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17 März 2010

Fiasko Westerwelles Auslandsreise

Westerwelle muss sich in diesen Fragen viele kritische Fragen gefallen lassen. Aber auch die Opposition, die sich die Frage stellen lassen muss, ob sie mit ihrer Kritik nicht zur Unzeit gekommen ist, denn der Schaden, den diese Debatte im Ausland anrichtete, ist unermesslich.
Das Auswärtige Amt muss die Verfahrensweisen überarbeiten, denn offenbar kommt hinsichtlich des Programms und der Teilnehmerliste das "letzte Wort" des Amtsinhabers zu spät, um solche Zwiste im Vorfeld abzuarbeiten.
In NRW ist Wahlkampf. Für die Parteien steht viel auf dem Spiel, weit mehr als für die Wähler, denn so oder so wird sich nicht viel ändern. Aber dieser Wahlkampf darf nicht zulasten der internationalen Reputation Deutschlands gehen.

Markus Rabanus >> Diskussion

19 Oktober 2009

Pakistan: Was bringen die Feldzüge gegen die Taliban?

Die pakistanische Armee startete eine Großoffensive gegen die Taliban, nachdem vor wenigen Tagen das Hauptquartier der Armee von Aufständischen zeitweise überwältigt wurde und sich die Sorgen mehren, dass Pakistans Atomwaffen in islamistische Hände geraten.
Der "Erfolg" militärischer Schläge gegen die Taliban ist äußerst zweifelhaft und wird den Konflikt wahrscheinlich eher verschärfen. 100.000 Menschen seien auf der Flucht aus dem Kampfgebiet. Solche Zahlen sind unzuverlässig und beschreiben das Desaster nicht.
Dass es um die Atomwaffensicherung gehe, ist ebenfalls unsinnig, denn dieser Gefahr wäre zuverlässiger beizukommen, indem Pakistan seine Atomwaffen abschafft.

Richtige Außenpolitik wäre es, wenn z.B. die deutsche Regierung Indien zu einer Garantieerklärung drängen würde, unter keinen Umständen ein atomwaffenloses Pakistan atomar anzugreifen.

Markus Rabanus >> Diskussionen

07 Juli 2009

Moskauer Gipfel: "Resetting U.S.-Russia Relations"

Dass die Themenpalette eines Russland-USA-Gipfels groß ist, ist kein Novum, seit Gorbatschow aber endlich auch wieder die Menge an substantiellen und ebenso vernünftigen Vereinbarungen, die darauf schließen lassen, dass dieser Gipfel bestens vorbereitet war und in den richtigen Richtungen Spielräume für Fortschritte in den Gesprächen eröffnete.

Gleichwohl offenbart sich die Grenze aller bilateralen Vernunft genau in ihrer Bilateralität, denn zu wenig wird auf die Vereinten Nationen gesetzt, zu sehr noch an einer Sicherheitsarchitektur gewerkelt, die auf Übereinkünften nationaler Weltmächte basiert, was durchaus sein dürfte und alternativlos realistisch erscheint, aber in der Verpflichtung eines Bewusstseins und Handelns, bloß Provisorium, Hebel- und Hilfskonstruktion für eine zivilisierte Weltgemeinschaft zu sein.

Eine Weltgemeinschaft ist erst dann zivilisiert, wenn sie die in ihr fortlebenden oder auftretenden Konkurrenzen und Konflikte nicht mehr der militärischen Selbstjustiz ihrer Mitglieder überlässt, sondern die entscheidenden Militärkräfte auf Seiten der Vereinten Nationen monopolisiert hat.

Ist solch Wille von Russland und den USA zu erwarten? Im Moment noch nicht, denn auch Obama hat nur insoweit freie Hand, wie der gleichermaßen naive und verbrecherische Bushismus in den USA nachwirkt.
Und Moskau? Auch dort möchte man nicht gleich unter Gleichen sein, wie es die UN-Charta fordert, sondern beansprucht eine Führungsrolle, leitet die nationalen Interessen aus den Zeiten des zaristischen und sowjetischen Imperialismus ab.
Folglich durchlaufen die russisch-amerikanischen Beziehungen Höhen und Tiefen einer anhaltenden Supermachtkonkurrenz, der Definition ausufernder Interessensphären mit Überschneidungen, mal negativer, mal positiver, mal gegensätzlicher Art.

Die Unilateralisierung der Weltsicherheitsstruktur bleibt indes das Interesse Chinas und zahlreicher Zweitligisten, die sich auf den Trittbrettern benachteiligt sehen, was auch bei den Getreuesten nicht ausbleiben kann und die subsidiäre Globalisierung voran bringt.

Ein weiter Weg, aber Wege sind nur so weit, wie man sie kennt und wie schnell man sie geht.

Markus Rabanus >> Diskussion

24 April 2009

Menschenrechtskonferenz: Aus dem Westen nichts Neues

"Zum Schaden der UNO" - so titelte eine der führenden Zeitungen mit Sitz in Berlin und meinte damit, dass Europa hätte geschlossen die Menschenrechtskonferenz boykottieren sollen, weil Leute wie Holocaustleugner Ahmadinedschad das Forum zu Ausfällen gegen Israel nutzen werde, "Schlimmeres zu verhüten ist immer Entschuldigung für Mitmachen, ..." - so lebt da ein M. Stürmer sein binäres Weltbild aus, in das nicht passt, wenn Feinde miteinander reden, wenn Leute vermitteln.

"Zum Schaden der UNO" - das klingt, als sei da jemand besorgt, aber seine Würdigung der UNO liest sich dann eher so, als möchte er ohne sie auskommen: "Für die meisten der mehr als 190 Mitglieder der Uno ist ohnehin der Begriff Demokratie nichts als ein Etikett."

Also "Raus aus der UNO"? Das wagt er nicht auszusprechen, und allein das unterscheidet ihn von seinen Berufskollegen in Teheran, aber die Stimmungsmache ist gleichermaßen unversöhnlich, ohne dafür haften zu wollen, denn ihn wie die dortigen Hetzer treffen die Embargos nicht, weil der Lohn für die Hetzer stets höher ist als für die Verhetzten.

Und wie wäre es, wenn stimmte, dass die UNO auf den Hund gekommen sei. Dann fragt sich, was sie zuvor war. Galt die Welt als in Ordnung, als sie in Ost und West geteilt sich mal mehr, mal weniger offen androhte, die gesamte Menschheit in den Abgrund zu reißen, also auch jene, die mit diesem Konflikt nichts zu tun hatten? War die Zusammensetzung der UNO besser, als der Algerienkrieg tobte?

Und es stellt sich die Frage nach dem Wohin. Dazu meint M. Stürmer kaum tiefsinniger als ein Knäckebrot und dennoch den Erdball greifend: "Konflikte und Katastrophen rund um den Globus erfordern verantwortungsvolles und konzertiertes Vorgehen." - Klare Fronten vermisst er, aber lässt vermissen, wen er in diesem "konzertierten Vorgehen" sehen möchte. 47 Mächte gegen den Rest der Welt? Mit oder ohne China - oder vielleicht gar gegen China? Und gegen Russland? Oder ist Ahmedineschad das einzige Problem? Möglicherweise für M. Stürmer, weniger für die Tamilen, Kurden, weniger für die afrikanischen Länder. Die haben andere Sorgen. Und: Fronten sind leicht erklärt, überall, aber nicht, wie sie dem Frieden weichen.

Der Boykott unliebsamer Konferenzen steht jedem frei, aber wenn es UNO-Konferenzen sind, dann ist deren Zweck, dass alle daran teilnehmen, ob sie einander mögen oder verachten, ob sie gegeneinander hetzen oder ewige Treue schwören.
Die Vereinten Nationen sind kein Schönwetterverein, sondern der Tisch, an dem gestritten werden muss, damit weniger auf den Schlachtfeldern gestritten wird. Wer die UNO boykottiert, schadet der UNO und zwar mehr als diejenigen, die dort Hetzreden halten.

Und wie berichteten die öffentlich-rechtlichen Medien von der Konferenz? Da war von "Eklat" die Rede, den viele westliche Delegationen mit dem Verlassen der Konferenz quittierten, weil Ahmedineschad erwartungsgemäß nicht von seinen Menschenrechtsverletzungen im Iran sprach, sondern sich zum Verteidiger von Palästinenser-Interessen hochstilisierte. Und doch war der Auszug der westlichen Delegationen ein Armutszeugnis, ein Beispiel für die Unfähigkeit, Ahmedineschad zuzuhören und in der Sache zu widersprechen. Wenn andere klatschen, kann man pfeifen, aber am Tisch muss man bleiben.

Der Westen hat sich blamiert. Der Westen versagte dem Konflikt die Diplomatie. Das ist die Bilanz von Genf. Und das muss sich ändern.

-msr- >> Diskussion

02 Februar 2009

Korea: Spiel mit dem Feuer

Ballons mit regimekritischen Flugblättern passieren die Grenze von Südkorea nach Nordkorea. Dort ist die Herrschaft so dünnhäutig, dass sie Flugblätter als "Aggression" auffasst.
Zudem profiliert sich in der südkoreanischen Regierung ein "Wiedervereinigungsminister" mit Droh- und Erpressungsrhetorik, wonach vertragliche Verpflichtungen von nordkoreanischen Vorleistungen abhängig seien.
Nordkorea wertet das als Vertragsbruch und kündigte jetzt alle bestehenden Verträge mit Südkorea, ausdrücklich auch das Nichtangriffsabkommen. Man befinde sich am Rande des Krieges. Den kann sich keiner der Kontrahenten leisten, aber im Gelabere beeindruckt es die eigenen Reihen. Und das ist wohl auch der eigentliche Grund für diese Neuauflage gefährlicher Feindseligkeiten: Südkorea lenkt von der Rezession ab und Nordkorea von der Totalmisere ab mitsamt dem Streit um die Erbfolge um die Macht, ob der älteste oder jüngste Sohn von Kim Jong II ans Ruder kommt.
China, Russland, USA und die Vereinten Nationen sollten auf die beiden Regierungen einwirken, ihre Rhetorik zu mäßigen, Nordkorea müsste aufgefordert werden, den Nichtangriffspakt einzuhalten, Südkorea sollte erklärt werden, dass wenn Nordkorea den Nichtangriffspakt kündigte, zwar Veranlassung für erhöhte Aufmerksamkeit ist, besonders aber für qualifiziertere Diplomatie, beispielsweise die eindeutige Erklärung, dass sich die Regierung Südkoreas trotzdem an die Verträge halte, insbesondere das Nichtangriffsabkommen. - Die Ablenkung von inneren Problemen erhält zwar Macht, aber löst die Probleme nicht, sondern verschärft sie.
-msr- >> Diskussion

30 Januar 2009

Teheran fürchtet den Dialog mit Obama

Der neue US-Präsident Barack Obama sicherte der Welt eine Politik des Dialogs zu, der auf gegenseitigem Respekt zu beruhen habe und die gemeinsam dringlichen Probleme anpacke. In dieses Dialogangebot schloss Obama die Teheraner Führung ausdrücklich mit ein. Begonnen hat der Dialog noch nicht.
Ein wichtiger Schritt wäre die Entsendung von Botschaftern. Dazu bedarf es einiger Sicherheit, dass die Khomeini-Erben auf Angriffe gegen die Botschaft und Geiselnahmen verzichten, die zur Schließung der Botschaften führten. Stattdessen gehört es aber noch immer zu den Gepflogenheiten in Teheran, vor ausländische Botschaften Hass-Paraden zu inszenieren und gewalttätige Übergriffe zu gestatten. Das Mullah-Regime müsste also darauf verzichten, Bannmeilen einrichten und gewährleisten, wenn die Politik zivilisiert und diplomatischer werden soll.
Statt solcher Schritte wartet Irans Präsident Achmedineschad mit der Forderung auf, Obama solle sich für „Verbrechen" entschuldigen, die die USA in den vergangenen 60 Jahren am Iran begangen hätten, ...
Bedauerlich, dass Achmedineschad die Demütigung Amerikas somit an den Anfang seiner Politik gegenüber Obama stellt, denn die Dialektik seines antiwestlichen Wahns und der Bush-Politik trieb oft genug an den Rand des Krieges und wie er hätte von Saddam Hussein lernen sollen, auch über diesen Rand hinaus. Inzwischen ruderte Irans Außenminister zwar ein wenig zurück, aber an konkret eigenem "Change" verlautbarte nichts.
Im Weißen Haus reagierte man auf Achmedineschad gelassen, denn dummes Zeug mit Empörung zu erwidern, kann nur hysterisieren; ein Brief an Teheran sei in Arbeit. - Das ist gut. Es wäre sinnvoll, einen Bannmeilenvorschlag zu unterbreiten.
Obama steht vor dem Problem, dass sich Leute wie Achmedineschad innenpolitische vielleicht gar keinen US-Präsidenten leisten können, der vernünftiger reagiert als Herr Bush. Wenn aber daran der Dialog scheitert, dann scheitert das Mullah-Regime, weil es sich nicht ändert und der aus Feindschaft gebastelte Heiligenschein verblasst
-markus rabanus- >> Diskussion

01 Oktober 2008

Iran will im Falle einer Zwei-Staaten-Einigung Existenzrecht Israels akzeptieren

Teheran (Iran), 30.09.2008 – Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat in einem Interview, das er letzte Woche bei einem Besuch in New York gab, auf die Frage, ob sein Land mit Israel leben könnte, wenn die Regierung von Palästina einer Zwei-Staaten-Lösung zustimmt, geantwortet, dass der Iran in diesem Fall das Existenzrecht Israels akzeptieren wird. Das Interview wurde am 24. September 2008 von Juan Gonzalez für die „New York Daily News“ und Amy Goodman für die TV-Sendung „Democracy Now“ geführt.

Die Entscheidung, die Existenz Israels zu akzeptieren, resultiert vermutlich daraus, dass immer mehr Palästinenser sich für einen friedlichen Weg, den Konflikt zu lösen, einsetzen und eine Zwei-Staaten-Lösung akzeptieren würden. +wikinews+

Völkerrechtlicher KOMMENTAR

Ob ein Staat anzuerkennen ist, sollte nicht von der Willkür einzelner Staaten abhängig sein, auch wenn das die gängige Praxis ist, sondern davon, ob ein Staat in die UNO aufgenommen wurde.
Da Israel und Iran Mitglieder der Vereinten Nationen sind, sollte die gegenseitige Anerkennung selbstverständlich sein. Die Nichtanerkennung wäre demzufolge nichtig/irrelevant oder völkerrechtswidrig.

