Dies würde eine gravierende Brüskierung zweier globaler Mächte bedeuten und wäre eine Abkehr von der bisherigen Politik Washingtons, Peking und Moskau so weit wie möglich in die internationale Ordnung einzubinden. Obama äußert sich differenzierter zu Russland. Auch in seiner Partei werden jedoch zunehmend antirussische Stimmungen laut. Groß ist die Enttäuschung über die inneren Entwicklungen und das außenpolitische Auftreten des wieder erstarkten Russland.

    So reagierten Politiker und Medien in den USA scharf auf das auch aus deutscher Sicht unverhältnismäßige Eingreifen Russlands in den Konflikt zwischen der Regierung in Tiflis und den abtrünnigen Gebieten Südossetien und Abchasien, die sich mittlerweile für unabhängig erklärten. Dabei gab es auch Vorwürfe gegen Europa und namentlich Deutschland, das sich beim letzten NATO-Gipfel gegen einen konkreten Zeitplan für eine Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die Allianz ausgesprochen hatte und dem eine zu russlandfreundliche Haltung aufgrund einer angeblich zu großen Abhängigkeit von Öl- und Gaslieferungen aus Russland unterstellt werden. Dabei ist aus meiner Sicht die Unterstellung, dass die deutsche Politik gegenüber Russland durch unsere Gas-Interessen bestimmt sei, eine ebenso verengte und damit falsche Sichtweise wie die, dass die amerikanische Politik gegenüber dem Irak nur durch Öl-Interessen bestimmt sei.

    Die autoritären Tendenzen in Russland und ein zum Teil konfrontatives Verhalten gegenüber seinen Nachbarn sollten wir Deutsche kritisieren. Aber die EU und Russland sind direkte Nachbarn und bleiben in vielfältiger Weise aufeinander angewiesen. Russland wird z.B. bei den Bemühungen um Abrüstung und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie bei der Stabilisierung von Krisenregionen dringend gebraucht. Es bleibt deshalb deutsche Politik, trotz aller berechtigten Kritik an russischer Rhetorik und russischem Verhalten für ein rationales und kooperatives Verhältnis zu Russland zu werben.

    Die Besorgnis in den USA über den Wiederaufstieg Russlands und Chinas fand ihren Ausdruck auch in dem neuen außenpolitischen Konzept einer „Allianz der Demokratien“, das von McCain und auch von Beratern der Obama-Kampagne vorgeschlagen worden ist. Dabei geht es im Kern um die Idee, einen neuen institutionellen Rahmen für die demokratisch regierten Länder der Welt zu schaffen, damit diese besser bei der Bewältigung internationaler Sicherheitsprobleme kooperieren könnten. Dies soll besonders dann zur Geltung kommen, wenn die Vereinten Nationen aufgrund ihrer Entscheidungsprozesse gelähmt wären. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass Legitimität, besonders beim Einsatz militärischer Macht, weniger aus der möglichst breiten Zustimmung der internationalen Gemeinschaft erwachse als aus der moralischen „Richtigkeit“ der Entscheidungen und der „inneren Legitimität“ demokratisch gewählter Regierungen. Es ist jedoch fraglich, nach welchen Kriterien über die Mitgliedschaft in dem neuen Bund entschieden wird. Provoziert man mit einer solchen Idee nicht neue Spannungen in der Welt, wenn man Staaten wie Russland und China aus wichtigen Entscheidungsprozessen ausschließt? Deren Unterstützung für die Bewältigung globaler Probleme wie des Klimawandels ist aber unerlässlich. Sollte sich dieses Projekt in der Regierungspolitik der neuen Administration wiederfinden, werden die Europäer hier Gesprächsbedarf haben und Widerspruch äußern.

    Zudem herrscht im Kongress bei Republikanern und Demokraten eine sehr irankritische Haltung. Bei Abgeordneten beider Parteien gilt die Darstellung im Geheimdienstbericht National Intelligence Estimate vom Dezember 2007, laut dem Iran im Herbst 2003 sein Nuklearwaffenprogramm stoppte, als problematisch oder gar verharmlosend. Sie fordern die Administration auf, die Verbündeten zu mehr Druck auf Iran zu bewegen. Dazu gehören etwa Sanktionen gegen ausländische Firmen, die mit Iran Geschäftsbeziehungen unterhalten, und weitere Finanzsanktionen gegen Iran. Deutschland hat seine früheren engen wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran bereits deutlich eingeschränkt. Wir sollten uns aber darauf gefasst machen, dass von der neuen Administration im Weißen Haus mit Unterstützung durch den Kongress sehr schnell Forderungen nach weiterem wirtschaftlichen und politischen Druck auf den Iran kommen werden.

    Weitere drängende internationale Probleme und regionale Krisen bleiben der transatlantischen Agenda unter der neuen US-Administration erhalten: die gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus, ein Neubeginn in den Bemühungen um nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung, die Verwirklichung einer Friedensordnung im Nahen Osten, die geopolitische und wirtschaftliche Herausforderung durch aufstrebende Mächte wie China, Indien und Brasilien und die Konflikte in Afghanistan und Pakistan, auf dem Balkan, in Afrika und Asien. Langweilig wird die transatlantische Agenda der nächsten Jahre jedenfalls nicht. Die Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und Demokraten haben ihre Bereitschaft bekundet, ihre Verbündeten stärker in die Lösung solcher Konflikte einzubeziehen.

    Zugleich werden sie aber auf eine aus US-Sicht gerechtere Lastenverteilung pochen. Auf Deutschland und andere europäische Staaten werden daher neue Forderungen nach der Übernahme militärischer und ziviler Aufgaben in Krisengebieten zukommen. Vor allem mit Blick auf (Süd-)Afghanistan dürfte sich der amerikanische Druck auf Deutschland und die EU, mehr für die gemeinsame Sicherheit zu leisten, noch verstärken. Außerdem ist zu erwarten, dass die neue US-Administration auch mit der Bitte um Beiträge zur zivilen Stabilisierung des Iraks an die Verbündeten herantreten wird. Angesichts der erheblichen Skepsis in der deutschen öffentlichen Meinung gegenüber den Auslandseinsätzen der Bundeswehr bedeutet dies – vor allem im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl - eine große Herausforderung für die Bundesregierung und den Bundestag.

    Europa und die USA können aber neben den klassischen außenpolitischen Themen auch in vielen anderen Bereichen noch enger kooperieren. Die transatlantische Wirtschaftspartnerschaft, die Millionen Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks sichert, bietet dafür gerade in Zeiten einer sich abschwächenden Weltkonjunktur und von Turbulenzen auf den Finanzmärkten große Chancen. Die EU und die USA sollten die im Frühjahr 2007 beschlossene Vertiefung dieser Zusammenarbeit im Rahmen des Transatlantischen Wirtschaftsrats verstärken. Streitigkeiten über Details wie das Importverbot von chlorbehandeltem Geflügelfleisch durch die EU sollten baldmöglichst beigelegt werden. Hinderlich für die Handelsbeziehungen sind auch zunehmende protektionistische Reflexe in der amerikanischen Bevölkerung und im Kongress. Diese werden vor allem von der demokratischen Basis und damit auch von Barack Obama aufgegriffen, während der Republikaner McCain weiterhin den Freihandel verteidigt.

    Ich hoffe, dass wir auch unsere Zusammenarbeit in einer Reihe klassischer innenpolitischer Problemstellungen intensivieren können. Dazu gehören Themen wie eine bezahlbare, allgemeine Krankenversicherung (45 Millionen Amerikaner sind unversichert), der Umgang mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel, einschließlich des Verlustes industrieller Arbeitsplätze an Billiglohnländer, der Kaufkraftverlust für die Mitteklasse und Probleme mit Armut und Dumpinglöhnen inmitten unserer wohlhabenden Gesellschaften. Auch hier können wir von einander lernen und sollten vor allem vermeiden, uns gegenseitig mit protektionistischen Maßnahmen zu schaden.

    Von großer Relevanz für die Zukunft unserer Gesellschaften ist der Themenkomplex Klimaschutz und Energiesicherheit. Während sich die EU ehrgeizige Reduktionsziele für Treibhausgase setzt, hat sich die Bush-Administration zu Beginn mit dem Thema schwer getan. Sie lehnte eine verbindliche Begrenzung von CO2-Emissionen ab, solange große Schwellenländer wie China und Indien, die einen immer größeren Anteil an den Emissionen haben, nicht ebenfalls in die Pflicht genommen werden. Mittlerweile hat sich jedoch auch in den USA die Diskussion verändert. Eine Reihe von Bundesstaaten, darunter Kalifornien und Florida, haben eigene Gesetze zur Begrenzung von Treibhausgasen und zur Förderung erneuerbarer Energien verabschiedet. Sowohl Barack Obama als auch John McCain haben sich für verstärkte Maßnahmen zum Klimaschutz ausgesprochen, so dass der Boden für eine europäisch-amerikanische Zusammenarbeit nach den Wahlen fruchtbar ist. Minister Steinmeier wird Ende September bei einer Konferenz in Berlin gemeinsam mit seinem Kabinettskollegen Gabriel und amerikanischen Gästen den Startschuss zu einer neuen transatlantischen Initiative zu diesem wichtigen Zukunftsthema geben.

    Bei allen genannten Themen bleibt die transatlantische Partnerschaft die notwendige Vorbedingung für Problemlösungen. Zwar müssen in einer zunehmend globalisierten und vernetzten Welt auch viele andere Partner eingebunden werden, doch ohne die enge Kooperation zwischen den USA und Europa wird es keine Fortschritte bei der Bewältigung der drängenden Probleme unserer Zeit geben. Für die Europäer bleiben die USA der wichtigste Partner, und auch amerikanische Politiker wissen, dass die Schnittmenge gemeinsamer Interessen und Werte mit keiner anderen Region der Welt so groß ist wie mit Europa. Die bevorstehenden Präsidentschafts- und Kongresswahlen bieten einen guten Anlass, um dieser Partnerschaft neuen Schwung zu verleihen. Dabei werden auch Unterschiede in den Meinungen und außenpolitischen Ansätzen zwischen Europa und den USA bestehen bleiben. Amerikaner und Europäer sollten lernen, mit solchen Differenzen gelassen umzugehen und aus Widersprüchen gemeinsame, konstruktive Lösungen zu entwickeln.