Wenn sich unsere Bundesregierung solcher Argumentation nicht anschließt, so weil sie in Bezug auf allerlei Abspaltungsstaaten ebenfalls eine Anerkennungs- bzw. Nichtanerkennungspolitik betreibt und ihre Entscheidungen nicht unter den Vorbehalt entsprechender Entscheidungen der Vereinten Nationen stellt.
Dass dies gängige Praxis ist, redet es nicht heraus, denn gängige Praxis kann nur dann als "Völkergewohnheitsrecht" Geltung beanspruchen, wenn es eine gute Praxis wäre. Die Konfliktträchtigkeit einer abseits der UNO stattfindenden Anerkennungspolitik ist indessen deutlich erhöht, kann folglich kein schützenswertes Gewohnheitsrecht sein.

Gleichwohl: Solange an solcher Praxis festgehalten wird, käme es darauf an, mit ihr möglichst diplomatisch umzugehen. Wenn also Israel daran gelegen ist, vom Iran anerkannt zu sein, so bietet sich nun die Gelegenheit, aus den besseren Sprüchen des iranischen Präsidenten eine vertragliche Regelung zu machen. Israel ist der Zweistaatenlösung ohnehin verpflichtet und bekennt sich dazu, so dass ein darauf bezogenes Abkommen mit Staaten wie dem Iran und Syrien der Entspannung dienen kann.

-markus rabanus- >> Diskussion

16 September 2008

Karsten D. Voigt zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen

„Amerika vor der Wahl – Obama oder McCain – Was wird sich an den deutsch-amerikanischen Beziehungen ändern?“ Vortrag vor Amerika Gesellschaft und Harvard Club
Hamburg am 16. September 2008 Presseerklärung

Karsten D. Voigt ist seit 1999 Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

I. Vorbemerkungen: nicht nur der Präsident, auch der Kongress wird gewählt

Am 4. November 2008 finden in den Vereinigten Staaten von Amerika die Präsidentschaftswahlen sowie die Wahlen zum 111. Kongress statt. Das Interesse an den Wahlen ist in den deutschen Medien und der Bevölkerung außerordentlich. Ausdruck dieses Interesses und gleichzeitig von überzogenen Hoffnungen auf einen grundlegenden Wandel der amerikanischen Politik war der Massenandrang beim Besuch des demokratischen Kandidaten Barack Obama Ende Juli in Berlin, als er vor 200.000 Zuhörern an der Siegessäule eine Rede hielt.

Der Fokus des allgemeinen Interesses liegt eindeutig auf der Wahl zum Präsidenten, wobei die Kongresswahlen in ihrer Wichtigkeit keinesfalls unterschätzt werden sollten. Durch seine Kompetenzen in der Haushalts-, Steuer- und Handelspolitik nimmt der Kongress nämlich eine wichtige Rolle im amerikanischen Verfassungsgefüge ein. Ohne Zustimmung des Senats kann der Präsident keine Verträge abschließen und keine Minister, Verfassungsrichter und Botschafter ernennen.

Bei der Wahl entscheiden die amerikanischen Bürger über alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses sowie über ein Drittel der Sitze im Senat. Derzeit halten die Demokraten eine Mehrheit in beiden Häusern. Im Senat ist diese dabei mit 51 zu 49 Stimmen im Senat nur sehr knapp, und dies auch nur wegen der den Demokraten nahe stehenden Position zweier unabhängiger Senatoren. Dieser Vorsprung wird sich allen Prognosen zufolge vermutlich vergrößern, denn die Republikaner müssen 23 der 35 zur Wahl stehenden Sitze verteidigen, darunter fünf so genannte open seats, bei denen sich die Amtsinhaber nicht zur Wiederwahl stellen. Elf der zwölf am heftigsten umkämpften Sitze werden oder wurden zudem von Republikanern gehalten. Trotz der prognostizierten Zugewinne gilt es aber dennoch als unwahrscheinlich, dass die Demokraten die wichtige Schwelle von 60 Sitzen erreichen können. Diese wäre nötig um das filibuster der Minderheitsfraktion auszuhebeln, also die Taktik, durch Dauerreden eine Beschlussfassung zu verhindern.

Im Repräsentantenhaus halten die Demokraten derzeit eine Mehrheit von 236 zu 199 Sitzen vor den Republikanern. Wahrscheinlich werden sie diese Mehrheit ausbauen können, wenn auch nur in sehr geringem Maße, wie die letzten Prognosen seit dem Nominierungsparteitag der Republikaner vermuten lassen. Im Frühjahr dieses Jahres konnten die Demokraten aber bei Nachwahlen drei Sitze in Wahlbezirken erringen, die zuvor als republikanische Hochburgen galten.

Allerdings sollten die Demokraten durch Umfragen gewarnt sein. Die republikanische Regierung unter George W. Bush ist zwar unbeliebt, der demokratisch dominierte Kongress hat die Wähler aber noch wesentlich stärker enttäuscht. Als die Demokraten 2006 die Kongressmehrheit errangen, versprachen sie, den Irakkrieg zu beenden, die Haushaltsdisziplin auf Bundesebene wiederherzustellen und die Regierung stärker zu kontrollieren. Diese Versprechen wurden jedoch auch aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse und der verfassungsrechtlichen Machtfülle des Präsidenten in den Augen der Wähler kaum erfüllt. So billigte der Kongress z.B. zusätzliche Milliardensummen für die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan, ohne dabei im Gegenzug Bush auf einen Zeitplan für den Abzug der Truppen aus dem Irak festlegen zu können. Das Ergebnis ist eindeutig: Ende August gaben 49% der befragten Amerikaner an, mit der Arbeit des Kongresses sehr unzufrieden zu sein, 29% waren unzufrieden.

Für George W. Bush sind die Zahlen dramatisch schlecht. In derselben Umfrage sagten 64%, mit dem Präsidenten unzufrieden oder sehr unzufrieden zu sein. Noch mehr – über 70% – glaubten, das Land sei auf dem falschen Weg. Fünf Jahre nach dem Beginn des Militäreinsatzes im Irak ist die Bevölkerung kriegsmüde und beunruhigt über die hohen Opferzahlen und die finanziellen Belastungen für Staatshaushalt und Steuerzahler. Noch schwerer wiegen aber der anhaltende Konjunkturabschwung und die Immobilien- und Finanzkrise, welche die amerikanische Mittelklasse stark verunsichern.

II. Themen und Kandidaten des Präsidentschaftswahlkampfes

Angesichts der negativen öffentlichen Meinung zu Präsident und Kongress wurden die Begriffe „Change“ und „Hope“, Wandel und Hoffnung, so zu Schlüsselbegriffen des Wahlkampfs. Zuerst hat Barack Obama diese Motive ins Feld geführt und setzte sich damit im Vorwahlkampf gegen die ursprünglich als Favoritin geltende Hillary Clinton durch. Als relativ junger Kandidat, als Sohn eines kenianischen Vaters und einer Mutter aus dem amerikanischen Herzland, der an den Veränderungswillen aller Amerikaner appelliert, gilt er seinen Anhängern als Repräsentant einer modernen, urbanen, ethnisch gemischten und toleranten Gesellschaft, die mehr an Problemlösungen als an den alten Grabenkämpfen zwischen Ethnien, Parteien und Gesellschaftsschichten interessiert ist. Er findet viele Anhänger bei gebildeten und wohlhabenden Wählern aller Hautfarben. Schwarze Amerikaner unterstützen ihn mit sehr großer Mehrheit. Vor allem aber mobilisiert er zahlreiche junge Wähler. Schon im perfekt organisierten Vorwahlkampf zogen sie von Haus zu Haus, machten das Internet zum Wahlkampfmedium und warben dabei viele Spendengelder für ihn ein.

Während Hillary Clinton mit ihrer Erfahrung und rationalen Argumentationsweise zu punkten versuchte und vor allem ältere Wähler, Frauen, Wähler lateinamerikanischer Herkunft und die weiße Arbeiterschaft ansprach, glich Obamas Kampagne von Anfang an einer Bewegung, die bewusst an das Erbe John F. Kennedys und den Stil Martin Luther Kings anknüpfte. Kritiker sehen in diesem Stil Elemente der Great Awakenings und anderer charismatischer Strömungen in der amerikanischen Geschichte. Der Kandidat wurde dabei zur Projektionsfläche der Träume und Wünsche seiner Anhänger und musste dabei während der Vorwahlen inhaltlich nicht besonders konkret werden. Diese Defizite muss er jetzt im Wettbewerb mit McCain auszugleichen versuchen.

Offen war, inwiefern der lange innerparteiliche Machtkampf zwischen Obama und Clinton dem Sieger später, bei der eigentlichen Präsidentschaftswahl, hinderlich sein würde. Während John McCain schon Anfang März 2008 als republikanischer Kandidat feststand, zogen sich die demokratischen Vorwahlen bis Juni hin. Verschiedentlich wurde gemutmaßt, dass – nicht zuletzt wegen der starken Polarisierung innerhalb der Partei – viele verärgerte Clinton-Anhänger letztlich der Wahl fernbleiben, oder sogar für McCain stimmen würden. Auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten stellten sich die Clintons allerdings mit zwei fulminanten Reden eindeutig hinter Obama, um die nötige Einheit der Basis wieder herzustellen. Glaubt man den Meinungsumfragen, hatten sie damit Erfolg.

Als running mate, also als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft wählte Obama den 65 Jahre alten Senator Joe Biden. Zwei Motivationen scheinen hinter dieser Wahl zu stecken. Zum einen soll Biden als langjähriger Experte für Außen- und Sicherheitspolitik im Senat Obamas – im Vergleich zu McCain – geringere Erfahrung auf diesem Gebiet kompensieren und damit ein Argument der republikanischen Wahlkampagne aushebeln. Zum anderen hofft man, dass Biden die im Schnitt eher älteren, der weißen unteren Mittelschicht und Arbeiterschaft zugehörigen Anhänger Clintons anspricht, bei denen es Obama schwer hat. Viel wird von Obamas Fähigkeit zur Mobilisierung abhängen. Falls er es schafft, die während der Vorwahlen mobilisierten und dann neu registrierten Wähler zu bewegen, am Wahltag tatsächlich zur Wahl zu gehen, hat er gute Voraussetzungen für einen Wahlerfolg.

John McCain ist dagegen der Repräsentant eines ganz anderen Amerika, nämlich das der eher kleinstädtischen bzw. ländlichen, weißen und älteren Wählerschaft. Der 71-Jährige ist ein sicherheitspolitischer Experte mit langer außenpolitischer Erfahrung, der im Vietnamkrieg Gefangenschaft und Folter überstand und aufgrund seiner unorthodoxen und impulsiven Persönlichkeit und seiner politischen Unangepasstheit oft als „Maverick“ bezeichnet wird. Ehre und Patriotismus sind seine Leitmotive. In der Außenpolitik gilt er als Falke, der für eine Stärkung der amerikanischen Streitkräfte eintritt und im islamischen Extremismus die zentrale Bedrohung für den Westen sieht.

Vor dem republikanischen Nominierungsparteitag in St. Paul Anfang September überraschte er mit seiner Wahl der bis dahin völlig unbekannten Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, als running mate. Die sozialkonservative Palin betrat die Bühne der nationalen Politik in St. Paul mit einem temperamentvollen und an uramerikanische Instinkte appellierenden Auftritt. Sie ist lebenslanges Mitglied der National Rifle Organisation, eine strikte Gegnerin von Abtreibung und bestreitet die menschliche Urheberschaft für den Klimawandel. Den Krieg im Irak sowie den Bau von Pipelines durch Naturschutzgebiete in Alaska hat sie als „gottgewollt“ bezeichnet. Zudem wird ihr das Image einer unerschrockenen Reformerin zugeschrieben, die in ihrem Staat mit korrupten Verhältnissen selbst in der eigenen Partei aufräumte und deshalb Zustimmungsraten von 80% und mehr erreichte. Dieses bisher positive Image von Sarah Palin unter konservativen Wählern gab der McCain-Kampagne einen kräftigen Schub.

Auf die eher liberale weibliche Klientel Hillary Clintons zielt die Wahl Palins wohl kaum. Eher soll sie die große Wählerschaft der Evangelikalen mobilisieren. Dieser Teil der republikanischen Basis steht McCain skeptisch gegenüber, da er aus ihrer Sicht zu liberale gesellschaftspolitische Positionen vertritt. Als Senator hat er oft undogmatisch über Parteigrenzen hinweg für politische Projekte geworben, bei Themen wie der Einwanderung und der Abtreibung wird er als moderat eingeschätzt. Einerseits grenzt sich McCain mit seinem Image eines unorthodoxen Außenseiters bewusst von der unbeliebten Bush-Administration ab und führt eine Kampagne, als sei er der Kandidat einer oppositionellen Bewegung zu Stil und Inhalten der in Washington bisher betriebenen Politik. Andererseits benötigt er die religiös und gesellschaftspolitisch konservativen Wähler, um das republikanische Wählerpotenzial auszuschöpfen. Die Mobilisierung dieser Wählergruppen ist Palins Funktion.

Zwar nimmt Palin McCain weitestgehend die Möglichkeit, gegen Obamas mangelnde Erfahrung zu argumentieren. Andererseits – und dies scheint seit dem Parteitag der Republikaner die neue Strategie McCains zu sein – kann er sich mit ihrer Hilfe als eigentlicher Reformer geben, der in Washington aufräumen will. Populistische Angriffe gegen die liberalen Medien und „das Establishment“, in das auch Obama eingeordnet wird, sind dafür beliebte Mittel. Damit hat der Kandidat der seit acht Jahren regierenden Republikaner interessanterweise das Mantra des Change aufgenommen. Im Wahlkampf wird sich nun herausstellen müssen, ob der McCain-Kampagne diese Identifikation gelingen kann, oder ob Obama und sein Team es vermögen, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass McCain tatsächlich nur „more of the same“ ist, also für weitere vier Jahre Bush-Politik steht.