    Karsten D. Voigt ist seit 1999 Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.[size=16]„Amerika vor der Wahl – Obama oder McCain – Was wird sich an den deutsch-amerikanischen Beziehungen ändern?“ Vortrag vor Amerika Gesellschaft und Harvard Club Hamburg am 16. September 2008[/size]

    16.09.2008 Presseerklärung
    [b]Karsten D. Voigt[/b] ist seit 1999 Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

    I. Vorbemerkungen: nicht nur der Präsident, auch der Kongress wird gewählt

    Am 4. November 2008 finden in den Vereinigten Staaten von Amerika die Präsidentschaftswahlen sowie die Wahlen zum 111. Kongress statt. Das Interesse an den Wahlen ist in den deutschen Medien und der Bevölkerung außerordentlich. Ausdruck dieses Interesses und gleichzeitig von überzogenen Hoffnungen auf einen grundlegenden Wandel der amerikanischen Politik war der Massenandrang beim Besuch des demokratischen Kandidaten Barack Obama Ende Juli in Berlin, als er vor 200.000 Zuhörern an der Siegessäule eine Rede hielt.

    Der Fokus des allgemeinen Interesses liegt eindeutig auf der Wahl zum Präsidenten, wobei die Kongresswahlen in ihrer Wichtigkeit keinesfalls unterschätzt werden sollten. Durch seine Kompetenzen in der Haushalts-, Steuer- und Handelspolitik nimmt der Kongress nämlich eine wichtige Rolle im amerikanischen Verfassungsgefüge ein. Ohne Zustimmung des Senats kann der Präsident keine Verträge abschließen und keine Minister, Verfassungsrichter und Botschafter ernennen.

    Bei der Wahl entscheiden die amerikanischen Bürger über alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses sowie über ein Drittel der Sitze im Senat. Derzeit halten die Demokraten eine Mehrheit in beiden Häusern. Im Senat ist diese dabei mit 51 zu 49 Stimmen im Senat nur sehr knapp, und dies auch nur wegen der den Demokraten nahe stehenden Position zweier unabhängiger Senatoren. Dieser Vorsprung wird sich allen Prognosen zufolge vermutlich vergrößern, denn die Republikaner müssen 23 der 35 zur Wahl stehenden Sitze verteidigen, darunter fünf so genannte open seats, bei denen sich die Amtsinhaber nicht zur Wiederwahl stellen. Elf der zwölf am heftigsten umkämpften Sitze werden oder wurden zudem von Republikanern gehalten. Trotz der prognostizierten Zugewinne gilt es aber dennoch als unwahrscheinlich, dass die Demokraten die wichtige Schwelle von 60 Sitzen erreichen können. Diese wäre nötig um das filibuster der Minderheitsfraktion auszuhebeln, also die Taktik, durch Dauerreden eine Beschlussfassung zu verhindern.

    Im Repräsentantenhaus halten die Demokraten derzeit eine Mehrheit von 236 zu 199 Sitzen vor den Republikanern. Wahrscheinlich werden sie diese Mehrheit ausbauen können, wenn auch nur in sehr geringem Maße, wie die letzten Prognosen seit dem Nominierungsparteitag der Republikaner vermuten lassen. Im Frühjahr dieses Jahres konnten die Demokraten aber bei Nachwahlen drei Sitze in Wahlbezirken erringen, die zuvor als republikanische Hochburgen galten.

    Allerdings sollten die Demokraten durch Umfragen gewarnt sein. Die republikanische Regierung unter George W. Bush ist zwar unbeliebt, der demokratisch dominierte Kongress hat die Wähler aber noch wesentlich stärker enttäuscht. Als die Demokraten 2006 die Kongressmehrheit errangen, versprachen sie, den Irakkrieg zu beenden, die Haushaltsdisziplin auf Bundesebene wiederherzustellen und die Regierung stärker zu kontrollieren. Diese Versprechen wurden jedoch auch aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse und der verfassungsrechtlichen Machtfülle des Präsidenten in den Augen der Wähler kaum erfüllt. So billigte der Kongress z.B. zusätzliche Milliardensummen für die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan, ohne dabei im Gegenzug Bush auf einen Zeitplan für den Abzug der Truppen aus dem Irak festlegen zu können. Das Ergebnis ist eindeutig: Ende August gaben 49% der befragten Amerikaner an, mit der Arbeit des Kongresses sehr unzufrieden zu sein, 29% waren unzufrieden.

    Für George W. Bush sind die Zahlen dramatisch schlecht. In derselben Umfrage sagten 64%, mit dem Präsidenten unzufrieden oder sehr unzufrieden zu sein. Noch mehr – über 70% – glaubten, das Land sei auf dem falschen Weg. Fünf Jahre nach dem Beginn des Militäreinsatzes im Irak ist die Bevölkerung kriegsmüde und beunruhigt über die hohen Opferzahlen und die finanziellen Belastungen für Staatshaushalt und Steuerzahler. Noch schwerer wiegen aber der anhaltende Konjunkturabschwung und die Immobilien- und Finanzkrise, welche die amerikanische Mittelklasse stark verunsichern.

    II. Themen und Kandidaten des Präsidentschaftswahlkampfes

    Angesichts der negativen öffentlichen Meinung zu Präsident und Kongress wurden die Begriffe „Change“ und „Hope“, Wandel und Hoffnung, so zu Schlüsselbegriffen des Wahlkampfs. Zuerst hat Barack Obama diese Motive ins Feld geführt und setzte sich damit im Vorwahlkampf gegen die ursprünglich als Favoritin geltende Hillary Clinton durch. Als relativ junger Kandidat, als Sohn eines kenianischen Vaters und einer Mutter aus dem amerikanischen Herzland, der an den Veränderungswillen aller Amerikaner appelliert, gilt er seinen Anhängern als Repräsentant einer modernen, urbanen, ethnisch gemischten und toleranten Gesellschaft, die mehr an Problemlösungen als an den alten Grabenkämpfen zwischen Ethnien, Parteien und Gesellschaftsschichten interessiert ist. Er findet viele Anhänger bei gebildeten und wohlhabenden Wählern aller Hautfarben. Schwarze Amerikaner unterstützen ihn mit sehr großer Mehrheit. Vor allem aber mobilisiert er zahlreiche junge Wähler. Schon im perfekt organisierten Vorwahlkampf zogen sie von Haus zu Haus, machten das Internet zum Wahlkampfmedium und warben dabei viele Spendengelder für ihn ein.