Das zentrale Thema der Wahl ist dabei für die Amerikaner zweifellos die wirtschaftliche Lage. Die Immobilienkrise, die Krise an den Finanzmärkten steigende Arbeitslosigkeit und Benzinpreise sind für die meisten Wähler noch weit wichtiger als die Situation im Irak und in Afghanistan. Dies wurde bisher immer als ein Vorteil für Obama gesehen, bei dem die Wähler laut Umfragen eine größere ökonomische Kompetenz vermuten. Dementsprechend legt er großes Gewicht auf diese Themen. Seit dem Nominierungsparteitag der Republikaner hat McCain jedoch nicht nur insgesamt in den Umfragen aufgeholt – momentan liegt er knapp vorne –, er konnte auch den Abstand zu Obama auf dem Gebiet der Wirtschaft bedeutend verkürzen.

Ein Vorteil McCains ist sicherlich sein Image als starker Oberbefehlshaber. So könnte er angesichts der neuerlichen Konfrontationslage und zumal der Georgien-Krise von seiner traditionell kritischen Haltung gegenüber Russland profitieren. „Today, we are all Georgians“, wir alle sind heute Georgier, verkündete er am 12. August bei einer Wahlkampfveranstaltung. Er erweckt damit in Anklang an J. F. Kennedys Rede in Berlin beim Wähler den Eindruck, als würde er Georgien gegen Russland verteidigen – ohne dies allerdings explizit auszudrücken. Jede weitere internationale Krise bis zum 4. November wird zweifellos McCains Chancen verbessern. Traditionell neigen die Amerikaner dazu, in außen- und sicherheitspolitischen Krisenzeiten eher konservativ zu wählen.

Im Moment sind keine seriösen Prognosen über den Wahlausgang möglich. Die Umfragen ergeben ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das bis zu letzten Moment andauern dürfte.

III. Besonderheiten des Wahlkampfes

Zu den Besonderheiten der diesjährigen Präsidentschaftswahlen gehört, dass sich entgegen gängiger Klischees in den Vorwahlen der beiden Parteien nicht die Kandidaten durchsetzten, die über das größte Privatvermögen verfügten und von Beginn an die Unterstützung des Parteiestablishments hatten, sondern eher untypische Charaktere. Mit dem Erfolg McCains als unangepasster Republikaner und Obamas als erster aussichtsreicher farbiger Kandidat hatte anfangs keiner gerechnet. Beide entsprechen nicht dem Zerrbild amerikanischer Politik in vielen Teilen der Welt. Die amerikanische Demokratie hat einmal mehr bewiesen, zu welcher Kraft sie fähig ist, sich ständig neu zu erfinden und eine Begeisterung für die Mitgestaltung der Politik zu wecken, die auch nach Europa ausstrahlt und für die USA viele neue Sympathie gewinnt.

Zugleich spielen Wahlkampfspenden dieses Mal eine noch größere Rolle als jemals zuvor in der amerikanischen Geschichte. Die Spendeneinnahmen beider Parteien dürften bereits über einer Milliarde US-Dollar liegen, während sie in den Jahren 2000 und 2004 noch für alle Kandidaten zusammen 335 Millionen bzw. 671 Millionen Dollar betrugen. Geld spielt also weiterhin eine überragende Rolle und zwingt die Kandidaten, große Energien in das fundraising zu investieren. Dabei war Obama bislang ungemein erfolgreich. Es gelang ihm, über seine Aktivisten und das Internet viele Kleinspenden einzuwerben und fast doppelt so viel Geld zu sammeln wie John McCain. Daher verzichtete er – anders als McCain - auf staatliche Wahlkampffinanzierung, da sie die Maximalausgaben eines Kandidaten im Hauptwahlkampf auf 84 Mio. US-D deckeln. Obama kann jedoch viel mehr an privaten Spenden einsammeln.

Die Bedeutung des Internets im diesjährigen US-Wahlkampf ist ein Trend, der sich auch bei uns durchsetzen könnte und der zu einer verstärkten Partizipation der Bevölkerung am Wahlprozess und an der öffentlichen Meinungsbildung beitragen kann. In den USA erreichen die Websites der Kandidaten und damit verbundene Funktionen, wie E-Mails, Blogs, Video-Podcasts und soziale Netzwerkseiten, bereits eine ungewöhnlich große Zahl vornehmlich junger Wähler. Insbesondere der Obama-Kampagne gelang es schon im Vorwahlkampf, das Internet schlagkräftig zur Mobilisierung der eigenen Anhänger und zur Einwerbung von Spenden einzusetzen. Monatlich besuchten zwei bis drei Millionen Menschen die Website Obamas. Die Seite des Republikaners John McCain kam auf wesentlich geringere Nutzerzahlen.

Religion spielt in amerikanischen Wahlkämpfen stets eine große Rolle. Während die Demokraten die evangelikalen Christen bei den Präsidentschaftswahlen von 2004 noch vernachlässigten und dafür abgestraft wurden, versuchen sie 2008, dieses Wählersegment stärker anzusprechen. Obama bedient die religiöse Grundstimmung in Amerika sehr effektvoll durch seinen pastoralen Redestil, der auffallend dem Martin Luther Kings ähnelt. Seine frühere Zugehörigkeit zur Trinity United Church of Christ in Chicago bereitete ihm aufgrund umstrittener Äußerungen des Pastors Jeremiah Wright allerdings auch Probleme. John McCain ist mit seinen gesellschaftspolitischen Ansichten sicher nicht der Wunschkandidat der evangelikalen Konservativen, dies kompensiert aber Sarah Palin an seiner Seite.

IV Was haben wir von der neuen US-Administration zu erwarten?

Was bedeuten nun eine Wahl Obamas oder McCains für Deutschland? Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die deutsche Bevölkerung Obama als Präsidenten klar bevorzugen würde. Mit Zustimmungsraten von 80% und mehr liegen sie sogar noch vor dem europäischen Durchschnitt von um die 70% und der 49-prozentigen Präferenz für Obama, die eine weltweite Umfrage der BBC in 22 Ländern kürzlich ergeben hat. Von einem Erfolg Obamas versprechen sich die Europäer zudem eher eine Besserung der transatlantischen Beziehungen als bei einem Wahlsieg McCains. Die Amerikaner schätzen dies übrigens ähnlich ein.

Die Bundesregierung nimmt zu recht eine neutrale Position ein. Sie könnte mit beiden im November zur Wahl stehenden Kandidaten gut zusammenarbeiten, und es entsprich auch deutschen Interessen, mit jedem Präsidenten, den das amerikanische Volk wählt, eng zusammenarbeiten zu können, denn die USA sind unser wichtigster Partner außerhalb der EU. John McCain ist der Kandidat mit der größeren außen- und sicherheitspolitischen Erfahrung und dem ausgeprägteren Interesse an Europa. Obama ist derzeit Vorsitzender des Unterausschusses für europäische Angelegenheiten im Senat, er kennt Europa aber kaum. Im Wahlkampf spielen europäische Themen bislang keine Rolle, weil wir anders als in früheren Jahrzehnten nicht mehr im Zentrum einer Krisenregion leben. Beide Kandidaten versprechen jedoch eine größere Bereitschaft der USA, auf ihre Partner zuzugehen, ihre Standpunkte zu berücksichtigen und multilaterale Institutionen ernster zu nehmen, als dies bei der Bush-Administration der Fall war. Viele Europäer verbinden mit den Wahlen daher große Erwartungen und hoffen auf eine grundsätzliche Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik, besonders unter einem Präsidenten Obama.

Dabei sind die Unterschiede zwischen den Kandidaten in den außenpolitischen Zielsetzungen weniger klar, als viele Europäer vermuten. Trotz aller Bekenntnisse zur Bedeutung multilateraler Zusammenarbeit wird keine US-Administration dem Multilateralismus den gleichen Stellenwert einräumen wie es z.B. Deutschland tut. Vor allem aber wird der US-Kongress anders als unser Grundgesetz das Völkerrecht nicht von vornherein als übergeordnete Instanz anerkennen, die nationales Recht überlagert. Dem widersprächen nicht nur die verfassungspolitische Tradition, sondern auch der Weltmachtstatus und die politische Kultur der Vereinigten Staaten. Weder McCain noch Obama werden die Anwendung militärischer Gewalt von vornherein ausschließen, wenn es um die Durchsetzung und Verteidigung wichtiger amerikanischer Sicherheitsinteressen geht. Dies kann auch in Zukunft notfalls auch ohne die Unterstützung der Verbündeten geschehen.

Größere Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten werden in der Irakpolitik gesehen. Die demokratische Kongressmehrheit versuchte wiederholt, Präsident Bush auf ein Abzugsdatum für die US-Truppen festzulegen. McCain argumentierte schon früh für eine Aufstockung der Truppen, um die Gewalt im Irak einzudämmen und die Regierung in Bagdad zu stabilisieren. Auch gegenwärtig ist McCain für die „Fortsetzung der Bemühungen, den Krieg im Irak zu gewinnen“, während Obama für einen schrittweisen Abzug der Truppen und eine Übergabe der Verantwortung an die Iraker plädiert. Letzten Endes werden jedoch die konkrete militärische Situation und die Stabilität der irakischen Regierung für den Zeitplan des Truppenabzugs entscheidend sein und weniger die Absichtserklärungen im Wahlkampf.

Nicht erst seit den kriegerischen Auseinandersetzungen in Georgien im vergangenen August gibt es eine kontroverse transatlantische Debatte um die Beziehungen zu Russland. John McCain und andere Republikaner fordern eine gemeinsame, harte Linie des Westens gegen ein von ihnen als revanchistisches wahrgenommenes Russland. So sollten die G-8 „wieder ein Klub führender Marktdemokratien“ werden. McCain plädiert für die Aufnahme Indiens und Brasiliens in die Staatengruppe, jedoch gleichzeitig für den Ausschluss Russlands und das Heraushalten Chinas. Dies würde eine gravierende Brüskierung zweier globaler Mächte bedeuten und wäre eine Abkehr von der bisherigen Politik Washingtons, Peking und Moskau so weit wie möglich in die internationale Ordnung einzubinden. Obama äußert sich differenzierter zu Russland. Auch in seiner Partei werden jedoch zunehmend antirussische Stimmungen laut. Groß ist die Enttäuschung über die inneren Entwicklungen und das außenpolitische Auftreten des wieder erstarkten Russland.

So reagierten Politiker und Medien in den USA scharf auf das auch aus deutscher Sicht unverhältnismäßige Eingreifen Russlands in den Konflikt zwischen der Regierung in Tiflis und den abtrünnigen Gebieten Südossetien und Abchasien, die sich mittlerweile für unabhängig erklärten. Dabei gab es auch Vorwürfe gegen Europa und namentlich Deutschland, das sich beim letzten NATO-Gipfel gegen einen konkreten Zeitplan für eine Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die Allianz ausgesprochen hatte und dem eine zu russlandfreundliche Haltung aufgrund einer angeblich zu großen Abhängigkeit von Öl- und Gaslieferungen aus Russland unterstellt werden. Dabei ist aus meiner Sicht die Unterstellung, dass die deutsche Politik gegenüber Russland durch unsere Gas-Interessen bestimmt sei, eine ebenso verengte und damit falsche Sichtweise wie die, dass die amerikanische Politik gegenüber dem Irak nur durch Öl-Interessen bestimmt sei.

Die autoritären Tendenzen in Russland und ein zum Teil konfrontatives Verhalten gegenüber seinen Nachbarn sollten wir Deutsche kritisieren. Aber die EU und Russland sind direkte Nachbarn und bleiben in vielfältiger Weise aufeinander angewiesen. Russland wird z.B. bei den Bemühungen um Abrüstung und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie bei der Stabilisierung von Krisenregionen dringend gebraucht. Es bleibt deshalb deutsche Politik, trotz aller berechtigten Kritik an russischer Rhetorik und russischem Verhalten für ein rationales und kooperatives Verhältnis zu Russland zu werben.

Die Besorgnis in den USA über den Wiederaufstieg Russlands und Chinas fand ihren Ausdruck auch in dem neuen außenpolitischen Konzept einer „Allianz der Demokratien“, das von McCain und auch von Beratern der Obama-Kampagne vorgeschlagen worden ist. Dabei geht es im Kern um die Idee, einen neuen institutionellen Rahmen für die demokratisch regierten Länder der Welt zu schaffen, damit diese besser bei der Bewältigung internationaler Sicherheitsprobleme kooperieren könnten. Dies soll besonders dann zur Geltung kommen, wenn die Vereinten Nationen aufgrund ihrer Entscheidungsprozesse gelähmt wären. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass Legitimität, besonders beim Einsatz militärischer Macht, weniger aus der möglichst breiten Zustimmung der internationalen Gemeinschaft erwachse als aus der moralischen „Richtigkeit“ der Entscheidungen und der „inneren Legitimität“ demokratisch gewählter Regierungen. Es ist jedoch fraglich, nach welchen Kriterien über die Mitgliedschaft in dem neuen Bund entschieden wird. Provoziert man mit einer solchen Idee nicht neue Spannungen in der Welt, wenn man Staaten wie Russland und China aus wichtigen Entscheidungsprozessen ausschließt? Deren Unterstützung für die Bewältigung globaler Probleme wie des Klimawandels ist aber unerlässlich. Sollte sich dieses Projekt in der Regierungspolitik der neuen Administration wiederfinden, werden die Europäer hier Gesprächsbedarf haben und Widerspruch äußern.

Zudem herrscht im Kongress bei Republikanern und Demokraten eine sehr irankritische Haltung. Bei Abgeordneten beider Parteien gilt die Darstellung im Geheimdienstbericht National Intelligence Estimate vom Dezember 2007, laut dem Iran im Herbst 2003 sein Nuklearwaffenprogramm stoppte, als problematisch oder gar verharmlosend. Sie fordern die Administration auf, die Verbündeten zu mehr Druck auf Iran zu bewegen. Dazu gehören etwa Sanktionen gegen ausländische Firmen, die mit Iran Geschäftsbeziehungen unterhalten, und weitere Finanzsanktionen gegen Iran. Deutschland hat seine früheren engen wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran bereits deutlich eingeschränkt. Wir sollten uns aber darauf gefasst machen, dass von der neuen Administration im Weißen Haus mit Unterstützung durch den Kongress sehr schnell Forderungen nach weiterem wirtschaftlichen und politischen Druck auf den Iran kommen werden.

Weitere drängende internationale Probleme und regionale Krisen bleiben der transatlantischen Agenda unter der neuen US-Administration erhalten: die gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus, ein Neubeginn in den Bemühungen um nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung, die Verwirklichung einer Friedensordnung im Nahen Osten, die geopolitische und wirtschaftliche Herausforderung durch aufstrebende Mächte wie China, Indien und Brasilien und die Konflikte in Afghanistan und Pakistan, auf dem Balkan, in Afrika und Asien. Langweilig wird die transatlantische Agenda der nächsten Jahre jedenfalls nicht. Die Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und Demokraten haben ihre Bereitschaft bekundet, ihre Verbündeten stärker in die Lösung solcher Konflikte einzubeziehen.

Zugleich werden sie aber auf eine aus US-Sicht gerechtere Lastenverteilung pochen. Auf Deutschland und andere europäische Staaten werden daher neue Forderungen nach der Übernahme militärischer und ziviler Aufgaben in Krisengebieten zukommen. Vor allem mit Blick auf (Süd-)Afghanistan dürfte sich der amerikanische Druck auf Deutschland und die EU, mehr für die gemeinsame Sicherheit zu leisten, noch verstärken. Außerdem ist zu erwarten, dass die neue US-Administration auch mit der Bitte um Beiträge zur zivilen Stabilisierung des Iraks an die Verbündeten herantreten wird. Angesichts der erheblichen Skepsis in der deutschen öffentlichen Meinung gegenüber den Auslandseinsätzen der Bundeswehr bedeutet dies – vor allem im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl - eine große Herausforderung für die Bundesregierung und den Bundestag.

Europa und die USA können aber neben den klassischen außenpolitischen Themen auch in vielen anderen Bereichen noch enger kooperieren. Die transatlantische Wirtschaftspartnerschaft, die Millionen Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks sichert, bietet dafür gerade in Zeiten einer sich abschwächenden Weltkonjunktur und von Turbulenzen auf den Finanzmärkten große Chancen. Die EU und die USA sollten die im Frühjahr 2007 beschlossene Vertiefung dieser Zusammenarbeit im Rahmen des Transatlantischen Wirtschaftsrats verstärken. Streitigkeiten über Details wie das Importverbot von chlorbehandeltem Geflügelfleisch durch die EU sollten baldmöglichst beigelegt werden. Hinderlich für die Handelsbeziehungen sind auch zunehmende protektionistische Reflexe in der amerikanischen Bevölkerung und im Kongress. Diese werden vor allem von der demokratischen Basis und damit auch von Barack Obama aufgegriffen, während der Republikaner McCain weiterhin den Freihandel verteidigt.

Ich hoffe, dass wir auch unsere Zusammenarbeit in einer Reihe klassischer innenpolitischer Problemstellungen intensivieren können. Dazu gehören Themen wie eine bezahlbare, allgemeine Krankenversicherung (45 Millionen Amerikaner sind unversichert), der Umgang mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel, einschließlich des Verlustes industrieller Arbeitsplätze an Billiglohnländer, der Kaufkraftverlust für die Mitteklasse und Probleme mit Armut und Dumpinglöhnen inmitten unserer wohlhabenden Gesellschaften. Auch hier können wir von einander lernen und sollten vor allem vermeiden, uns gegenseitig mit protektionistischen Maßnahmen zu schaden.

Von großer Relevanz für die Zukunft unserer Gesellschaften ist der Themenkomplex Klimaschutz und Energiesicherheit. Während sich die EU ehrgeizige Reduktionsziele für Treibhausgase setzt, hat sich die Bush-Administration zu Beginn mit dem Thema schwer getan. Sie lehnte eine verbindliche Begrenzung von CO2-Emissionen ab, solange große Schwellenländer wie China und Indien, die einen immer größeren Anteil an den Emissionen haben, nicht ebenfalls in die Pflicht genommen werden. Mittlerweile hat sich jedoch auch in den USA die Diskussion verändert. Eine Reihe von Bundesstaaten, darunter Kalifornien und Florida, haben eigene Gesetze zur Begrenzung von Treibhausgasen und zur Förderung erneuerbarer Energien verabschiedet. Sowohl Barack Obama als auch John McCain haben sich für verstärkte Maßnahmen zum Klimaschutz ausgesprochen, so dass der Boden für eine europäisch-amerikanische Zusammenarbeit nach den Wahlen fruchtbar ist. Minister Steinmeier wird Ende September bei einer Konferenz in Berlin gemeinsam mit seinem Kabinettskollegen Gabriel und amerikanischen Gästen den Startschuss zu einer neuen transatlantischen Initiative zu diesem wichtigen Zukunftsthema geben.

Bei allen genannten Themen bleibt die transatlantische Partnerschaft die notwendige Vorbedingung für Problemlösungen. Zwar müssen in einer zunehmend globalisierten und vernetzten Welt auch viele andere Partner eingebunden werden, doch ohne die enge Kooperation zwischen den USA und Europa wird es keine Fortschritte bei der Bewältigung der drängenden Probleme unserer Zeit geben. Für die Europäer bleiben die USA der wichtigste Partner, und auch amerikanische Politiker wissen, dass die Schnittmenge gemeinsamer Interessen und Werte mit keiner anderen Region der Welt so groß ist wie mit Europa. Die bevorstehenden Präsidentschafts- und Kongresswahlen bieten einen guten Anlass, um dieser Partnerschaft neuen Schwung zu verleihen. Dabei werden auch Unterschiede in den Meinungen und außenpolitischen Ansätzen zwischen Europa und den USA bestehen bleiben. Amerikaner und Europäer sollten lernen, mit solchen Differenzen gelassen umzugehen und aus Widersprüchen gemeinsame, konstruktive Lösungen zu entwickeln.

Karsten D. Voigt ist seit 1999 Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.
[size=16]„Amerika vor der Wahl – Obama oder McCain – Was wird sich an den deutsch-amerikanischen Beziehungen ändern?“ Vortrag vor Amerika Gesellschaft und Harvard Club Hamburg am 16. September 2008[/size]

16.09.2008 Presseerklärung
Karsten D. Voigt ist seit 1999 Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

I. Vorbemerkungen: nicht nur der Präsident, auch der Kongress wird gewählt

Am 4. November 2008 finden in den Vereinigten Staaten von Amerika die Präsidentschaftswahlen sowie die Wahlen zum 111. Kongress statt. Das Interesse an den Wahlen ist in den deutschen Medien und der Bevölkerung außerordentlich. Ausdruck dieses Interesses und gleichzeitig von überzogenen Hoffnungen auf einen grundlegenden Wandel der amerikanischen Politik war der Massenandrang beim Besuch des demokratischen Kandidaten Barack Obama Ende Juli in Berlin, als er vor 200.000 Zuhörern an der Siegessäule eine Rede hielt.

Der Fokus des allgemeinen Interesses liegt eindeutig auf der Wahl zum Präsidenten, wobei die Kongresswahlen in ihrer Wichtigkeit keinesfalls unterschätzt werden sollten. Durch seine Kompetenzen in der Haushalts-, Steuer- und Handelspolitik nimmt der Kongress nämlich eine wichtige Rolle im amerikanischen Verfassungsgefüge ein. Ohne Zustimmung des Senats kann der Präsident keine Verträge abschließen und keine Minister, Verfassungsrichter und Botschafter ernennen.

Bei der Wahl entscheiden die amerikanischen Bürger über alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses sowie über ein Drittel der Sitze im Senat. Derzeit halten die Demokraten eine Mehrheit in beiden Häusern. Im Senat ist diese dabei mit 51 zu 49 Stimmen im Senat nur sehr knapp, und dies auch nur wegen der den Demokraten nahe stehenden Position zweier unabhängiger Senatoren. Dieser Vorsprung wird sich allen Prognosen zufolge vermutlich vergrößern, denn die Republikaner müssen 23 der 35 zur Wahl stehenden Sitze verteidigen, darunter fünf so genannte open seats, bei denen sich die Amtsinhaber nicht zur Wiederwahl stellen. Elf der zwölf am heftigsten umkämpften Sitze werden oder wurden zudem von Republikanern gehalten. Trotz der prognostizierten Zugewinne gilt es aber dennoch als unwahrscheinlich, dass die Demokraten die wichtige Schwelle von 60 Sitzen erreichen können. Diese wäre nötig um das filibuster der Minderheitsfraktion auszuhebeln, also die Taktik, durch Dauerreden eine Beschlussfassung zu verhindern.

Im Repräsentantenhaus halten die Demokraten derzeit eine Mehrheit von 236 zu 199 Sitzen vor den Republikanern. Wahrscheinlich werden sie diese Mehrheit ausbauen können, wenn auch nur in sehr geringem Maße, wie die letzten Prognosen seit dem Nominierungsparteitag der Republikaner vermuten lassen. Im Frühjahr dieses Jahres konnten die Demokraten aber bei Nachwahlen drei Sitze in Wahlbezirken erringen, die zuvor als republikanische Hochburgen galten.

Allerdings sollten die Demokraten durch Umfragen gewarnt sein. Die republikanische Regierung unter George W. Bush ist zwar unbeliebt, der demokratisch dominierte Kongress hat die Wähler aber noch wesentlich stärker enttäuscht. Als die Demokraten 2006 die Kongressmehrheit errangen, versprachen sie, den Irakkrieg zu beenden, die Haushaltsdisziplin auf Bundesebene wiederherzustellen und die Regierung stärker zu kontrollieren. Diese Versprechen wurden jedoch auch aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse und der verfassungsrechtlichen Machtfülle des Präsidenten in den Augen der Wähler kaum erfüllt. So billigte der Kongress z.B. zusätzliche Milliardensummen für die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan, ohne dabei im Gegenzug Bush auf einen Zeitplan für den Abzug der Truppen aus dem Irak festlegen zu können. Das Ergebnis ist eindeutig: Ende August gaben 49% der befragten Amerikaner an, mit der Arbeit des Kongresses sehr unzufrieden zu sein, 29% waren unzufrieden.

Für George W. Bush sind die Zahlen dramatisch schlecht. In derselben Umfrage sagten 64%, mit dem Präsidenten unzufrieden oder sehr unzufrieden zu sein. Noch mehr – über 70% – glaubten, das Land sei auf dem falschen Weg. Fünf Jahre nach dem Beginn des Militäreinsatzes im Irak ist die Bevölkerung kriegsmüde und beunruhigt über die hohen Opferzahlen und die finanziellen Belastungen für Staatshaushalt und Steuerzahler. Noch schwerer wiegen aber der anhaltende Konjunkturabschwung und die Immobilien- und Finanzkrise, welche die amerikanische Mittelklasse stark verunsichern.

II. Themen und Kandidaten des Präsidentschaftswahlkampfes

Angesichts der negativen öffentlichen Meinung zu Präsident und Kongress wurden die Begriffe „Change“ und „Hope“, Wandel und Hoffnung, so zu Schlüsselbegriffen des Wahlkampfs. Zuerst hat Barack Obama diese Motive ins Feld geführt und setzte sich damit im Vorwahlkampf gegen die ursprünglich als Favoritin geltende Hillary Clinton durch. Als relativ junger Kandidat, als Sohn eines kenianischen Vaters und einer Mutter aus dem amerikanischen Herzland, der an den Veränderungswillen aller Amerikaner appelliert, gilt er seinen Anhängern als Repräsentant einer modernen, urbanen, ethnisch gemischten und toleranten Gesellschaft, die mehr an Problemlösungen als an den alten Grabenkämpfen zwischen Ethnien, Parteien und Gesellschaftsschichten interessiert ist. Er findet viele Anhänger bei gebildeten und wohlhabenden Wählern aller Hautfarben. Schwarze Amerikaner unterstützen ihn mit sehr großer Mehrheit. Vor allem aber mobilisiert er zahlreiche junge Wähler. Schon im perfekt organisierten Vorwahlkampf zogen sie von Haus zu Haus, machten das Internet zum Wahlkampfmedium und warben dabei viele Spendengelder für ihn ein.

Während Hillary Clinton mit ihrer Erfahrung und rationalen Argumentationsweise zu punkten versuchte und vor allem ältere Wähler, Frauen, Wähler lateinamerikanischer Herkunft und die weiße Arbeiterschaft ansprach, glich Obamas Kampagne von Anfang an einer Bewegung, die bewusst an das Erbe John F. Kennedys und den Stil Martin Luther Kings anknüpfte. Kritiker sehen in diesem Stil Elemente der Great Awakenings und anderer charismatischer Strömungen in der amerikanischen Geschichte. Der Kandidat wurde dabei zur Projektionsfläche der Träume und Wünsche seiner Anhänger und musste dabei während der Vorwahlen inhaltlich nicht besonders konkret werden. Diese Defizite muss er jetzt im Wettbewerb mit McCain auszugleichen versuchen.

Offen war, inwiefern der lange innerparteiliche Machtkampf zwischen Obama und Clinton dem Sieger später, bei der eigentlichen Präsidentschaftswahl, hinderlich sein würde. Während John McCain schon Anfang März 2008 als republikanischer Kandidat feststand, zogen sich die demokratischen Vorwahlen bis Juni hin. Verschiedentlich wurde gemutmaßt, dass – nicht zuletzt wegen der starken Polarisierung innerhalb der Partei – viele verärgerte Clinton-Anhänger letztlich der Wahl fernbleiben, oder sogar für McCain stimmen würden. Auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten stellten sich die Clintons allerdings mit zwei fulminanten Reden eindeutig hinter Obama, um die nötige Einheit der Basis wieder herzustellen. Glaubt man den Meinungsumfragen, hatten sie damit Erfolg.

Als running mate, also als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft wählte Obama den 65 Jahre alten Senator Joe Biden. Zwei Motivationen scheinen hinter dieser Wahl zu stecken. Zum einen soll Biden als langjähriger Experte für Außen- und Sicherheitspolitik im Senat Obamas – im Vergleich zu McCain – geringere Erfahrung auf diesem Gebiet kompensieren und damit ein Argument der republikanischen Wahlkampagne aushebeln. Zum anderen hofft man, dass Biden die im Schnitt eher älteren, der weißen unteren Mittelschicht und Arbeiterschaft zugehörigen Anhänger Clintons anspricht, bei denen es Obama schwer hat. Viel wird von Obamas Fähigkeit zur Mobilisierung abhängen. Falls er es schafft, die während der Vorwahlen mobilisierten und dann neu registrierten Wähler zu bewegen, am Wahltag tatsächlich zur Wahl zu gehen, hat er gute Voraussetzungen für einen Wahlerfolg.