    Während Hillary Clinton mit ihrer Erfahrung und rationalen Argumentationsweise zu punkten versuchte und vor allem ältere Wähler, Frauen, Wähler lateinamerikanischer Herkunft und die weiße Arbeiterschaft ansprach, glich Obamas Kampagne von Anfang an einer Bewegung, die bewusst an das Erbe John F. Kennedys und den Stil Martin Luther Kings anknüpfte. Kritiker sehen in diesem Stil Elemente der Great Awakenings und anderer charismatischer Strömungen in der amerikanischen Geschichte. Der Kandidat wurde dabei zur Projektionsfläche der Träume und Wünsche seiner Anhänger und musste dabei während der Vorwahlen inhaltlich nicht besonders konkret werden. Diese Defizite muss er jetzt im Wettbewerb mit McCain auszugleichen versuchen.

    Offen war, inwiefern der lange innerparteiliche Machtkampf zwischen Obama und Clinton dem Sieger später, bei der eigentlichen Präsidentschaftswahl, hinderlich sein würde. Während John McCain schon Anfang März 2008 als republikanischer Kandidat feststand, zogen sich die demokratischen Vorwahlen bis Juni hin. Verschiedentlich wurde gemutmaßt, dass – nicht zuletzt wegen der starken Polarisierung innerhalb der Partei – viele verärgerte Clinton-Anhänger letztlich der Wahl fernbleiben, oder sogar für McCain stimmen würden. Auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten stellten sich die Clintons allerdings mit zwei fulminanten Reden eindeutig hinter Obama, um die nötige Einheit der Basis wieder herzustellen. Glaubt man den Meinungsumfragen, hatten sie damit Erfolg.

    Als running mate, also als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft wählte Obama den 65 Jahre alten Senator Joe Biden. Zwei Motivationen scheinen hinter dieser Wahl zu stecken. Zum einen soll Biden als langjähriger Experte für Außen- und Sicherheitspolitik im Senat Obamas – im Vergleich zu McCain – geringere Erfahrung auf diesem Gebiet kompensieren und damit ein Argument der republikanischen Wahlkampagne aushebeln. Zum anderen hofft man, dass Biden die im Schnitt eher älteren, der weißen unteren Mittelschicht und Arbeiterschaft zugehörigen Anhänger Clintons anspricht, bei denen es Obama schwer hat. Viel wird von Obamas Fähigkeit zur Mobilisierung abhängen. Falls er es schafft, die während der Vorwahlen mobilisierten und dann neu registrierten Wähler zu bewegen, am Wahltag tatsächlich zur Wahl zu gehen, hat er gute Voraussetzungen für einen Wahlerfolg.

    John McCain ist dagegen der Repräsentant eines ganz anderen Amerika, nämlich das der eher kleinstädtischen bzw. ländlichen, weißen und älteren Wählerschaft. Der 71-Jährige ist ein sicherheitspolitischer Experte mit langer außenpolitischer Erfahrung, der im Vietnamkrieg Gefangenschaft und Folter überstand und aufgrund seiner unorthodoxen und impulsiven Persönlichkeit und seiner politischen Unangepasstheit oft als „Maverick“ bezeichnet wird. Ehre und Patriotismus sind seine Leitmotive. In der Außenpolitik gilt er als Falke, der für eine Stärkung der amerikanischen Streitkräfte eintritt und im islamischen Extremismus die zentrale Bedrohung für den Westen sieht.

    Vor dem republikanischen Nominierungsparteitag in St. Paul Anfang September überraschte er mit seiner Wahl der bis dahin völlig unbekannten Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, als running mate. Die sozialkonservative Palin betrat die Bühne der nationalen Politik in St. Paul mit einem temperamentvollen und an uramerikanische Instinkte appellierenden Auftritt. Sie ist lebenslanges Mitglied der National Rifle Organisation, eine strikte Gegnerin von Abtreibung und bestreitet die menschliche Urheberschaft für den Klimawandel. Den Krieg im Irak sowie den Bau von Pipelines durch Naturschutzgebiete in Alaska hat sie als „gottgewollt“ bezeichnet. Zudem wird ihr das Image einer unerschrockenen Reformerin zugeschrieben, die in ihrem Staat mit korrupten Verhältnissen selbst in der eigenen Partei aufräumte und deshalb Zustimmungsraten von 80% und mehr erreichte. Dieses bisher positive Image von Sarah Palin unter konservativen Wählern gab der McCain-Kampagne einen kräftigen Schub.

    Auf die eher liberale weibliche Klientel Hillary Clintons zielt die Wahl Palins wohl kaum. Eher soll sie die große Wählerschaft der Evangelikalen mobilisieren. Dieser Teil der republikanischen Basis steht McCain skeptisch gegenüber, da er aus ihrer Sicht zu liberale gesellschaftspolitische Positionen vertritt. Als Senator hat er oft undogmatisch über Parteigrenzen hinweg für politische Projekte geworben, bei Themen wie der Einwanderung und der Abtreibung wird er als moderat eingeschätzt. Einerseits grenzt sich McCain mit seinem Image eines unorthodoxen Außenseiters bewusst von der unbeliebten Bush-Administration ab und führt eine Kampagne, als sei er der Kandidat einer oppositionellen Bewegung zu Stil und Inhalten der in Washington bisher betriebenen Politik. Andererseits benötigt er die religiös und gesellschaftspolitisch konservativen Wähler, um das republikanische Wählerpotenzial auszuschöpfen. Die Mobilisierung dieser Wählergruppen ist Palins Funktion.

    Zwar nimmt Palin McCain weitestgehend die Möglichkeit, gegen Obamas mangelnde Erfahrung zu argumentieren. Andererseits – und dies scheint seit dem Parteitag der Republikaner die neue Strategie McCains zu sein – kann er sich mit ihrer Hilfe als eigentlicher Reformer geben, der in Washington aufräumen will. Populistische Angriffe gegen die liberalen Medien und „das Establishment“, in das auch Obama eingeordnet wird, sind dafür beliebte Mittel. Damit hat der Kandidat der seit acht Jahren regierenden Republikaner interessanterweise das Mantra des Change aufgenommen. Im Wahlkampf wird sich nun herausstellen müssen, ob der McCain-Kampagne diese Identifikation gelingen kann, oder ob Obama und sein Team es vermögen, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass McCain tatsächlich nur „more of the same“ ist, also für weitere vier Jahre Bush-Politik steht.

    Das zentrale Thema der Wahl ist dabei für die Amerikaner zweifellos die wirtschaftliche Lage. Die Immobilienkrise, die Krise an den Finanzmärkten steigende Arbeitslosigkeit und Benzinpreise sind für die meisten Wähler noch weit wichtiger als die Situation im Irak und in Afghanistan. Dies wurde bisher immer als ein Vorteil für Obama gesehen, bei dem die Wähler laut Umfragen eine größere ökonomische Kompetenz vermuten. Dementsprechend legt er großes Gewicht auf diese Themen. Seit dem Nominierungsparteitag der Republikaner hat McCain jedoch nicht nur insgesamt in den Umfragen aufgeholt – momentan liegt er knapp vorne –, er konnte auch den Abstand zu Obama auf dem Gebiet der Wirtschaft bedeutend verkürzen.

    Ein Vorteil McCains ist sicherlich sein Image als starker Oberbefehlshaber. So könnte er angesichts der neuerlichen Konfrontationslage und zumal der Georgien-Krise von seiner traditionell kritischen Haltung gegenüber Russland profitieren. „Today, we are all Georgians“, wir alle sind heute Georgier, verkündete er am 12. August bei einer Wahlkampfveranstaltung. Er erweckt damit in Anklang an J. F. Kennedys Rede in Berlin beim Wähler den Eindruck, als würde er Georgien gegen Russland verteidigen – ohne dies allerdings explizit auszudrücken. Jede weitere internationale Krise bis zum 4. November wird zweifellos McCains Chancen verbessern. Traditionell neigen die Amerikaner dazu, in außen- und sicherheitspolitischen Krisenzeiten eher konservativ zu wählen.

    Im Moment sind keine seriösen Prognosen über den Wahlausgang möglich. Die Umfragen ergeben ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das bis zu letzten Moment andauern dürfte.

    III. Besonderheiten des Wahlkampfes

    Zu den Besonderheiten der diesjährigen Präsidentschaftswahlen gehört, dass sich entgegen gängiger Klischees in den Vorwahlen der beiden Parteien nicht die Kandidaten durchsetzten, die über das größte Privatvermögen verfügten und von Beginn an die Unterstützung des Parteiestablishments hatten, sondern eher untypische Charaktere. Mit dem Erfolg McCains als unangepasster Republikaner und Obamas als erster aussichtsreicher farbiger Kandidat hatte anfangs keiner gerechnet. Beide entsprechen nicht dem Zerrbild amerikanischer Politik in vielen Teilen der Welt. Die amerikanische Demokratie hat einmal mehr bewiesen, zu welcher Kraft sie fähig ist, sich ständig neu zu erfinden und eine Begeisterung für die Mitgestaltung der Politik zu wecken, die auch nach Europa ausstrahlt und für die USA viele neue Sympathie gewinnt.

    Zugleich spielen Wahlkampfspenden dieses Mal eine noch größere Rolle als jemals zuvor in der amerikanischen Geschichte. Die Spendeneinnahmen beider Parteien dürften bereits über einer Milliarde US-Dollar liegen, während sie in den Jahren 2000 und 2004 noch für alle Kandidaten zusammen 335 Millionen bzw. 671 Millionen Dollar betrugen. Geld spielt also weiterhin eine überragende Rolle und zwingt die Kandidaten, große Energien in das fundraising zu investieren. Dabei war Obama bislang ungemein erfolgreich. Es gelang ihm, über seine Aktivisten und das Internet viele Kleinspenden einzuwerben und fast doppelt so viel Geld zu sammeln wie John McCain. Daher verzichtete er – anders als McCain - auf staatliche Wahlkampffinanzierung, da sie die Maximalausgaben eines Kandidaten im Hauptwahlkampf auf 84 Mio. US-D deckeln. Obama kann jedoch viel mehr an privaten Spenden einsammeln.