John McCain ist dagegen der Repräsentant eines ganz anderen Amerika, nämlich das der eher kleinstädtischen bzw. ländlichen, weißen und älteren Wählerschaft. Der 71-Jährige ist ein sicherheitspolitischer Experte mit langer außenpolitischer Erfahrung, der im Vietnamkrieg Gefangenschaft und Folter überstand und aufgrund seiner unorthodoxen und impulsiven Persönlichkeit und seiner politischen Unangepasstheit oft als „Maverick“ bezeichnet wird. Ehre und Patriotismus sind seine Leitmotive. In der Außenpolitik gilt er als Falke, der für eine Stärkung der amerikanischen Streitkräfte eintritt und im islamischen Extremismus die zentrale Bedrohung für den Westen sieht.

Vor dem republikanischen Nominierungsparteitag in St. Paul Anfang September überraschte er mit seiner Wahl der bis dahin völlig unbekannten Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, als running mate. Die sozialkonservative Palin betrat die Bühne der nationalen Politik in St. Paul mit einem temperamentvollen und an uramerikanische Instinkte appellierenden Auftritt. Sie ist lebenslanges Mitglied der National Rifle Organisation, eine strikte Gegnerin von Abtreibung und bestreitet die menschliche Urheberschaft für den Klimawandel. Den Krieg im Irak sowie den Bau von Pipelines durch Naturschutzgebiete in Alaska hat sie als „gottgewollt“ bezeichnet. Zudem wird ihr das Image einer unerschrockenen Reformerin zugeschrieben, die in ihrem Staat mit korrupten Verhältnissen selbst in der eigenen Partei aufräumte und deshalb Zustimmungsraten von 80% und mehr erreichte. Dieses bisher positive Image von Sarah Palin unter konservativen Wählern gab der McCain-Kampagne einen kräftigen Schub.

Auf die eher liberale weibliche Klientel Hillary Clintons zielt die Wahl Palins wohl kaum. Eher soll sie die große Wählerschaft der Evangelikalen mobilisieren. Dieser Teil der republikanischen Basis steht McCain skeptisch gegenüber, da er aus ihrer Sicht zu liberale gesellschaftspolitische Positionen vertritt. Als Senator hat er oft undogmatisch über Parteigrenzen hinweg für politische Projekte geworben, bei Themen wie der Einwanderung und der Abtreibung wird er als moderat eingeschätzt. Einerseits grenzt sich McCain mit seinem Image eines unorthodoxen Außenseiters bewusst von der unbeliebten Bush-Administration ab und führt eine Kampagne, als sei er der Kandidat einer oppositionellen Bewegung zu Stil und Inhalten der in Washington bisher betriebenen Politik. Andererseits benötigt er die religiös und gesellschaftspolitisch konservativen Wähler, um das republikanische Wählerpotenzial auszuschöpfen. Die Mobilisierung dieser Wählergruppen ist Palins Funktion.

Zwar nimmt Palin McCain weitestgehend die Möglichkeit, gegen Obamas mangelnde Erfahrung zu argumentieren. Andererseits – und dies scheint seit dem Parteitag der Republikaner die neue Strategie McCains zu sein – kann er sich mit ihrer Hilfe als eigentlicher Reformer geben, der in Washington aufräumen will. Populistische Angriffe gegen die liberalen Medien und „das Establishment“, in das auch Obama eingeordnet wird, sind dafür beliebte Mittel. Damit hat der Kandidat der seit acht Jahren regierenden Republikaner interessanterweise das Mantra des Change aufgenommen. Im Wahlkampf wird sich nun herausstellen müssen, ob der McCain-Kampagne diese Identifikation gelingen kann, oder ob Obama und sein Team es vermögen, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass McCain tatsächlich nur „more of the same“ ist, also für weitere vier Jahre Bush-Politik steht.

Das zentrale Thema der Wahl ist dabei für die Amerikaner zweifellos die wirtschaftliche Lage. Die Immobilienkrise, die Krise an den Finanzmärkten steigende Arbeitslosigkeit und Benzinpreise sind für die meisten Wähler noch weit wichtiger als die Situation im Irak und in Afghanistan. Dies wurde bisher immer als ein Vorteil für Obama gesehen, bei dem die Wähler laut Umfragen eine größere ökonomische Kompetenz vermuten. Dementsprechend legt er großes Gewicht auf diese Themen. Seit dem Nominierungsparteitag der Republikaner hat McCain jedoch nicht nur insgesamt in den Umfragen aufgeholt – momentan liegt er knapp vorne –, er konnte auch den Abstand zu Obama auf dem Gebiet der Wirtschaft bedeutend verkürzen.

Ein Vorteil McCains ist sicherlich sein Image als starker Oberbefehlshaber. So könnte er angesichts der neuerlichen Konfrontationslage und zumal der Georgien-Krise von seiner traditionell kritischen Haltung gegenüber Russland profitieren. „Today, we are all Georgians“, wir alle sind heute Georgier, verkündete er am 12. August bei einer Wahlkampfveranstaltung. Er erweckt damit in Anklang an J. F. Kennedys Rede in Berlin beim Wähler den Eindruck, als würde er Georgien gegen Russland verteidigen – ohne dies allerdings explizit auszudrücken. Jede weitere internationale Krise bis zum 4. November wird zweifellos McCains Chancen verbessern. Traditionell neigen die Amerikaner dazu, in außen- und sicherheitspolitischen Krisenzeiten eher konservativ zu wählen.

Im Moment sind keine seriösen Prognosen über den Wahlausgang möglich. Die Umfragen ergeben ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das bis zu letzten Moment andauern dürfte.

III. Besonderheiten des Wahlkampfes

Zu den Besonderheiten der diesjährigen Präsidentschaftswahlen gehört, dass sich entgegen gängiger Klischees in den Vorwahlen der beiden Parteien nicht die Kandidaten durchsetzten, die über das größte Privatvermögen verfügten und von Beginn an die Unterstützung des Parteiestablishments hatten, sondern eher untypische Charaktere. Mit dem Erfolg McCains als unangepasster Republikaner und Obamas als erster aussichtsreicher farbiger Kandidat hatte anfangs keiner gerechnet. Beide entsprechen nicht dem Zerrbild amerikanischer Politik in vielen Teilen der Welt. Die amerikanische Demokratie hat einmal mehr bewiesen, zu welcher Kraft sie fähig ist, sich ständig neu zu erfinden und eine Begeisterung für die Mitgestaltung der Politik zu wecken, die auch nach Europa ausstrahlt und für die USA viele neue Sympathie gewinnt.

Zugleich spielen Wahlkampfspenden dieses Mal eine noch größere Rolle als jemals zuvor in der amerikanischen Geschichte. Die Spendeneinnahmen beider Parteien dürften bereits über einer Milliarde US-Dollar liegen, während sie in den Jahren 2000 und 2004 noch für alle Kandidaten zusammen 335 Millionen bzw. 671 Millionen Dollar betrugen. Geld spielt also weiterhin eine überragende Rolle und zwingt die Kandidaten, große Energien in das fundraising zu investieren. Dabei war Obama bislang ungemein erfolgreich. Es gelang ihm, über seine Aktivisten und das Internet viele Kleinspenden einzuwerben und fast doppelt so viel Geld zu sammeln wie John McCain. Daher verzichtete er – anders als McCain - auf staatliche Wahlkampffinanzierung, da sie die Maximalausgaben eines Kandidaten im Hauptwahlkampf auf 84 Mio. US-D deckeln. Obama kann jedoch viel mehr an privaten Spenden einsammeln.

Die Bedeutung des Internets im diesjährigen US-Wahlkampf ist ein Trend, der sich auch bei uns durchsetzen könnte und der zu einer verstärkten Partizipation der Bevölkerung am Wahlprozess und an der öffentlichen Meinungsbildung beitragen kann. In den USA erreichen die Websites der Kandidaten und damit verbundene Funktionen, wie E-Mails, Blogs, Video-Podcasts und soziale Netzwerkseiten, bereits eine ungewöhnlich große Zahl vornehmlich junger Wähler. Insbesondere der Obama-Kampagne gelang es schon im Vorwahlkampf, das Internet schlagkräftig zur Mobilisierung der eigenen Anhänger und zur Einwerbung von Spenden einzusetzen. Monatlich besuchten zwei bis drei Millionen Menschen die Website Obamas. Die Seite des Republikaners John McCain kam auf wesentlich geringere Nutzerzahlen.

Religion spielt in amerikanischen Wahlkämpfen stets eine große Rolle. Während die Demokraten die evangelikalen Christen bei den Präsidentschaftswahlen von 2004 noch vernachlässigten und dafür abgestraft wurden, versuchen sie 2008, dieses Wählersegment stärker anzusprechen. Obama bedient die religiöse Grundstimmung in Amerika sehr effektvoll durch seinen pastoralen Redestil, der auffallend dem Martin Luther Kings ähnelt. Seine frühere Zugehörigkeit zur Trinity United Church of Christ in Chicago bereitete ihm aufgrund umstrittener Äußerungen des Pastors Jeremiah Wright allerdings auch Probleme. John McCain ist mit seinen gesellschaftspolitischen Ansichten sicher nicht der Wunschkandidat der evangelikalen Konservativen, dies kompensiert aber Sarah Palin an seiner Seite.

IV Was haben wir von der neuen US-Administration zu erwarten?

Was bedeuten nun eine Wahl Obamas oder McCains für Deutschland? Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die deutsche Bevölkerung Obama als Präsidenten klar bevorzugen würde. Mit Zustimmungsraten von 80% und mehr liegen sie sogar noch vor dem europäischen Durchschnitt von um die 70% und der 49-prozentigen Präferenz für Obama, die eine weltweite Umfrage der BBC in 22 Ländern kürzlich ergeben hat. Von einem Erfolg Obamas versprechen sich die Europäer zudem eher eine Besserung der transatlantischen Beziehungen als bei einem Wahlsieg McCains. Die Amerikaner schätzen dies übrigens ähnlich ein.

Die Bundesregierung nimmt zu recht eine neutrale Position ein. Sie könnte mit beiden im November zur Wahl stehenden Kandidaten gut zusammenarbeiten, und es entsprich auch deutschen Interessen, mit jedem Präsidenten, den das amerikanische Volk wählt, eng zusammenarbeiten zu können, denn die USA sind unser wichtigster Partner außerhalb der EU. John McCain ist der Kandidat mit der größeren außen- und sicherheitspolitischen Erfahrung und dem ausgeprägteren Interesse an Europa. Obama ist derzeit Vorsitzender des Unterausschusses für europäische Angelegenheiten im Senat, er kennt Europa aber kaum. Im Wahlkampf spielen europäische Themen bislang keine Rolle, weil wir anders als in früheren Jahrzehnten nicht mehr im Zentrum einer Krisenregion leben. Beide Kandidaten versprechen jedoch eine größere Bereitschaft der USA, auf ihre Partner zuzugehen, ihre Standpunkte zu berücksichtigen und multilaterale Institutionen ernster zu nehmen, als dies bei der Bush-Administration der Fall war. Viele Europäer verbinden mit den Wahlen daher große Erwartungen und hoffen auf eine grundsätzliche Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik, besonders unter einem Präsidenten Obama.

Dabei sind die Unterschiede zwischen den Kandidaten in den außenpolitischen Zielsetzungen weniger klar, als viele Europäer vermuten. Trotz aller Bekenntnisse zur Bedeutung multilateraler Zusammenarbeit wird keine US-Administration dem Multilateralismus den gleichen Stellenwert einräumen wie es z.B. Deutschland tut. Vor allem aber wird der US-Kongress anders als unser Grundgesetz das Völkerrecht nicht von vornherein als übergeordnete Instanz anerkennen, die nationales Recht überlagert. Dem widersprächen nicht nur die verfassungspolitische Tradition, sondern auch der Weltmachtstatus und die politische Kultur der Vereinigten Staaten. Weder McCain noch Obama werden die Anwendung militärischer Gewalt von vornherein ausschließen, wenn es um die Durchsetzung und Verteidigung wichtiger amerikanischer Sicherheitsinteressen geht. Dies kann auch in Zukunft notfalls auch ohne die Unterstützung der Verbündeten geschehen.

Größere Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten werden in der Irakpolitik gesehen. Die demokratische Kongressmehrheit versuchte wiederholt, Präsident Bush auf ein Abzugsdatum für die US-Truppen festzulegen. McCain argumentierte schon früh für eine Aufstockung der Truppen, um die Gewalt im Irak einzudämmen und die Regierung in Bagdad zu stabilisieren. Auch gegenwärtig ist McCain für die „Fortsetzung der Bemühungen, den Krieg im Irak zu gewinnen“, während Obama für einen schrittweisen Abzug der Truppen und eine Übergabe der Verantwortung an die Iraker plädiert. Letzten Endes werden jedoch die konkrete militärische Situation und die Stabilität der irakischen Regierung für den Zeitplan des Truppenabzugs entscheidend sein und weniger die Absichtserklärungen im Wahlkampf.

Nicht erst seit den kriegerischen Auseinandersetzungen in Georgien im vergangenen August gibt es eine kontroverse transatlantische Debatte um die Beziehungen zu Russland. John McCain und andere Republikaner fordern eine gemeinsame, harte Linie des Westens gegen ein von ihnen als revanchistisches wahrgenommenes Russland. So sollten die G-8 „wieder ein Klub führender Marktdemokratien“ werden. McCain plädiert für die Aufnahme Indiens und Brasiliens in die Staatengruppe, jedoch gleichzeitig für den Ausschluss Russlands und das Heraushalten Chinas. Dies würde eine gravierende Brüskierung zweier globaler Mächte bedeuten und wäre eine Abkehr von der bisherigen Politik Washingtons, Peking und Moskau so weit wie möglich in die internationale Ordnung einzubinden. Obama äußert sich differenzierter zu Russland. Auch in seiner Partei werden jedoch zunehmend antirussische Stimmungen laut. Groß ist die Enttäuschung über die inneren Entwicklungen und das außenpolitische Auftreten des wieder erstarkten Russland.

So reagierten Politiker und Medien in den USA scharf auf das auch aus deutscher Sicht unverhältnismäßige Eingreifen Russlands in den Konflikt zwischen der Regierung in Tiflis und den abtrünnigen Gebieten Südossetien und Abchasien, die sich mittlerweile für unabhängig erklärten. Dabei gab es auch Vorwürfe gegen Europa und namentlich Deutschland, das sich beim letzten NATO-Gipfel gegen einen konkreten Zeitplan für eine Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die Allianz ausgesprochen hatte und dem eine zu russlandfreundliche Haltung aufgrund einer angeblich zu großen Abhängigkeit von Öl- und Gaslieferungen aus Russland unterstellt werden. Dabei ist aus meiner Sicht die Unterstellung, dass die deutsche Politik gegenüber Russland durch unsere Gas-Interessen bestimmt sei, eine ebenso verengte und damit falsche Sichtweise wie die, dass die amerikanische Politik gegenüber dem Irak nur durch Öl-Interessen bestimmt sei.

Die autoritären Tendenzen in Russland und ein zum Teil konfrontatives Verhalten gegenüber seinen Nachbarn sollten wir Deutsche kritisieren. Aber die EU und Russland sind direkte Nachbarn und bleiben in vielfältiger Weise aufeinander angewiesen. Russland wird z.B. bei den Bemühungen um Abrüstung und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie bei der Stabilisierung von Krisenregionen dringend gebraucht. Es bleibt deshalb deutsche Politik, trotz aller berechtigten Kritik an russischer Rhetorik und russischem Verhalten für ein rationales und kooperatives Verhältnis zu Russland zu werben.

Die Besorgnis in den USA über den Wiederaufstieg Russlands und Chinas fand ihren Ausdruck auch in dem neuen außenpolitischen Konzept einer „Allianz der Demokratien“, das von McCain und auch von Beratern der Obama-Kampagne vorgeschlagen worden ist. Dabei geht es im Kern um die Idee, einen neuen institutionellen Rahmen für die demokratisch regierten Länder der Welt zu schaffen, damit diese besser bei der Bewältigung internationaler Sicherheitsprobleme kooperieren könnten. Dies soll besonders dann zur Geltung kommen, wenn die Vereinten Nationen aufgrund ihrer Entscheidungsprozesse gelähmt wären. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass Legitimität, besonders beim Einsatz militärischer Macht, weniger aus der möglichst breiten Zustimmung der internationalen Gemeinschaft erwachse als aus der moralischen „Richtigkeit“ der Entscheidungen und der „inneren Legitimität“ demokratisch gewählter Regierungen. Es ist jedoch fraglich, nach welchen Kriterien über die Mitgliedschaft in dem neuen Bund entschieden wird. Provoziert man mit einer solchen Idee nicht neue Spannungen in der Welt, wenn man Staaten wie Russland und China aus wichtigen Entscheidungsprozessen ausschließt? Deren Unterstützung für die Bewältigung globaler Probleme wie des Klimawandels ist aber unerlässlich. Sollte sich dieses Projekt in der Regierungspolitik der neuen Administration wiederfinden, werden die Europäer hier Gesprächsbedarf haben und Widerspruch äußern.

Zudem herrscht im Kongress bei Republikanern und Demokraten eine sehr irankritische Haltung. Bei Abgeordneten beider Parteien gilt die Darstellung im Geheimdienstbericht National Intelligence Estimate vom Dezember 2007, laut dem Iran im Herbst 2003 sein Nuklearwaffenprogramm stoppte, als problematisch oder gar verharmlosend. Sie fordern die Administration auf, die Verbündeten zu mehr Druck auf Iran zu bewegen. Dazu gehören etwa Sanktionen gegen ausländische Firmen, die mit Iran Geschäftsbeziehungen unterhalten, und weitere Finanzsanktionen gegen Iran. Deutschland hat seine früheren engen wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran bereits deutlich eingeschränkt. Wir sollten uns aber darauf gefasst machen, dass von der neuen Administration im Weißen Haus mit Unterstützung durch den Kongress sehr schnell Forderungen nach weiterem wirtschaftlichen und politischen Druck auf den Iran kommen werden.

Weitere drängende internationale Probleme und regionale Krisen bleiben der transatlantischen Agenda unter der neuen US-Administration erhalten: die gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus, ein Neubeginn in den Bemühungen um nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung, die Verwirklichung einer Friedensordnung im Nahen Osten, die geopolitische und wirtschaftliche Herausforderung durch aufstrebende Mächte wie China, Indien und Brasilien und die Konflikte in Afghanistan und Pakistan, auf dem Balkan, in Afrika und Asien. Langweilig wird die transatlantische Agenda der nächsten Jahre jedenfalls nicht. Die Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und Demokraten haben ihre Bereitschaft bekundet, ihre Verbündeten stärker in die Lösung solcher Konflikte einzubeziehen.

Zugleich werden sie aber auf eine aus US-Sicht gerechtere Lastenverteilung pochen. Auf Deutschland und andere europäische Staaten werden daher neue Forderungen nach der Übernahme militärischer und ziviler Aufgaben in Krisengebieten zukommen. Vor allem mit Blick auf (Süd-)Afghanistan dürfte sich der amerikanische Druck auf Deutschland und die EU, mehr für die gemeinsame Sicherheit zu leisten, noch verstärken. Außerdem ist zu erwarten, dass die neue US-Administration auch mit der Bitte um Beiträge zur zivilen Stabilisierung des Iraks an die Verbündeten herantreten wird. Angesichts der erheblichen Skepsis in der deutschen öffentlichen Meinung gegenüber den Auslandseinsätzen der Bundeswehr bedeutet dies – vor allem im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl - eine große Herausforderung für die Bundesregierung und den Bundestag.

Europa und die USA können aber neben den klassischen außenpolitischen Themen auch in vielen anderen Bereichen noch enger kooperieren. Die transatlantische Wirtschaftspartnerschaft, die Millionen Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks sichert, bietet dafür gerade in Zeiten einer sich abschwächenden Weltkonjunktur und von Turbulenzen auf den Finanzmärkten große Chancen. Die EU und die USA sollten die im Frühjahr 2007 beschlossene Vertiefung dieser Zusammenarbeit im Rahmen des Transatlantischen Wirtschaftsrats verstärken. Streitigkeiten über Details wie das Importverbot von chlorbehandeltem Geflügelfleisch durch die EU sollten baldmöglichst beigelegt werden. Hinderlich für die Handelsbeziehungen sind auch zunehmende protektionistische Reflexe in der amerikanischen Bevölkerung und im Kongress. Diese werden vor allem von der demokratischen Basis und damit auch von Barack Obama aufgegriffen, während der Republikaner McCain weiterhin den Freihandel verteidigt.

Ich hoffe, dass wir auch unsere Zusammenarbeit in einer Reihe klassischer innenpolitischer Problemstellungen intensivieren können. Dazu gehören Themen wie eine bezahlbare, allgemeine Krankenversicherung (45 Millionen Amerikaner sind unversichert), der Umgang mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel, einschließlich des Verlustes industrieller Arbeitsplätze an Billiglohnländer, der Kaufkraftverlust für die Mitteklasse und Probleme mit Armut und Dumpinglöhnen inmitten unserer wohlhabenden Gesellschaften. Auch hier können wir von einander lernen und sollten vor allem vermeiden, uns gegenseitig mit protektionistischen Maßnahmen zu schaden.

Von großer Relevanz für die Zukunft unserer Gesellschaften ist der Themenkomplex Klimaschutz und Energiesicherheit. Während sich die EU ehrgeizige Reduktionsziele für Treibhausgase setzt, hat sich die Bush-Administration zu Beginn mit dem Thema schwer getan. Sie lehnte eine verbindliche Begrenzung von CO2-Emissionen ab, solange große Schwellenländer wie China und Indien, die einen immer größeren Anteil an den Emissionen haben, nicht ebenfalls in die Pflicht genommen werden. Mittlerweile hat sich jedoch auch in den USA die Diskussion verändert. Eine Reihe von Bundesstaaten, darunter Kalifornien und Florida, haben eigene Gesetze zur Begrenzung von Treibhausgasen und zur Förderung erneuerbarer Energien verabschiedet. Sowohl Barack Obama als auch John McCain haben sich für verstärkte Maßnahmen zum Klimaschutz ausgesprochen, so dass der Boden für eine europäisch-amerikanische Zusammenarbeit nach den Wahlen fruchtbar ist. Minister Steinmeier wird Ende September bei einer Konferenz in Berlin gemeinsam mit seinem Kabinettskollegen Gabriel und amerikanischen Gästen den Startschuss zu einer neuen transatlantischen Initiative zu diesem wichtigen Zukunftsthema geben.

Bei allen genannten Themen bleibt die transatlantische Partnerschaft die notwendige Vorbedingung für Problemlösungen. Zwar müssen in einer zunehmend globalisierten und vernetzten Welt auch viele andere Partner eingebunden werden, doch ohne die enge Kooperation zwischen den USA und Europa wird es keine Fortschritte bei der Bewältigung der drängenden Probleme unserer Zeit geben. Für die Europäer bleiben die USA der wichtigste Partner, und auch amerikanische Politiker wissen, dass die Schnittmenge gemeinsamer Interessen und Werte mit keiner anderen Region der Welt so groß ist wie mit Europa. Die bevorstehenden Präsidentschafts- und Kongresswahlen bieten einen guten Anlass, um dieser Partnerschaft neuen Schwung zu verleihen. Dabei werden auch Unterschiede in den Meinungen und außenpolitischen Ansätzen zwischen Europa und den USA bestehen bleiben. Amerikaner und Europäer sollten lernen, mit solchen Differenzen gelassen umzugehen und aus Widersprüchen gemeinsame, konstruktive Lösungen zu entwickeln.

Karsten D. Voigt ist seit 1999 Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.[size=16]„Amerika vor der Wahl – Obama oder McCain – Was wird sich an den deutsch-amerikanischen Beziehungen ändern?“ Vortrag vor Amerika Gesellschaft und Harvard Club Hamburg am 16. September 2008[/size]

16.09.2008 Presseerklärung
[b]Karsten D. Voigt[/b] ist seit 1999 Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

I. Vorbemerkungen: nicht nur der Präsident, auch der Kongress wird gewählt

Am 4. November 2008 finden in den Vereinigten Staaten von Amerika die Präsidentschaftswahlen sowie die Wahlen zum 111. Kongress statt. Das Interesse an den Wahlen ist in den deutschen Medien und der Bevölkerung außerordentlich. Ausdruck dieses Interesses und gleichzeitig von überzogenen Hoffnungen auf einen grundlegenden Wandel der amerikanischen Politik war der Massenandrang beim Besuch des demokratischen Kandidaten Barack Obama Ende Juli in Berlin, als er vor 200.000 Zuhörern an der Siegessäule eine Rede hielt.

Der Fokus des allgemeinen Interesses liegt eindeutig auf der Wahl zum Präsidenten, wobei die Kongresswahlen in ihrer Wichtigkeit keinesfalls unterschätzt werden sollten. Durch seine Kompetenzen in der Haushalts-, Steuer- und Handelspolitik nimmt der Kongress nämlich eine wichtige Rolle im amerikanischen Verfassungsgefüge ein. Ohne Zustimmung des Senats kann der Präsident keine Verträge abschließen und keine Minister, Verfassungsrichter und Botschafter ernennen.

Bei der Wahl entscheiden die amerikanischen Bürger über alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses sowie über ein Drittel der Sitze im Senat. Derzeit halten die Demokraten eine Mehrheit in beiden Häusern. Im Senat ist diese dabei mit 51 zu 49 Stimmen im Senat nur sehr knapp, und dies auch nur wegen der den Demokraten nahe stehenden Position zweier unabhängiger Senatoren. Dieser Vorsprung wird sich allen Prognosen zufolge vermutlich vergrößern, denn die Republikaner müssen 23 der 35 zur Wahl stehenden Sitze verteidigen, darunter fünf so genannte open seats, bei denen sich die Amtsinhaber nicht zur Wiederwahl stellen. Elf der zwölf am heftigsten umkämpften Sitze werden oder wurden zudem von Republikanern gehalten. Trotz der prognostizierten Zugewinne gilt es aber dennoch als unwahrscheinlich, dass die Demokraten die wichtige Schwelle von 60 Sitzen erreichen können. Diese wäre nötig um das filibuster der Minderheitsfraktion auszuhebeln, also die Taktik, durch Dauerreden eine Beschlussfassung zu verhindern.

Im Repräsentantenhaus halten die Demokraten derzeit eine Mehrheit von 236 zu 199 Sitzen vor den Republikanern. Wahrscheinlich werden sie diese Mehrheit ausbauen können, wenn auch nur in sehr geringem Maße, wie die letzten Prognosen seit dem Nominierungsparteitag der Republikaner vermuten lassen. Im Frühjahr dieses Jahres konnten die Demokraten aber bei Nachwahlen drei Sitze in Wahlbezirken erringen, die zuvor als republikanische Hochburgen galten.

Allerdings sollten die Demokraten durch Umfragen gewarnt sein. Die republikanische Regierung unter George W. Bush ist zwar unbeliebt, der demokratisch dominierte Kongress hat die Wähler aber noch wesentlich stärker enttäuscht. Als die Demokraten 2006 die Kongressmehrheit errangen, versprachen sie, den Irakkrieg zu beenden, die Haushaltsdisziplin auf Bundesebene wiederherzustellen und die Regierung stärker zu kontrollieren. Diese Versprechen wurden jedoch auch aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse und der verfassungsrechtlichen Machtfülle des Präsidenten in den Augen der Wähler kaum erfüllt. So billigte der Kongress z.B. zusätzliche Milliardensummen für die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan, ohne dabei im Gegenzug Bush auf einen Zeitplan für den Abzug der Truppen aus dem Irak festlegen zu können. Das Ergebnis ist eindeutig: Ende August gaben 49% der befragten Amerikaner an, mit der Arbeit des Kongresses sehr unzufrieden zu sein, 29% waren unzufrieden.