    Die Bedeutung des Internets im diesjährigen US-Wahlkampf ist ein Trend, der sich auch bei uns durchsetzen könnte und der zu einer verstärkten Partizipation der Bevölkerung am Wahlprozess und an der öffentlichen Meinungsbildung beitragen kann. In den USA erreichen die Websites der Kandidaten und damit verbundene Funktionen, wie E-Mails, Blogs, Video-Podcasts und soziale Netzwerkseiten, bereits eine ungewöhnlich große Zahl vornehmlich junger Wähler. Insbesondere der Obama-Kampagne gelang es schon im Vorwahlkampf, das Internet schlagkräftig zur Mobilisierung der eigenen Anhänger und zur Einwerbung von Spenden einzusetzen. Monatlich besuchten zwei bis drei Millionen Menschen die Website Obamas. Die Seite des Republikaners John McCain kam auf wesentlich geringere Nutzerzahlen.

    Religion spielt in amerikanischen Wahlkämpfen stets eine große Rolle. Während die Demokraten die evangelikalen Christen bei den Präsidentschaftswahlen von 2004 noch vernachlässigten und dafür abgestraft wurden, versuchen sie 2008, dieses Wählersegment stärker anzusprechen. Obama bedient die religiöse Grundstimmung in Amerika sehr effektvoll durch seinen pastoralen Redestil, der auffallend dem Martin Luther Kings ähnelt. Seine frühere Zugehörigkeit zur Trinity United Church of Christ in Chicago bereitete ihm aufgrund umstrittener Äußerungen des Pastors Jeremiah Wright allerdings auch Probleme. John McCain ist mit seinen gesellschaftspolitischen Ansichten sicher nicht der Wunschkandidat der evangelikalen Konservativen, dies kompensiert aber Sarah Palin an seiner Seite.

    IV Was haben wir von der neuen US-Administration zu erwarten?

    Was bedeuten nun eine Wahl Obamas oder McCains für Deutschland? Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die deutsche Bevölkerung Obama als Präsidenten klar bevorzugen würde. Mit Zustimmungsraten von 80% und mehr liegen sie sogar noch vor dem europäischen Durchschnitt von um die 70% und der 49-prozentigen Präferenz für Obama, die eine weltweite Umfrage der BBC in 22 Ländern kürzlich ergeben hat. Von einem Erfolg Obamas versprechen sich die Europäer zudem eher eine Besserung der transatlantischen Beziehungen als bei einem Wahlsieg McCains. Die Amerikaner schätzen dies übrigens ähnlich ein.

    Die Bundesregierung nimmt zu recht eine neutrale Position ein. Sie könnte mit beiden im November zur Wahl stehenden Kandidaten gut zusammenarbeiten, und es entsprich auch deutschen Interessen, mit jedem Präsidenten, den das amerikanische Volk wählt, eng zusammenarbeiten zu können, denn die USA sind unser wichtigster Partner außerhalb der EU. John McCain ist der Kandidat mit der größeren außen- und sicherheitspolitischen Erfahrung und dem ausgeprägteren Interesse an Europa. Obama ist derzeit Vorsitzender des Unterausschusses für europäische Angelegenheiten im Senat, er kennt Europa aber kaum. Im Wahlkampf spielen europäische Themen bislang keine Rolle, weil wir anders als in früheren Jahrzehnten nicht mehr im Zentrum einer Krisenregion leben. Beide Kandidaten versprechen jedoch eine größere Bereitschaft der USA, auf ihre Partner zuzugehen, ihre Standpunkte zu berücksichtigen und multilaterale Institutionen ernster zu nehmen, als dies bei der Bush-Administration der Fall war. Viele Europäer verbinden mit den Wahlen daher große Erwartungen und hoffen auf eine grundsätzliche Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik, besonders unter einem Präsidenten Obama.

    Dabei sind die Unterschiede zwischen den Kandidaten in den außenpolitischen Zielsetzungen weniger klar, als viele Europäer vermuten. Trotz aller Bekenntnisse zur Bedeutung multilateraler Zusammenarbeit wird keine US-Administration dem Multilateralismus den gleichen Stellenwert einräumen wie es z.B. Deutschland tut. Vor allem aber wird der US-Kongress anders als unser Grundgesetz das Völkerrecht nicht von vornherein als übergeordnete Instanz anerkennen, die nationales Recht überlagert. Dem widersprächen nicht nur die verfassungspolitische Tradition, sondern auch der Weltmachtstatus und die politische Kultur der Vereinigten Staaten. Weder McCain noch Obama werden die Anwendung militärischer Gewalt von vornherein ausschließen, wenn es um die Durchsetzung und Verteidigung wichtiger amerikanischer Sicherheitsinteressen geht. Dies kann auch in Zukunft notfalls auch ohne die Unterstützung der Verbündeten geschehen.

    Größere Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten werden in der Irakpolitik gesehen. Die demokratische Kongressmehrheit versuchte wiederholt, Präsident Bush auf ein Abzugsdatum für die US-Truppen festzulegen. McCain argumentierte schon früh für eine Aufstockung der Truppen, um die Gewalt im Irak einzudämmen und die Regierung in Bagdad zu stabilisieren. Auch gegenwärtig ist McCain für die „Fortsetzung der Bemühungen, den Krieg im Irak zu gewinnen“, während Obama für einen schrittweisen Abzug der Truppen und eine Übergabe der Verantwortung an die Iraker plädiert. Letzten Endes werden jedoch die konkrete militärische Situation und die Stabilität der irakischen Regierung für den Zeitplan des Truppenabzugs entscheidend sein und weniger die Absichtserklärungen im Wahlkampf.