Für George W. Bush sind die Zahlen dramatisch schlecht. In derselben Umfrage sagten 64%, mit dem Präsidenten unzufrieden oder sehr unzufrieden zu sein. Noch mehr – über 70% – glaubten, das Land sei auf dem falschen Weg. Fünf Jahre nach dem Beginn des Militäreinsatzes im Irak ist die Bevölkerung kriegsmüde und beunruhigt über die hohen Opferzahlen und die finanziellen Belastungen für Staatshaushalt und Steuerzahler. Noch schwerer wiegen aber der anhaltende Konjunkturabschwung und die Immobilien- und Finanzkrise, welche die amerikanische Mittelklasse stark verunsichern.

II. Themen und Kandidaten des Präsidentschaftswahlkampfes

Angesichts der negativen öffentlichen Meinung zu Präsident und Kongress wurden die Begriffe „Change“ und „Hope“, Wandel und Hoffnung, so zu Schlüsselbegriffen des Wahlkampfs. Zuerst hat Barack Obama diese Motive ins Feld geführt und setzte sich damit im Vorwahlkampf gegen die ursprünglich als Favoritin geltende Hillary Clinton durch. Als relativ junger Kandidat, als Sohn eines kenianischen Vaters und einer Mutter aus dem amerikanischen Herzland, der an den Veränderungswillen aller Amerikaner appelliert, gilt er seinen Anhängern als Repräsentant einer modernen, urbanen, ethnisch gemischten und toleranten Gesellschaft, die mehr an Problemlösungen als an den alten Grabenkämpfen zwischen Ethnien, Parteien und Gesellschaftsschichten interessiert ist. Er findet viele Anhänger bei gebildeten und wohlhabenden Wählern aller Hautfarben. Schwarze Amerikaner unterstützen ihn mit sehr großer Mehrheit. Vor allem aber mobilisiert er zahlreiche junge Wähler. Schon im perfekt organisierten Vorwahlkampf zogen sie von Haus zu Haus, machten das Internet zum Wahlkampfmedium und warben dabei viele Spendengelder für ihn ein.

Während Hillary Clinton mit ihrer Erfahrung und rationalen Argumentationsweise zu punkten versuchte und vor allem ältere Wähler, Frauen, Wähler lateinamerikanischer Herkunft und die weiße Arbeiterschaft ansprach, glich Obamas Kampagne von Anfang an einer Bewegung, die bewusst an das Erbe John F. Kennedys und den Stil Martin Luther Kings anknüpfte. Kritiker sehen in diesem Stil Elemente der Great Awakenings und anderer charismatischer Strömungen in der amerikanischen Geschichte. Der Kandidat wurde dabei zur Projektionsfläche der Träume und Wünsche seiner Anhänger und musste dabei während der Vorwahlen inhaltlich nicht besonders konkret werden. Diese Defizite muss er jetzt im Wettbewerb mit McCain auszugleichen versuchen.

Offen war, inwiefern der lange innerparteiliche Machtkampf zwischen Obama und Clinton dem Sieger später, bei der eigentlichen Präsidentschaftswahl, hinderlich sein würde. Während John McCain schon Anfang März 2008 als republikanischer Kandidat feststand, zogen sich die demokratischen Vorwahlen bis Juni hin. Verschiedentlich wurde gemutmaßt, dass – nicht zuletzt wegen der starken Polarisierung innerhalb der Partei – viele verärgerte Clinton-Anhänger letztlich der Wahl fernbleiben, oder sogar für McCain stimmen würden. Auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten stellten sich die Clintons allerdings mit zwei fulminanten Reden eindeutig hinter Obama, um die nötige Einheit der Basis wieder herzustellen. Glaubt man den Meinungsumfragen, hatten sie damit Erfolg.

Als running mate, also als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft wählte Obama den 65 Jahre alten Senator Joe Biden. Zwei Motivationen scheinen hinter dieser Wahl zu stecken. Zum einen soll Biden als langjähriger Experte für Außen- und Sicherheitspolitik im Senat Obamas – im Vergleich zu McCain – geringere Erfahrung auf diesem Gebiet kompensieren und damit ein Argument der republikanischen Wahlkampagne aushebeln. Zum anderen hofft man, dass Biden die im Schnitt eher älteren, der weißen unteren Mittelschicht und Arbeiterschaft zugehörigen Anhänger Clintons anspricht, bei denen es Obama schwer hat. Viel wird von Obamas Fähigkeit zur Mobilisierung abhängen. Falls er es schafft, die während der Vorwahlen mobilisierten und dann neu registrierten Wähler zu bewegen, am Wahltag tatsächlich zur Wahl zu gehen, hat er gute Voraussetzungen für einen Wahlerfolg.

John McCain ist dagegen der Repräsentant eines ganz anderen Amerika, nämlich das der eher kleinstädtischen bzw. ländlichen, weißen und älteren Wählerschaft. Der 71-Jährige ist ein sicherheitspolitischer Experte mit langer außenpolitischer Erfahrung, der im Vietnamkrieg Gefangenschaft und Folter überstand und aufgrund seiner unorthodoxen und impulsiven Persönlichkeit und seiner politischen Unangepasstheit oft als „Maverick“ bezeichnet wird. Ehre und Patriotismus sind seine Leitmotive. In der Außenpolitik gilt er als Falke, der für eine Stärkung der amerikanischen Streitkräfte eintritt und im islamischen Extremismus die zentrale Bedrohung für den Westen sieht.

Vor dem republikanischen Nominierungsparteitag in St. Paul Anfang September überraschte er mit seiner Wahl der bis dahin völlig unbekannten Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, als running mate. Die sozialkonservative Palin betrat die Bühne der nationalen Politik in St. Paul mit einem temperamentvollen und an uramerikanische Instinkte appellierenden Auftritt. Sie ist lebenslanges Mitglied der National Rifle Organisation, eine strikte Gegnerin von Abtreibung und bestreitet die menschliche Urheberschaft für den Klimawandel. Den Krieg im Irak sowie den Bau von Pipelines durch Naturschutzgebiete in Alaska hat sie als „gottgewollt“ bezeichnet. Zudem wird ihr das Image einer unerschrockenen Reformerin zugeschrieben, die in ihrem Staat mit korrupten Verhältnissen selbst in der eigenen Partei aufräumte und deshalb Zustimmungsraten von 80% und mehr erreichte. Dieses bisher positive Image von Sarah Palin unter konservativen Wählern gab der McCain-Kampagne einen kräftigen Schub.

Auf die eher liberale weibliche Klientel Hillary Clintons zielt die Wahl Palins wohl kaum. Eher soll sie die große Wählerschaft der Evangelikalen mobilisieren. Dieser Teil der republikanischen Basis steht McCain skeptisch gegenüber, da er aus ihrer Sicht zu liberale gesellschaftspolitische Positionen vertritt. Als Senator hat er oft undogmatisch über Parteigrenzen hinweg für politische Projekte geworben, bei Themen wie der Einwanderung und der Abtreibung wird er als moderat eingeschätzt. Einerseits grenzt sich McCain mit seinem Image eines unorthodoxen Außenseiters bewusst von der unbeliebten Bush-Administration ab und führt eine Kampagne, als sei er der Kandidat einer oppositionellen Bewegung zu Stil und Inhalten der in Washington bisher betriebenen Politik. Andererseits benötigt er die religiös und gesellschaftspolitisch konservativen Wähler, um das republikanische Wählerpotenzial auszuschöpfen. Die Mobilisierung dieser Wählergruppen ist Palins Funktion.

Zwar nimmt Palin McCain weitestgehend die Möglichkeit, gegen Obamas mangelnde Erfahrung zu argumentieren. Andererseits – und dies scheint seit dem Parteitag der Republikaner die neue Strategie McCains zu sein – kann er sich mit ihrer Hilfe als eigentlicher Reformer geben, der in Washington aufräumen will. Populistische Angriffe gegen die liberalen Medien und „das Establishment“, in das auch Obama eingeordnet wird, sind dafür beliebte Mittel. Damit hat der Kandidat der seit acht Jahren regierenden Republikaner interessanterweise das Mantra des Change aufgenommen. Im Wahlkampf wird sich nun herausstellen müssen, ob der McCain-Kampagne diese Identifikation gelingen kann, oder ob Obama und sein Team es vermögen, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass McCain tatsächlich nur „more of the same“ ist, also für weitere vier Jahre Bush-Politik steht.

Das zentrale Thema der Wahl ist dabei für die Amerikaner zweifellos die wirtschaftliche Lage. Die Immobilienkrise, die Krise an den Finanzmärkten steigende Arbeitslosigkeit und Benzinpreise sind für die meisten Wähler noch weit wichtiger als die Situation im Irak und in Afghanistan. Dies wurde bisher immer als ein Vorteil für Obama gesehen, bei dem die Wähler laut Umfragen eine größere ökonomische Kompetenz vermuten. Dementsprechend legt er großes Gewicht auf diese Themen. Seit dem Nominierungsparteitag der Republikaner hat McCain jedoch nicht nur insgesamt in den Umfragen aufgeholt – momentan liegt er knapp vorne –, er konnte auch den Abstand zu Obama auf dem Gebiet der Wirtschaft bedeutend verkürzen.

Ein Vorteil McCains ist sicherlich sein Image als starker Oberbefehlshaber. So könnte er angesichts der neuerlichen Konfrontationslage und zumal der Georgien-Krise von seiner traditionell kritischen Haltung gegenüber Russland profitieren. „Today, we are all Georgians“, wir alle sind heute Georgier, verkündete er am 12. August bei einer Wahlkampfveranstaltung. Er erweckt damit in Anklang an J. F. Kennedys Rede in Berlin beim Wähler den Eindruck, als würde er Georgien gegen Russland verteidigen – ohne dies allerdings explizit auszudrücken. Jede weitere internationale Krise bis zum 4. November wird zweifellos McCains Chancen verbessern. Traditionell neigen die Amerikaner dazu, in außen- und sicherheitspolitischen Krisenzeiten eher konservativ zu wählen.

Im Moment sind keine seriösen Prognosen über den Wahlausgang möglich. Die Umfragen ergeben ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das bis zu letzten Moment andauern dürfte.

III. Besonderheiten des Wahlkampfes

Zu den Besonderheiten der diesjährigen Präsidentschaftswahlen gehört, dass sich entgegen gängiger Klischees in den Vorwahlen der beiden Parteien nicht die Kandidaten durchsetzten, die über das größte Privatvermögen verfügten und von Beginn an die Unterstützung des Parteiestablishments hatten, sondern eher untypische Charaktere. Mit dem Erfolg McCains als unangepasster Republikaner und Obamas als erster aussichtsreicher farbiger Kandidat hatte anfangs keiner gerechnet. Beide entsprechen nicht dem Zerrbild amerikanischer Politik in vielen Teilen der Welt. Die amerikanische Demokratie hat einmal mehr bewiesen, zu welcher Kraft sie fähig ist, sich ständig neu zu erfinden und eine Begeisterung für die Mitgestaltung der Politik zu wecken, die auch nach Europa ausstrahlt und für die USA viele neue Sympathie gewinnt.

Zugleich spielen Wahlkampfspenden dieses Mal eine noch größere Rolle als jemals zuvor in der amerikanischen Geschichte. Die Spendeneinnahmen beider Parteien dürften bereits über einer Milliarde US-Dollar liegen, während sie in den Jahren 2000 und 2004 noch für alle Kandidaten zusammen 335 Millionen bzw. 671 Millionen Dollar betrugen. Geld spielt also weiterhin eine überragende Rolle und zwingt die Kandidaten, große Energien in das fundraising zu investieren. Dabei war Obama bislang ungemein erfolgreich. Es gelang ihm, über seine Aktivisten und das Internet viele Kleinspenden einzuwerben und fast doppelt so viel Geld zu sammeln wie John McCain. Daher verzichtete er – anders als McCain - auf staatliche Wahlkampffinanzierung, da sie die Maximalausgaben eines Kandidaten im Hauptwahlkampf auf 84 Mio. US-D deckeln. Obama kann jedoch viel mehr an privaten Spenden einsammeln.

Die Bedeutung des Internets im diesjährigen US-Wahlkampf ist ein Trend, der sich auch bei uns durchsetzen könnte und der zu einer verstärkten Partizipation der Bevölkerung am Wahlprozess und an der öffentlichen Meinungsbildung beitragen kann. In den USA erreichen die Websites der Kandidaten und damit verbundene Funktionen, wie E-Mails, Blogs, Video-Podcasts und soziale Netzwerkseiten, bereits eine ungewöhnlich große Zahl vornehmlich junger Wähler. Insbesondere der Obama-Kampagne gelang es schon im Vorwahlkampf, das Internet schlagkräftig zur Mobilisierung der eigenen Anhänger und zur Einwerbung von Spenden einzusetzen. Monatlich besuchten zwei bis drei Millionen Menschen die Website Obamas. Die Seite des Republikaners John McCain kam auf wesentlich geringere Nutzerzahlen.

Religion spielt in amerikanischen Wahlkämpfen stets eine große Rolle. Während die Demokraten die evangelikalen Christen bei den Präsidentschaftswahlen von 2004 noch vernachlässigten und dafür abgestraft wurden, versuchen sie 2008, dieses Wählersegment stärker anzusprechen. Obama bedient die religiöse Grundstimmung in Amerika sehr effektvoll durch seinen pastoralen Redestil, der auffallend dem Martin Luther Kings ähnelt. Seine frühere Zugehörigkeit zur Trinity United Church of Christ in Chicago bereitete ihm aufgrund umstrittener Äußerungen des Pastors Jeremiah Wright allerdings auch Probleme. John McCain ist mit seinen gesellschaftspolitischen Ansichten sicher nicht der Wunschkandidat der evangelikalen Konservativen, dies kompensiert aber Sarah Palin an seiner Seite.

IV Was haben wir von der neuen US-Administration zu erwarten?