    Nicht erst seit den kriegerischen Auseinandersetzungen in Georgien im vergangenen August gibt es eine kontroverse transatlantische Debatte um die Beziehungen zu Russland. John McCain und andere Republikaner fordern eine gemeinsame, harte Linie des Westens gegen ein von ihnen als revanchistisches wahrgenommenes Russland. So sollten die G-8 „wieder ein Klub führender Marktdemokratien“ werden. McCain plädiert für die Aufnahme Indiens und Brasiliens in die Staatengruppe, jedoch gleichzeitig für den Ausschluss Russlands und das Heraushalten Chinas. Dies würde eine gravierende Brüskierung zweier globaler Mächte bedeuten und wäre eine Abkehr von der bisherigen Politik Washingtons, Peking und Moskau so weit wie möglich in die internationale Ordnung einzubinden. Obama äußert sich differenzierter zu Russland. Auch in seiner Partei werden jedoch zunehmend antirussische Stimmungen laut. Groß ist die Enttäuschung über die inneren Entwicklungen und das außenpolitische Auftreten des wieder erstarkten Russland.

    So reagierten Politiker und Medien in den USA scharf auf das auch aus deutscher Sicht unverhältnismäßige Eingreifen Russlands in den Konflikt zwischen der Regierung in Tiflis und den abtrünnigen Gebieten Südossetien und Abchasien, die sich mittlerweile für unabhängig erklärten. Dabei gab es auch Vorwürfe gegen Europa und namentlich Deutschland, das sich beim letzten NATO-Gipfel gegen einen konkreten Zeitplan für eine Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die Allianz ausgesprochen hatte und dem eine zu russlandfreundliche Haltung aufgrund einer angeblich zu großen Abhängigkeit von Öl- und Gaslieferungen aus Russland unterstellt werden. Dabei ist aus meiner Sicht die Unterstellung, dass die deutsche Politik gegenüber Russland durch unsere Gas-Interessen bestimmt sei, eine ebenso verengte und damit falsche Sichtweise wie die, dass die amerikanische Politik gegenüber dem Irak nur durch Öl-Interessen bestimmt sei.

    Die autoritären Tendenzen in Russland und ein zum Teil konfrontatives Verhalten gegenüber seinen Nachbarn sollten wir Deutsche kritisieren. Aber die EU und Russland sind direkte Nachbarn und bleiben in vielfältiger Weise aufeinander angewiesen. Russland wird z.B. bei den Bemühungen um Abrüstung und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie bei der Stabilisierung von Krisenregionen dringend gebraucht. Es bleibt deshalb deutsche Politik, trotz aller berechtigten Kritik an russischer Rhetorik und russischem Verhalten für ein rationales und kooperatives Verhältnis zu Russland zu werben.

    Die Besorgnis in den USA über den Wiederaufstieg Russlands und Chinas fand ihren Ausdruck auch in dem neuen außenpolitischen Konzept einer „Allianz der Demokratien“, das von McCain und auch von Beratern der Obama-Kampagne vorgeschlagen worden ist. Dabei geht es im Kern um die Idee, einen neuen institutionellen Rahmen für die demokratisch regierten Länder der Welt zu schaffen, damit diese besser bei der Bewältigung internationaler Sicherheitsprobleme kooperieren könnten. Dies soll besonders dann zur Geltung kommen, wenn die Vereinten Nationen aufgrund ihrer Entscheidungsprozesse gelähmt wären. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass Legitimität, besonders beim Einsatz militärischer Macht, weniger aus der möglichst breiten Zustimmung der internationalen Gemeinschaft erwachse als aus der moralischen „Richtigkeit“ der Entscheidungen und der „inneren Legitimität“ demokratisch gewählter Regierungen. Es ist jedoch fraglich, nach welchen Kriterien über die Mitgliedschaft in dem neuen Bund entschieden wird. Provoziert man mit einer solchen Idee nicht neue Spannungen in der Welt, wenn man Staaten wie Russland und China aus wichtigen Entscheidungsprozessen ausschließt? Deren Unterstützung für die Bewältigung globaler Probleme wie des Klimawandels ist aber unerlässlich. Sollte sich dieses Projekt in der Regierungspolitik der neuen Administration wiederfinden, werden die Europäer hier Gesprächsbedarf haben und Widerspruch äußern.

    Zudem herrscht im Kongress bei Republikanern und Demokraten eine sehr irankritische Haltung. Bei Abgeordneten beider Parteien gilt die Darstellung im Geheimdienstbericht National Intelligence Estimate vom Dezember 2007, laut dem Iran im Herbst 2003 sein Nuklearwaffenprogramm stoppte, als problematisch oder gar verharmlosend. Sie fordern die Administration auf, die Verbündeten zu mehr Druck auf Iran zu bewegen. Dazu gehören etwa Sanktionen gegen ausländische Firmen, die mit Iran Geschäftsbeziehungen unterhalten, und weitere Finanzsanktionen gegen Iran. Deutschland hat seine früheren engen wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran bereits deutlich eingeschränkt. Wir sollten uns aber darauf gefasst machen, dass von der neuen Administration im Weißen Haus mit Unterstützung durch den Kongress sehr schnell Forderungen nach weiterem wirtschaftlichen und politischen Druck auf den Iran kommen werden.