Was bedeuten nun eine Wahl Obamas oder McCains für Deutschland? Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die deutsche Bevölkerung Obama als Präsidenten klar bevorzugen würde. Mit Zustimmungsraten von 80% und mehr liegen sie sogar noch vor dem europäischen Durchschnitt von um die 70% und der 49-prozentigen Präferenz für Obama, die eine weltweite Umfrage der BBC in 22 Ländern kürzlich ergeben hat. Von einem Erfolg Obamas versprechen sich die Europäer zudem eher eine Besserung der transatlantischen Beziehungen als bei einem Wahlsieg McCains. Die Amerikaner schätzen dies übrigens ähnlich ein.

Die Bundesregierung nimmt zu recht eine neutrale Position ein. Sie könnte mit beiden im November zur Wahl stehenden Kandidaten gut zusammenarbeiten, und es entsprich auch deutschen Interessen, mit jedem Präsidenten, den das amerikanische Volk wählt, eng zusammenarbeiten zu können, denn die USA sind unser wichtigster Partner außerhalb der EU. John McCain ist der Kandidat mit der größeren außen- und sicherheitspolitischen Erfahrung und dem ausgeprägteren Interesse an Europa. Obama ist derzeit Vorsitzender des Unterausschusses für europäische Angelegenheiten im Senat, er kennt Europa aber kaum. Im Wahlkampf spielen europäische Themen bislang keine Rolle, weil wir anders als in früheren Jahrzehnten nicht mehr im Zentrum einer Krisenregion leben. Beide Kandidaten versprechen jedoch eine größere Bereitschaft der USA, auf ihre Partner zuzugehen, ihre Standpunkte zu berücksichtigen und multilaterale Institutionen ernster zu nehmen, als dies bei der Bush-Administration der Fall war. Viele Europäer verbinden mit den Wahlen daher große Erwartungen und hoffen auf eine grundsätzliche Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik, besonders unter einem Präsidenten Obama.

Dabei sind die Unterschiede zwischen den Kandidaten in den außenpolitischen Zielsetzungen weniger klar, als viele Europäer vermuten. Trotz aller Bekenntnisse zur Bedeutung multilateraler Zusammenarbeit wird keine US-Administration dem Multilateralismus den gleichen Stellenwert einräumen wie es z.B. Deutschland tut. Vor allem aber wird der US-Kongress anders als unser Grundgesetz das Völkerrecht nicht von vornherein als übergeordnete Instanz anerkennen, die nationales Recht überlagert. Dem widersprächen nicht nur die verfassungspolitische Tradition, sondern auch der Weltmachtstatus und die politische Kultur der Vereinigten Staaten. Weder McCain noch Obama werden die Anwendung militärischer Gewalt von vornherein ausschließen, wenn es um die Durchsetzung und Verteidigung wichtiger amerikanischer Sicherheitsinteressen geht. Dies kann auch in Zukunft notfalls auch ohne die Unterstützung der Verbündeten geschehen.

Größere Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten werden in der Irakpolitik gesehen. Die demokratische Kongressmehrheit versuchte wiederholt, Präsident Bush auf ein Abzugsdatum für die US-Truppen festzulegen. McCain argumentierte schon früh für eine Aufstockung der Truppen, um die Gewalt im Irak einzudämmen und die Regierung in Bagdad zu stabilisieren. Auch gegenwärtig ist McCain für die „Fortsetzung der Bemühungen, den Krieg im Irak zu gewinnen“, während Obama für einen schrittweisen Abzug der Truppen und eine Übergabe der Verantwortung an die Iraker plädiert. Letzten Endes werden jedoch die konkrete militärische Situation und die Stabilität der irakischen Regierung für den Zeitplan des Truppenabzugs entscheidend sein und weniger die Absichtserklärungen im Wahlkampf.

Nicht erst seit den kriegerischen Auseinandersetzungen in Georgien im vergangenen August gibt es eine kontroverse transatlantische Debatte um die Beziehungen zu Russland. John McCain und andere Republikaner fordern eine gemeinsame, harte Linie des Westens gegen ein von ihnen als revanchistisches wahrgenommenes Russland. So sollten die G-8 „wieder ein Klub führender Marktdemokratien“ werden. McCain plädiert für die Aufnahme Indiens und Brasiliens in die Staatengruppe, jedoch gleichzeitig für den Ausschluss Russlands und das Heraushalten Chinas. Dies würde eine gravierende Brüskierung zweier globaler Mächte bedeuten und wäre eine Abkehr von der bisherigen Politik Washingtons, Peking und Moskau so weit wie möglich in die internationale Ordnung einzubinden. Obama äußert sich differenzierter zu Russland. Auch in seiner Partei werden jedoch zunehmend antirussische Stimmungen laut. Groß ist die Enttäuschung über die inneren Entwicklungen und das außenpolitische Auftreten des wieder erstarkten Russland.

So reagierten Politiker und Medien in den USA scharf auf das auch aus deutscher Sicht unverhältnismäßige Eingreifen Russlands in den Konflikt zwischen der Regierung in Tiflis und den abtrünnigen Gebieten Südossetien und Abchasien, die sich mittlerweile für unabhängig erklärten. Dabei gab es auch Vorwürfe gegen Europa und namentlich Deutschland, das sich beim letzten NATO-Gipfel gegen einen konkreten Zeitplan für eine Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die Allianz ausgesprochen hatte und dem eine zu russlandfreundliche Haltung aufgrund einer angeblich zu großen Abhängigkeit von Öl- und Gaslieferungen aus Russland unterstellt werden. Dabei ist aus meiner Sicht die Unterstellung, dass die deutsche Politik gegenüber Russland durch unsere Gas-Interessen bestimmt sei, eine ebenso verengte und damit falsche Sichtweise wie die, dass die amerikanische Politik gegenüber dem Irak nur durch Öl-Interessen bestimmt sei.

Die autoritären Tendenzen in Russland und ein zum Teil konfrontatives Verhalten gegenüber seinen Nachbarn sollten wir Deutsche kritisieren. Aber die EU und Russland sind direkte Nachbarn und bleiben in vielfältiger Weise aufeinander angewiesen. Russland wird z.B. bei den Bemühungen um Abrüstung und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie bei der Stabilisierung von Krisenregionen dringend gebraucht. Es bleibt deshalb deutsche Politik, trotz aller berechtigten Kritik an russischer Rhetorik und russischem Verhalten für ein rationales und kooperatives Verhältnis zu Russland zu werben.

Die Besorgnis in den USA über den Wiederaufstieg Russlands und Chinas fand ihren Ausdruck auch in dem neuen außenpolitischen Konzept einer „Allianz der Demokratien“, das von McCain und auch von Beratern der Obama-Kampagne vorgeschlagen worden ist. Dabei geht es im Kern um die Idee, einen neuen institutionellen Rahmen für die demokratisch regierten Länder der Welt zu schaffen, damit diese besser bei der Bewältigung internationaler Sicherheitsprobleme kooperieren könnten. Dies soll besonders dann zur Geltung kommen, wenn die Vereinten Nationen aufgrund ihrer Entscheidungsprozesse gelähmt wären. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass Legitimität, besonders beim Einsatz militärischer Macht, weniger aus der möglichst breiten Zustimmung der internationalen Gemeinschaft erwachse als aus der moralischen „Richtigkeit“ der Entscheidungen und der „inneren Legitimität“ demokratisch gewählter Regierungen. Es ist jedoch fraglich, nach welchen Kriterien über die Mitgliedschaft in dem neuen Bund entschieden wird. Provoziert man mit einer solchen Idee nicht neue Spannungen in der Welt, wenn man Staaten wie Russland und China aus wichtigen Entscheidungsprozessen ausschließt? Deren Unterstützung für die Bewältigung globaler Probleme wie des Klimawandels ist aber unerlässlich. Sollte sich dieses Projekt in der Regierungspolitik der neuen Administration wiederfinden, werden die Europäer hier Gesprächsbedarf haben und Widerspruch äußern.

Zudem herrscht im Kongress bei Republikanern und Demokraten eine sehr irankritische Haltung. Bei Abgeordneten beider Parteien gilt die Darstellung im Geheimdienstbericht National Intelligence Estimate vom Dezember 2007, laut dem Iran im Herbst 2003 sein Nuklearwaffenprogramm stoppte, als problematisch oder gar verharmlosend. Sie fordern die Administration auf, die Verbündeten zu mehr Druck auf Iran zu bewegen. Dazu gehören etwa Sanktionen gegen ausländische Firmen, die mit Iran Geschäftsbeziehungen unterhalten, und weitere Finanzsanktionen gegen Iran. Deutschland hat seine früheren engen wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran bereits deutlich eingeschränkt. Wir sollten uns aber darauf gefasst machen, dass von der neuen Administration im Weißen Haus mit Unterstützung durch den Kongress sehr schnell Forderungen nach weiterem wirtschaftlichen und politischen Druck auf den Iran kommen werden.

Weitere drängende internationale Probleme und regionale Krisen bleiben der transatlantischen Agenda unter der neuen US-Administration erhalten: die gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus, ein Neubeginn in den Bemühungen um nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung, die Verwirklichung einer Friedensordnung im Nahen Osten, die geopolitische und wirtschaftliche Herausforderung durch aufstrebende Mächte wie China, Indien und Brasilien und die Konflikte in Afghanistan und Pakistan, auf dem Balkan, in Afrika und Asien. Langweilig wird die transatlantische Agenda der nächsten Jahre jedenfalls nicht. Die Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und Demokraten haben ihre Bereitschaft bekundet, ihre Verbündeten stärker in die Lösung solcher Konflikte einzubeziehen.

Zugleich werden sie aber auf eine aus US-Sicht gerechtere Lastenverteilung pochen. Auf Deutschland und andere europäische Staaten werden daher neue Forderungen nach der Übernahme militärischer und ziviler Aufgaben in Krisengebieten zukommen. Vor allem mit Blick auf (Süd-)Afghanistan dürfte sich der amerikanische Druck auf Deutschland und die EU, mehr für die gemeinsame Sicherheit zu leisten, noch verstärken. Außerdem ist zu erwarten, dass die neue US-Administration auch mit der Bitte um Beiträge zur zivilen Stabilisierung des Iraks an die Verbündeten herantreten wird. Angesichts der erheblichen Skepsis in der deutschen öffentlichen Meinung gegenüber den Auslandseinsätzen der Bundeswehr bedeutet dies – vor allem im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl - eine große Herausforderung für die Bundesregierung und den Bundestag.

Europa und die USA können aber neben den klassischen außenpolitischen Themen auch in vielen anderen Bereichen noch enger kooperieren. Die transatlantische Wirtschaftspartnerschaft, die Millionen Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks sichert, bietet dafür gerade in Zeiten einer sich abschwächenden Weltkonjunktur und von Turbulenzen auf den Finanzmärkten große Chancen. Die EU und die USA sollten die im Frühjahr 2007 beschlossene Vertiefung dieser Zusammenarbeit im Rahmen des Transatlantischen Wirtschaftsrats verstärken. Streitigkeiten über Details wie das Importverbot von chlorbehandeltem Geflügelfleisch durch die EU sollten baldmöglichst beigelegt werden. Hinderlich für die Handelsbeziehungen sind auch zunehmende protektionistische Reflexe in der amerikanischen Bevölkerung und im Kongress. Diese werden vor allem von der demokratischen Basis und damit auch von Barack Obama aufgegriffen, während der Republikaner McCain weiterhin den Freihandel verteidigt.

Ich hoffe, dass wir auch unsere Zusammenarbeit in einer Reihe klassischer innenpolitischer Problemstellungen intensivieren können. Dazu gehören Themen wie eine bezahlbare, allgemeine Krankenversicherung (45 Millionen Amerikaner sind unversichert), der Umgang mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel, einschließlich des Verlustes industrieller Arbeitsplätze an Billiglohnländer, der Kaufkraftverlust für die Mitteklasse und Probleme mit Armut und Dumpinglöhnen inmitten unserer wohlhabenden Gesellschaften. Auch hier können wir von einander lernen und sollten vor allem vermeiden, uns gegenseitig mit protektionistischen Maßnahmen zu schaden.

Von großer Relevanz für die Zukunft unserer Gesellschaften ist der Themenkomplex Klimaschutz und Energiesicherheit. Während sich die EU ehrgeizige Reduktionsziele für Treibhausgase setzt, hat sich die Bush-Administration zu Beginn mit dem Thema schwer getan. Sie lehnte eine verbindliche Begrenzung von CO2-Emissionen ab, solange große Schwellenländer wie China und Indien, die einen immer größeren Anteil an den Emissionen haben, nicht ebenfalls in die Pflicht genommen werden. Mittlerweile hat sich jedoch auch in den USA die Diskussion verändert. Eine Reihe von Bundesstaaten, darunter Kalifornien und Florida, haben eigene Gesetze zur Begrenzung von Treibhausgasen und zur Förderung erneuerbarer Energien verabschiedet. Sowohl Barack Obama als auch John McCain haben sich für verstärkte Maßnahmen zum Klimaschutz ausgesprochen, so dass der Boden für eine europäisch-amerikanische Zusammenarbeit nach den Wahlen fruchtbar ist. Minister Steinmeier wird Ende September bei einer Konferenz in Berlin gemeinsam mit seinem Kabinettskollegen Gabriel und amerikanischen Gästen den Startschuss zu einer neuen transatlantischen Initiative zu diesem wichtigen Zukunftsthema geben.

Bei allen genannten Themen bleibt die transatlantische Partnerschaft die notwendige Vorbedingung für Problemlösungen. Zwar müssen in einer zunehmend globalisierten und vernetzten Welt auch viele andere Partner eingebunden werden, doch ohne die enge Kooperation zwischen den USA und Europa wird es keine Fortschritte bei der Bewältigung der drängenden Probleme unserer Zeit geben. Für die Europäer bleiben die USA der wichtigste Partner, und auch amerikanische Politiker wissen, dass die Schnittmenge gemeinsamer Interessen und Werte mit keiner anderen Region der Welt so groß ist wie mit Europa. Die bevorstehenden Präsidentschafts- und Kongresswahlen bieten einen guten Anlass, um dieser Partnerschaft neuen Schwung zu verleihen. Dabei werden auch Unterschiede in den Meinungen und außenpolitischen Ansätzen zwischen Europa und den USA bestehen bleiben. Amerikaner und Europäer sollten lernen, mit solchen Differenzen gelassen umzugehen und aus Widersprüchen gemeinsame, konstruktive Lösungen zu entwickeln.

Karsten D. Voigt ist seit 1999 Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.