    Weitere drängende internationale Probleme und regionale Krisen bleiben der transatlantischen Agenda unter der neuen US-Administration erhalten: die gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus, ein Neubeginn in den Bemühungen um nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung, die Verwirklichung einer Friedensordnung im Nahen Osten, die geopolitische und wirtschaftliche Herausforderung durch aufstrebende Mächte wie China, Indien und Brasilien und die Konflikte in Afghanistan und Pakistan, auf dem Balkan, in Afrika und Asien. Langweilig wird die transatlantische Agenda der nächsten Jahre jedenfalls nicht. Die Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und Demokraten haben ihre Bereitschaft bekundet, ihre Verbündeten stärker in die Lösung solcher Konflikte einzubeziehen.

    Zugleich werden sie aber auf eine aus US-Sicht gerechtere Lastenverteilung pochen. Auf Deutschland und andere europäische Staaten werden daher neue Forderungen nach der Übernahme militärischer und ziviler Aufgaben in Krisengebieten zukommen. Vor allem mit Blick auf (Süd-)Afghanistan dürfte sich der amerikanische Druck auf Deutschland und die EU, mehr für die gemeinsame Sicherheit zu leisten, noch verstärken. Außerdem ist zu erwarten, dass die neue US-Administration auch mit der Bitte um Beiträge zur zivilen Stabilisierung des Iraks an die Verbündeten herantreten wird. Angesichts der erheblichen Skepsis in der deutschen öffentlichen Meinung gegenüber den Auslandseinsätzen der Bundeswehr bedeutet dies – vor allem im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl - eine große Herausforderung für die Bundesregierung und den Bundestag.

    Europa und die USA können aber neben den klassischen außenpolitischen Themen auch in vielen anderen Bereichen noch enger kooperieren. Die transatlantische Wirtschaftspartnerschaft, die Millionen Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks sichert, bietet dafür gerade in Zeiten einer sich abschwächenden Weltkonjunktur und von Turbulenzen auf den Finanzmärkten große Chancen. Die EU und die USA sollten die im Frühjahr 2007 beschlossene Vertiefung dieser Zusammenarbeit im Rahmen des Transatlantischen Wirtschaftsrats verstärken. Streitigkeiten über Details wie das Importverbot von chlorbehandeltem Geflügelfleisch durch die EU sollten baldmöglichst beigelegt werden. Hinderlich für die Handelsbeziehungen sind auch zunehmende protektionistische Reflexe in der amerikanischen Bevölkerung und im Kongress. Diese werden vor allem von der demokratischen Basis und damit auch von Barack Obama aufgegriffen, während der Republikaner McCain weiterhin den Freihandel verteidigt.

    Ich hoffe, dass wir auch unsere Zusammenarbeit in einer Reihe klassischer innenpolitischer Problemstellungen intensivieren können. Dazu gehören Themen wie eine bezahlbare, allgemeine Krankenversicherung (45 Millionen Amerikaner sind unversichert), der Umgang mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel, einschließlich des Verlustes industrieller Arbeitsplätze an Billiglohnländer, der Kaufkraftverlust für die Mitteklasse und Probleme mit Armut und Dumpinglöhnen inmitten unserer wohlhabenden Gesellschaften. Auch hier können wir von einander lernen und sollten vor allem vermeiden, uns gegenseitig mit protektionistischen Maßnahmen zu schaden.

    Von großer Relevanz für die Zukunft unserer Gesellschaften ist der Themenkomplex Klimaschutz und Energiesicherheit. Während sich die EU ehrgeizige Reduktionsziele für Treibhausgase setzt, hat sich die Bush-Administration zu Beginn mit dem Thema schwer getan. Sie lehnte eine verbindliche Begrenzung von CO2-Emissionen ab, solange große Schwellenländer wie China und Indien, die einen immer größeren Anteil an den Emissionen haben, nicht ebenfalls in die Pflicht genommen werden. Mittlerweile hat sich jedoch auch in den USA die Diskussion verändert. Eine Reihe von Bundesstaaten, darunter Kalifornien und Florida, haben eigene Gesetze zur Begrenzung von Treibhausgasen und zur Förderung erneuerbarer Energien verabschiedet. Sowohl Barack Obama als auch John McCain haben sich für verstärkte Maßnahmen zum Klimaschutz ausgesprochen, so dass der Boden für eine europäisch-amerikanische Zusammenarbeit nach den Wahlen fruchtbar ist. Minister Steinmeier wird Ende September bei einer Konferenz in Berlin gemeinsam mit seinem Kabinettskollegen Gabriel und amerikanischen Gästen den Startschuss zu einer neuen transatlantischen Initiative zu diesem wichtigen Zukunftsthema geben.

    Bei allen genannten Themen bleibt die transatlantische Partnerschaft die notwendige Vorbedingung für Problemlösungen. Zwar müssen in einer zunehmend globalisierten und vernetzten Welt auch viele andere Partner eingebunden werden, doch ohne die enge Kooperation zwischen den USA und Europa wird es keine Fortschritte bei der Bewältigung der drängenden Probleme unserer Zeit geben. Für die Europäer bleiben die USA der wichtigste Partner, und auch amerikanische Politiker wissen, dass die Schnittmenge gemeinsamer Interessen und Werte mit keiner anderen Region der Welt so groß ist wie mit Europa. Die bevorstehenden Präsidentschafts- und Kongresswahlen bieten einen guten Anlass, um dieser Partnerschaft neuen Schwung zu verleihen. Dabei werden auch Unterschiede in den Meinungen und außenpolitischen Ansätzen zwischen Europa und den USA bestehen bleiben. Amerikaner und Europäer sollten lernen, mit solchen Differenzen gelassen umzugehen und aus Widersprüchen gemeinsame, konstruktive Lösungen zu entwickeln.

    Karsten D. Voigt ist seit 1999 Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.